Geniestreich: Nobelpreis für Esoterik

Ein Bäcker, bei dem ich auf dem Weg von der Arbeit gelegentlich Brot kaufe, wirbt damit, dass er zum Backen durch Verwirbelung belebtes Wasser verwendet. Ich will gar nicht wissen, wieviel der für seinen Verwirbelungsapparat bezahlt hat. Der Einfluss auf den Brotpreis dort dürfte zwar zu vernachlässigen sein, aber trotzdem schade um das schöne Geld.

Wasser in der Zivilisation

Die Idee mit dem „belebten“ Wasser finde ich vergleichsweise amüsant. Nach den Vorstellungen der verschiedenen Wasserbeleber ist unser industriell aufbereitetes Leitungswasser wohl mausetot, weil die langen, geraden Metallrohre, durch die es in die Wohnungen geschickt wird, ihm den Rest geben, nachdem es im Wasserwerk schon von kalter Technik gebeutelt und zermürbt wurde.

(In Wirklichkeit hat Wasser natürlich kein Gedächtnis und keine spirituelle Ebene, die gestört sein könnte. Wasser ist von Natur aus geistlos, und wenn nicht, heißt es Schnaps. Und idealerweise ist es auch leblos, andernfalls sollte man es vor dem Verzehr abkochen. Immerhin ist das belebte Wasser selbst nicht giftig oder sonst schädlich, nur teurer als herkömmliches Tafel- und Leitungswasser. Das zugrundeliegende Weltbild ist natürlich eine andere Sache, das kann gefährlich sein und richtet erheblichen Schaden an, aber davon vielleicht ein andermal.)

Leitungswasser ist also spirituell tot, ein trauriger Schatten seiner selbst. Der Gedanke ist ja auch irgendwie nachvollziehbar. Man vergleiche nur das muntere Murmeln eines idyllischen Gebirgsbaches mit dem gereizt-müden Rauschen des Wasserhahns. Dieses Leitungswasser ist kaputt, und es macht den Menschen unglücklich und damit letztendlich krank. Dagegen muss man was tun. Wir brauchen glückliches Wasser, lebendiges, spritziges, spirituell gesundes Wasser.

Und wie kriegt man das hin? Man belebt das Wasser, man energetisiert, magnetisiert, aktiviert, formatiert, informiert, verwirbelt es. Dazu gibt es Gerätschaften unterschiedlicher technischer Natur und Preislage, durch die man das Leitungswasser hindurchleitet bzw. an denen man es vorbeifließen lässt. Über die Details und Anbieter kann man sich hier, äh, informieren. Jedenfalls bringt man das Wasser spirituell wieder auf Vordermann.

Da hat mein Bäcker in seinem Bottich dann also belebtes, glückliches Wasser, und rührt damit seinen Brotteig an. Aber backen tut er das Brot in metallenen Kastenformen, auf metallenen Blechen oder Rosten, in eckigen Öfen mit elektrischer Hitze. Hartes, kaltes Metall allenthalben, gerade Kanten, seelenlose Industriehitze ohne Charakter. Diese Behandlung meuchelt das eben erst hochgepäppelte Wasser doch gleich wieder grausam dahin. Das so gebackene Brot muss genauso tot sein wie vorher das Leitungswasser. (Über die spirituelle Malaise des industriell angebauten, geernteten und verarbeiteten Getreides haben wir uns dabei noch gar keine Gedanken gemacht!)

Der kurze Augenblick der Belebtheit ist verflogen, als leiser Seufzer beim Backen durch den Schornstein entschwunden. Und hinterher sitze ich Unglücksrabe an meinem Tisch aus totem Holz, kaue mit langen Zähnen an totem Brot und wundere mich, warum ich unglücklich und krank bin.

Wasser in der Wildnis

Eine zentrale Dienstleistung von Wünschelrutengängern ist das Aufspüren von Wasseradern. Diese Wasseradern geben angeblich Erdstrahlen ab, die einen schädlichen Einfluss auf den menschlichen Organismus haben. Sie verursachen oder verschlimmern Krankheiten und Leiden aller Art. Da ist Vorsicht geboten.

