Halten Sie Abstand von der Bahnsteigkante

Seit einiger Zeit warnt die Deutsche Bahn auch auf Provinzbahnhöfen ohne Personal per Ansage vor Zugbetrieb. Als ich vor bald anderthalb Jahren zum erstenmal darüber schrieb, liefen die Ansagen in der Regel weitgehend unabhängig vom tatsächlichen Zugverkehr aus den Lautsprechern. Ich hatte damals gemutmaßt, dass das Kinderkrankheiten eines komplexen neuen Systems seien und dass die Bahn das in absehbarer Zeit in den Griff bekommen werde.

Leider hat sich die gefühlte Trefferquote seitdem nicht verbessert. Ich habe nicht Buch geführt und kann keine Statistiken zum Thema vorlegen, ich kann hier nur meine persönlichen Eindrücke referieren. Als Pendler höre ich jedenfalls mehrmals täglich dieselbe, schön intonierte Ansage: Achtung Zugbetrieb. Halten Sie Abstand von der Bahnsteigkante und betreten Sie den gekennzeichneten Bereich erst nach Halt des Zuges.

Oft kommt sie, nachdem gerade ein Zug ein- bzw. durchgefahren ist, also zu spät. Oft auch einfach mal so zwischendurch, ohne dass ein Zusammenhang zu irgendeinem Zug erkennbar ist. Und in Einzelfällen tatsächlich kurz bevor ein Zug einfährt. Ideal wäre eine, höchstens anderthalb Minuten zwischen Ansage und Zug. Drei Minuten würde ich auch noch gelten lassen. Alles was länger dauert, ist für die Katz, weil die Aufmerksamkeit der Bahnsteigbevölkerung dann schon lange wieder anderswo ist.

Ich weiß nicht, wie diese Ansagen ausgelöst werden. Vielleicht sitzt im Stellwerk jemand mit dem Fahrplan und drückt für die regulären Züge stur nach fahrplanmäßiger Durchfahrtzeit den Knopf für die Ansage in den jeweiligen Durchfahrtbahnhöfen. Rangierfahrten und Güterzüge werden vielleicht nach einem geheimen Zusatzfahrplan durchgeführt und entsprechend angesagt. Oder die Wärter lesen aus dem System, das auch die Seite zur aktuellen Verspätungsinformation für Bahnhöfe und die Anzeigetafeln in den Bahnhäfen füttert, die dort enthaltene Information zur jeweiligen Verspätung bestimmter Züge ab und geben die Ansage entsprechend durch. Da die Informationen zumindest auf der Webseite und auf den Tafeln aber nie so ganz genau sind, kommen die Ansagen dann auch in aller Regel nicht zur rechten Zeit.

Warum ist das seit Frühjahr 2012 nicht merklich besser geworden? Technische Schwierigkeiten? Oder wollen die einfach nicht? Dass sie nicht können, will ich nicht glauben, dazu läuft der Fahrbetrieb sonst zu glatt. Oder natürlich, die Fahrdienstleiter in den Stellwerken sind aufgrund der verfehlten Personalpolitik der Bahn dauerhaft so überlastet, dass sie diese Ansagen nebenbei erledigen müssen und sich um deren Trefferquote überhaupt nicht kümmern können. Aber das sollte sich ja jetzt langsam bessern, wenn die Bahn nach dem Debakel von Mainz wieder genügend Personal auf solche kritischen Posten setzt…

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

4 Kommentare zu „Halten Sie Abstand von der Bahnsteigkante“

  1. Diese Diskrepanz zwischen Vorgang und Sinn macht sich ja nicht nur bei der Bahn bemerkbar. Wahrscheinlich hat die Bahn von staatlich angestellten Sicherheitsfetischisten zur Auflage gemacht bekommen, die sich auf dem Bahnhof aufhaltenden Menschen sporadisch darauf hinzuweisen, dass hier Zugbetrieb herrscht und dass sie nicht die weisse Linie überschreiten dürfen (es darf natürlich der Hinweis nicht fehlen, dass sie diese Linie dann überschreiten dürfen, wenn der Zug steht und ein- und ausgestiegen werden muss, denn es könnte sich ja jemand bei der Bahn beschweren, dass er nicht einsteigen konnte, weil ihm per Ansage untersagt wurde, die Linie zu übertreten… 😉 ). Die Ansagen werden wohl deshalb auch nichts mit dem tatsächlichen Verkehr zu tun haben, denn um solche Ansagen zu synchronisieren, müsste die Bahn entweder einen Bahnmitarbeiter dafür abstellen (zu teuer) oder ein Kontaktsystem in der Schiene einbauen (zu teuer). Es geht doch nur darum, Vorschriften zu erfüllen.

    Ähnlich ist es ja auch in Krankenhäusern, die erst dann ein Zertifikat bekommen, wenn an allen relevanten Türen Handdesinfektionsspender angebracht sind – die dann letztendlich niemand benutzt, schon gar nicht das Krankenhauspersonal. Das ist auch egal, Hauptsache, man kann das nötige Zertifikat vorweisen. So entwickeln wir uns immer mehr in das Scheinsystem der ehemaligen DDR zurück, in der ja so gut wie alles nur noch auf dem Papier zusammengelogen wurde.

    Wetten, dass das noch schlimmer wird? 😉

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  2. Meiner Meinung nach ist diese Ansage völlig unnötig. Jedes Kind weiß, dass auf der Schiene Züge fahren, ebenso wie auf der Straße Autos fahren. Dass diese Ansage gesetzlich vorgeschrieben sein soll, kann ich mir nicht vorstellen. Eher nervt sie die Anwohner, wenn ein Bahnhof oder Haltepunkt in einem Wohngebiet liegt und Tag und Nacht alle paar Minuten diese Ansage zu hören ist. Mein (nicht ganz ernst gemeinter) Vorschlag: An allen Straßen in Deutschland sollten Lautsprecher installiert werden, aus denen es alle fünf Minuten tönt: „Achtung Autoverkehr! Halten Sie Abstand von der Bordsteinkante und betreten Sie die Fahrbahn erst wenn diese frei ist!“

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  3. Außerdem sollten Hersteller von Brillen- und Fensterglas gesetzlich dazu verpflichtet werden, auf jedem Brillenglas und jeder Fensterschreibe den Schriftzug „Wirklichkeit – Missbrauch strafbar!“ einzugravieren! Was unter „Missbrauch der Wirklichkeit“ im Einzelnen zu verstehen ist regelt ein vorher zu schaffendes BWirkMissGB…

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In den Wald hineinrufen

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