Tausendundein Reiskorn

Es gibt doch diese Geschichte, wo ein König einen weisen Mann um Hilfe bei der Lösung eines schwierigen Problems bittet. Der weise Mann darf den Lohn, den er für seine Hilfe erhalten soll, frei bestimmen. Er möchte in Reis bezahlt werden, und zwar so, dass man ein Schachbrett nimmt und auf das erste Feld ein Reiskorn legt, auf das zweite zwei Reiskörner, auf das dritte vier, auf das vierte acht, auf das fünfte sechzehn usw., immer doppelt so viel bis zum 64. Feld. Die Gesamtmenge an Reis erhält der weise Mann als Bezahlung.

Der König freut sich, dass er so billig davonkommt, und bemitleidet den weisen Mann heimlich wegen dessen offensichtlich an Dämlichkeit grenzender Bescheidenheit. Vielleicht fragt der König seinen gelehrten Troubleshooter anständigerweise noch, ob er sich sicher sei, von wegen Reis und so. Ja, ganz sicher. Ok, dann beschwere er sich aber auch hinterher nicht. Nein, Majestät, alles bestens. Na, den halben Sack Reis, denkt sich der König, kann ich nun wirklich verschmerzen, also an die Arbeit, weiser Mann.

Dann hatte der weise Mann das Problem des Königs gelöst, und sie fingen an, Reiskörner aufs Brett zu zählen. 1, 2, 4, 8, 16, man kam sich dabei etwas albern vor, 32, 64, 128. Hier wurde es langsam schwierig, die Körner auf den jeweiligen Feldern unterzubringen, man stellte also kleine Pappschachteln auf die Felder. 256, 512, 1024, 2048, 4096. Jetzt wurden die Schachteln zu klein.

An dieser Stelle schlug der weise Mann vor, man müsse den Reis ja nicht tatsächlich auf das Schachbrett legen, man könne ihn ja zählen, das entsprechende Feld auf dem Schachbrett abstreichen und dann den Reis einfach in einen Sack schaufeln. Alle waren einverstanden, man zählte neben dem Brett weiter, 8192, 16384, 32768. Am Ende der zweiten Reihe streikten die königlichen Reiskornzähler, und man einigte sich, den Reis einfach zu wiegen und nicht mehr zu zählen, wegen des Zeitaufwandes.

Zur Veranschaulichung habe ich etwas handelsüblichen Basmati gezählt:

1000 Reiskörner nehmen ein Volumen von 20 ml ein. Ein Liter – ca. 50.000 Reiskörner – wiegt etwa 790 Gramm.

Bisher haben wir es noch mit eher geringfügigen Mengen zu tun. In der ersten Reihe liegen 255 Reiskörner, etwa ein Teelöffel voll. Bis zum Ende der zweiten Reihe kommen 65.535 Reiskörner zusammen, etwa 1,3 Liter oder gut ein Kilogramm.

Wir arbeiten uns jetzt durch die dritte Reihe des Schachbrettes, und so langsam kommen handfeste Mengen ins Spiel. 65.536, 131.072, 262.144 Reiskörner. Am Ende der dritten Reihe sind insgesamt 16.777.215 Reiskörner verbraucht, das sind 335,5 l oder 265,1 kg, also reichlich über fünf Zentner.

Der König sieht, wieviele Felder auf dem Schachbrett noch übrig sind, und ihm beginnt zu dämmern, dass er kein besonders günstiges Geschäft gemacht hat. Der von ihm geplante halbe Sack ist längst verbraucht. Indessen wird weiter Reis gewogen und in Säcke geschaufelt.

Am Ende der vierten Reihe – Halbzeit! – sind wir bei 4.294.967.295 Reiskörnern, das sind 85.899,3 l oder 67.860,5 kg. Das entspricht dem Volumen von 1,28 Vierzig-Fuß-Überseecontainern (FEUs) und dem Gewicht von einem Kampfpanzer Leopard 2 und zwei Geländewagen.

Für das letzte Feld des Schachbretts muss der König 9.223.372.036.854.775.808 Reiskörner aufbringen, insgesamt lägen auf dem Schachbrett dann doppelt soviele minus eins Reiskörner, also 18.446.744.073.709.551.615 Stück. Das sind 368.934.881.474.191 l oder 291.458.556.364.611 kg. Damit könnte man etwa 5.506.490.768,3 FEUs oder 142.816,3 Spardosen vom Volumen der Cheops-Pyramide oder 18,4-mal die Ostsee knapp 7,7-mal den Bodensee füllen. Das Gewicht entspräche dem von 4.700.944.457,5 Kampfpanzern. Alternativ könnte man damit Ayers Rock (Uluru) 72.865-mal aufwiegen. Die zehn größten Containerschiff-Reedereien der Welt könnten ihre kombinierte Flotte mit den FEUs 2.345-mal voll beladen.

Das ist ganz schön viel Reis. Wir reden hier immerhin vom reichlich 403-fachen der Jahresproduktion von 2011 (die beträgt 722,8 Millionen Tonnen). Bei (intuitiv gewählten, aber wohl ganz grob dem Jahresdurchschnittspreis von 2013 entsprechenden) 400 Euro pro Tonne würde sich der Preis für diesen Posten Reis auf 116.583.422.545.844,37 Euro belaufen. Das entspräche dann gut dem doppelten nominalen Welt-Bruttoinlandsprodukt von 2013 (das beträgt laut Wikipedia 54.816.785.820.895,5). Da müssten eine Menge Leute lange für arbeiten.