Ist so eine Wasserader erst einmal entdeckt, kann man den schädlichen Einfluss minimieren, indem man umzieht oder wenigstens das Bett anderswo hinstellt, sodass man an einer strahlenärmeren Stelle zu liegen kommt. Details erspare ich mir, die kann man bei Interesse hier, hier und hier nachlesen.

Bestimmt könnte man die Wirkung der Erdstrahlen mit rein esoterischen Mitteln, etwa per Feng Shui, noch weiter abmildern bzw. die Strahlen irgendwohin ablenken, wo sie keinen Schaden anrichten, aber die interdisziplinäre Forschung ist in den esoterischen Fächern noch nicht so weit.

Achtung Widerspruch!

Wasser, das in Wasseradern fließt, sendet also Erdstrahlen aus und ist deshalb schädlich. Allerdings hat es in den Wasseradern genau den Zustand, den die oben erwähnten Wasserverwirbeler wiederherstellen wollen: Es ist nicht industriell aufbereitet, nicht durch geisttötend böse Bleirohre geschickt, sondern lebendig, glücklich, naturbelassen, direkt dem unerschöpflichen Busen von Mutter Natur entflossen. Und, wissen Wünschelrutengänger, eben gefährlich, strahlend wie Kernbrennstoff. Das bedeutet, die Wasserbeleber vergiften uns also wissentlich unser Trinkwasser!

Damit haben wir jetzt ein Problem auf dem Tisch, oder vielmer: Die Wünschelrutengänger und die Wasserbeleber haben eins. Entweder ist das mit den Erdstrahlen ein Märchen, oder das mit dem belebten, aktivierten, energetisierten, formatierten, informierten, magnetisierten oder verwirbelten Wasser ist Unsinn. Nur eins von beiden kann stimmen.

Entweder gibt es Erdstrahlen, die Rutengänger sind Wohltäter der Menschheit und die Wasserbeleber wollen uns mit ihrem belebten, erdstrahlenden Wasser vergiften, oder es gibt keine Erdstrahlen und die Rutengänger sind Scharlatane.

Eigentlich müssten Rutengänger und Wasserbeleber sich deshalb spinnefeind sein. Die Rutenleute müssten die Welt vor den brunnenvergiftenden Wasserbelebern warnen, und die Wasserbeleber müssten die Rutenleute als alarmistische Spökenkieker hinstellen. Dass die aber anscheinend ohne größere Animositäten nebeneinanderher existieren, könnte ein Hinweis darauf sein, wie weit es mit ihren Behauptungen über die Schädlichkeit von Wasseradern bzw. totindustrialisiertem Wasser her ist.

Wenn die das spitzkriegen, kommt sicher ganz schnell ein panesoterischer Binnenkonsens zustande. (Mit so einem Binnenkonsens fahren die Homöopathen bekanntlich auch in Zeiten klammer Gesundheitskassen ganz famos und lukrativ, das Ding hebelt nämlich auf rätselhafte Weise die Naturgesetze und relevante gesetzliche Regelungen zur Zulassung von Medikamenten aus; von denen kann die Big Pharma sicher noch was lernen!)

Anschließend würde in esoterischen Kreisen eine Erklärung die Runde machen, weshalbdass natürliches Wasser in Wasseradern gefährliche Erdstrahlen verursacht, verwirbeltes Wasser im Krug aber völlig unschädlich und sogar der Gesundheit zuträglich ist. Damit dürfte auch die Gefahr esoterischer Polytraumata wenigstens in Hinsicht auf Erdstrahlen und spirituell kaputtes Trinkwasser weitgehend gebannt sein.

Gelegenheit zum Geniestreich

Ganz abseits solcher Kleinkariertheiten könnten Rutengänger und Wasserbeleber aber voneinander lernen. Jemand praktisch Veranlagtes könnte die Wasseradern unter Zuhilfenahme des Bleirohreffekts neutralisieren: Wenn Wasserleitungen Wasser abtöten, bräuchte man Wasseradern nur in regelmäßigen Abständen durch große Bleirohre zu schicken, und schon müssten die Erdstrahlen weitestgehend entschärft sein. Das ist zwar aufwändiger als ein Rutengang, beseitigt das Problem aber an der Quelle, anstatt dass man ständig wieder die Strahlenbelastung misst und den Erdstrahlen ausweicht wie ein Bleistiftmann den einzelnen Strahlen der Dusche. Und es würde – Achtung, Killerargument – Arbeitsplätze in der Bauindustrie schaffen.