Wir sehen, König, es ist immer ratsam, ein vermeintlich günstiges Angebot bis zum Ende durchzurechnen, bevor man unterschreibt. Man kann sonst böse auf die Nase fallen. Am Ende springt man jedesmal, wenn in China ein Sack Reis umfällt, vor Schreck hinter den nächsten Busch und traut sich drei Tage nicht wieder hervor, und was ist das für ein Leben

[Alle Angaben wie immer ohne Gewähr, Rechenfehler vorbehalten]

[Anmerkung 16.11.2013, 20:31: Einen Rechenfehler („Ostsee“) unauffällig weggemacht]

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

25 Kommentare zu „Tausendundein Reiskorn“

  1. rechenfehler entdeckt:
    „Das Gewicht entspräche dem von 4.700.944.457,5 Kampfpanzern.“ … und zwei Geländewagen, nicht vergessen!

    (im ernst: gut, dass das mal jemandnachrechnet)

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  2. In der Reiskornparabel wird der weise Mann für die Erfindung des Schachbretts belohnt. In diesem Video wird nach der Erzählung der kurzen Geschichte die Menge der Reiskörner sehr anschaulich dargestellt. Ganz Deutschland ist beim 64. Feld mit einer ein Meter hohen Reisschicht bedeckt. Ganz Deutschland? Nein, ein kleines unbeugsames… achnee, das war eine andere Geschichte…

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  3. Toller Film, vielen Dank für den Link. Bin gar nicht auf die Idee gekommen, nach sowas auf Youtube zu suchen.

    Und die Details der Geschichte habe ich nicht recherchiert, weil es mir nur um die Zahlen und Mengen ging.

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  4. Danke für den schönen Beitrag… ich bin ja ein großer Fan von Mathe-für’s-Volk! Ich glaube, ich reblogge mal, das tue ich sonst selten… Allerdings dachte ich, die Geschichte endete damit, dass der König dem Berater nach dem 17 Feld oder so den Kopf abschlagen lies. Die eigene Dummheit ist ja kein Grund, sich als König übertölpeln zu lassen!

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  5. Hat dies auf Pfeffermatz rebloggt und kommentierte:
    Dieser mathematische Artikel von gnaddrig passt so gut in mein Blog, dass ich ihn mir einfach mal schnappe. Das im Kommentar vom Nesselsetzer angegebene Video ist eine sehr schöne Veranschaulichung des Reiskornhaufenwachstums.

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  6. Freut mich, Pfeffermatz, dass meine dilettantische Rechnerei vor Deinen Mathematikeraugen Gefallen findet 🙂

    Allerdings gibt es eine gewisse Diskrepanz zwischen meinem Text und dem Video: Nach meinen Berechnungen hat der resultierende Reisberg das 18-fache Volumen der Ostsee, laut Video reicht der Reis, um Deutschland 1 m hoch zu bedecken. Die Ostsee ist aber erheblich größer als Deutschland und durchschnittlich erheblich tiefer als 1 m. Das passt nicht zusammen, ich glaube, ich rechne nachher nochmal ein bisschen. Kann gut sein, dass ich bei der Umrechnung von Liter in Kubikkilometer um ein paar Größenordnungen verrutscht bin. Ich überlege mir noch, wie ich ggf. meine Rechenfehler unauffällig korrigiere, ohne dass es allzu vielen Lesern auffällt 😉

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  7. Heisst also, wenn man das Wasser im Bodensee zum kochen bringt hätte man sowas wie einen 7,7fachen Beilagen-Reistopf (jaja ich weiss, bei der Menge ist ja nur noch eine begrenzte Menge Wasser in den Reiszwischenräumen). Jetzt fehlt noch die Frage, um wieviel der Reis quillt, wenn man den im Bodenseewasser kocht. Ausserdem brauchen wir dann nur noch die Pfanne für das Fleisch. Dafür nehmen wir die Ostsee. Auf das Gemüse verzichte ich, das wird sowieso welk bis das gar ist….

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  8. Hm, als Pfanne hätte ich sonst das Death Valley in den USA vorgeschlagen, oder vielleicht gibts was Felsiges auf der Sinaihalbinsel, die ist näher.

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  9. Meinstein hat das Thema Reiskörner auch behandelt: Reis auf dem Schachbrett. Meinstein präsentiert die Reiskornzahlen übersichtlicher als ich. Dafür habe ich weitergehende Vergleiche und Umrechnungen in, hm, Alltagsgegenstände, bei Meinstein soll man selbst rechnen.

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  10. Stimmt. Und dieselbe Menge Reis würde bei Österreich für eine 4,26 Meter dicke Schicht ausreichen. Die Stadt Wien (Saarland gibt es dort ja keins) könnte sich unter einer Säule von 841,64 Metern Höhe verstecken.

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  11. Eine schöne Spielart der erstaunlichen Verdoppelungsreihe bringt Christian Kreil eben auf Twitter:

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In den Wald hineinrufen

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