Oder, noch besser, man nutzt die Erdstrahlen als Energiequelle. Die Inbetriebnahme des ersten Erdstrahlenkraftwerks wäre ein Paukenschlag, der die Esoterik direkt ins Zentrum der wissenschaftlichen Avantgarde katapultieren würde. Wahrscheinlich würde zeitnah eine neue Kategorie für den Nobelpreis gestiftet: Der Nobelpreis für Esoterik.

Nachgedanke: Abseits solcher Höhenflüge müsste man allerdings prüfen, inwieweit Wasserbetten als radiästhetisch relevante Wasseradern zu werten sind. Möglicherweise könnten Wasserbetten dann mit eingebauten kleinen Erdstrahlkraftwerken die zu ihrer Beheizung nötige Energie selbst erzeugen. Die überschüssigen, mithin gefährlichen Erdstrahlen könnte man dadurch neutralisieren, dass man das Wasser auf dem Weg zur eingebauten Erdstrahlturbine durch ein Bleirohr leitet.

Oder man müsste das Wasser in den Betten sicherheitshalber regelmäßig beleben, damit das spirituell niedergedrückte Wasser den darauf schlafenden Menschen nicht auch das Qi zerschießt. Die Belebung könnte etwa durch einen Magneten oder Kristall erfolgen, den man in die Matratze einbaut. Verwirbelung könnte in Wasserbetten problematisch sein. Da besteht noch erheblicher Forschungsbedarf, aber wenn in dem Bereich jetzt auch Nobelpreise winken, wird es sicher eine Schwemme von Erfindungen auf dem Gebiet geben…

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

9 Kommentare zu „Geniestreich: Nobelpreis für Esoterik“

  1. Seit wann haben denn Widersprüche innerhalb der Esoterikszene irgendwelche Relevanz? Ausserdem stellt sich die Frage, wie bei einem Wasserbett denn überhaupt die Strahlen von Wasseradern gemessen werden, oder den Totgrad oder Todesgrad von unbelebtem Wasser. Außerdem warte ich noch immer auf die Klage eines Hausbewohners, der den unter ihm wohnenden Nachbar mit Wasserbett dazu auffordert, dasselbe wegen der Strahlen zu entfernen. Fragen über Fragen…

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  2. Eben, jede Menge Forschungsbedarf und unbegrenzte Möglichkeiten philosophischer Betätigung. Was die Widersprüche angeht, nicht umsonst ist das unter „Kasperei“ abgelegt. Wir wissen ja alle, dass es keine inneresoterischen Widersprüche gibt. Nur aus außeresoterischer Sicht (also im Gefängnis dessen, was wir Logik nennen) sieht es immer so aus 😉

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  3. Da es ja inzwischen jede Menge Hogwarts in Deutschland gibt (früher nannten die sich „Hochschulen“ oder „Universitäten“), bei denen esoterischer Schwachsinn ohne Grenzen studiert werden kann und Teile davon sogar schon punkterelevant für jeden Medizinstudenten sind, wird es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch die Strahlung von un- oder belebten Wasser ernsthaft studiert werden wird.
    Insofern nehme ich auch die Rubrik „Kasperei“ inzwischen bierernst… 😀

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  4. Hast recht, da bleibt einem das Lachen bisweilen im Hals stecken. Aber mein Erdstrahlenkraftwerk finde ich wirklich gut. Schade, dass es sowas nicht gibt 😦

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  5. Ich hätte da mal eine Frage: Wenn ein Wünschelrutengänger in meinem Schlafzimmer eine erdstrahlende Wasserader feststellt, ist es dann sinnvoll mein Wasserbett umzustellen oder muss ich die ganze Bude dann mit Bleirohren auskleiden? 😉

    Manchmal weiß man echt nicht, ob man lachen oder heulen soll, bei diesem ganzen Humbug!

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  6. Vielleicht wäre es da am besten, Wasserbetten gleich aus Bleimatten zu bauen. Aber hast recht, es ist schon zum Heulen, was die Leute allen Ernstes so bringen.

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In den Wald hineinrufen

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