Handarbeit und Tradition

Früher war alles besser. Früher wurde alles von Hand gemacht. Mit Liebe und Sorgfalt. Man hat noch einen Bezug zu den Dingen gehabt, ihnen noch ihren rechten Wert beigemessen. Kinder haben sich über Äpfel und Walnüsse zu Weihnachten gefreut und Großeltern konnten ihren Enkeln noch die Welt erklären (anders als heute, wo schon mancher Mittfünfziger seit Jahren nicht mehr hinterherkommt). Man ist noch nicht in seelenlosen Billigprodukten aus Fernost ersoffen.

Holzschuhtragende Blondinen fuhren noch den Käse mit dem Hollandfahrrad direkt an den Frühstückstisch, Onkel Werther hat seine Bonbons noch einzeln von Hand poliert (damals, als sie noch „Werthers Echte“ hießen, bevor sie wohl aus Marketinggründen zu „Werther’s Original“ mutierten). Damals wurden Kartoffelpuffer noch aus selbst ausgegrabenen und von Hand geriebenen Kartoffeln gemacht und Marmelade aus handverlesenen Erdbeeren. Soweit das Klischee.

Manche Sachen gehen von Hand wirklich einfach besser als per Maschine, gewinnen dadurch Charakter oder wenigstens ein gewisses Maß an Individualität. Maschinenmusik etwa klingt trotz aller zur Vermenschlichung eingesetzten technischen Raffinessen oft steril und kann – je nach Genre und Anspruch der Zuhörenden – mit auf echten Instrumenten handgemachter Musik in der Regel nicht mithalten.

Andere Sachen werden bei Fertigung von Hand wenn nicht besser, dann doch schöner. Mit Füllfederhalter geschriebene Briefe beispielsweise können – je nach Handschrift, Tintenfarbe und Papierqualität natürlich – viel schöner aussehen als gedruckte Anschreiben, und das Schreiben macht einfach Spaß, mir jedenfalls bei persönlichen Briefen. Bei hochpreisigen Schuhen liefern Maschinen sicher gleiche Qualität, aber handgemacht sehen sie möglicherweise edler aus.

Bei anderen Sachen sehe ich wenig Grund, Handgemachtes vorzuziehen. In einem gewöhnlichen Supermarkt kann man ohne große Mühe jede Menge Beispiele für (oft als traditionell beschriebene) Handarbeit finden:

  • Delikatess Metzgerschinken, Hausmarke einer Supermarktkette: traditionell hergestellt, handgelegt, schonend gegart
  • Schichtkäse: Handgeschöpft
  • Original Sahne Muh-Muhs: Handgeschnitten, handgewickelt
  • Kartoffelchips: traditionally hand cooked potato chips

Auf einem höherpreisigen Stück Butter habe ich die Tage folgenden Text gelesen:

Meine Butter wird noch wie früher aus dem frischen Milchrahm vom gleichen Tage hergestellt. Ihr Aussehen ist leicht gelblich wenn die Kühe im Frühling und im Sommer auf den blühenden Almweiden grasen und wird im Winter, wenn die Kühe Heu fressen, weißlich.

Die Formgebung der Butter erfolgt nach alter Tradition in der ursprünglichen Hohlform mit alpinen Symbolen.

Das Formen und das Abpacken der Butter werden auch noch per Hand gemacht.

Das sind die spürbaren Zeichen meiner großen Leidenschaft und meines Einsatzes für die  Erhaltung der wichtigen Molkerei- und Landwirtschafts-Traditionen.

Einmalige Werte, welche sich auch in meinen Käseprodukten aus der Langa und von der Alm wiederfinden.

Keine Ahnung, worin diese “wichtigen Molkerei- und Landwirtschafts-Traditionen” nun bestehen. Vielleicht ist ja nur gemeint, dass überhaupt Molkerei und Landwirtschaft betrieben wird, keine Ahnung. Jedenfalls ist Leidenschaft im Spiel. Warum aber handgeschöpfter Schichtkäse? Weshalb handgeschnittene Karamellbonbons? Wieso handgerührte Kartoffelchips? Was ist da der Mehrwert?

In diesen Fällen ist mir nicht einsichtig, welchen Vorteil die angegebenen manuellen Arbeitsschritte haben. Schinkenscheiben lassen sich per Maschine sicher genauso gut in Plastikpackungen schichten, Schichtkäse lässt sich sicher auch per Portioniermaschine in die Packungen füllen, und ich bezweifle, dass das einen für den Verbraucher wahrnehmbaren Unterschied machen würde.

Die Butterkaramell-Bonbonmasse kann man garantiert auch per Maschine zu Bonbons formen und die dann maschinell verpacken. Die durch die Handarbeit unweigerlich entstehenden kleinen Unregelmäßigkeiten kommen bei solchen Bonbons sicher nicht groß zur Geltung, und dem Zielpublikum, nämlich Kindern, wird das sowieso völlig egal sein.

Der einzige Nutzen dürfte eine eingebildete Wertigkeit sein. Handgedingst, boah, Wahnsinn. Das ist so ähnlich wie die „Chefarztbehandlung“ für Privatversicherte – bei Visite liegt man noch eine halbe Stunde länger ohne Zudeck rum, damit statt eines gewöhnlichen Medizinmanns auch der große Boss noch seinen heilenden Chefarztblick auf den Gips werfen kann. Nutzen – außer dem Gefühl, etwas besonderes, also etwas besseres als andere zu kriegen, meist keiner, aber die Rechnung fällt erheblich höher aus.

Anders als bei den beliebten C-Schreibweisen, wo Traditionalität und eine daraus abgeleitete Früher-war-alles-besser-Wertigkeit allein durch die altertümelnde Buchstabenwahl vorgetäuscht werden, hat man hier immerhin einen tatsächlichen Unterschied: Die Sachen werden (das glaube ich den Herstellern einfach mal) im angegebenen Umfang wirklich von Hand hergestellt, verarbeitet oder verpackt.

Ob diese Handarbeit irgendetwas mit egal welcher Tradition zu tun hat, und ob daraus eine messbar bessere Qualität folgt, steht dahin. Aber wenigstens wird hier überhaupt mit Fakten geworben. In diesem Sinne ein Hoch auf die ehrliche Handarbeit…

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

6 Kommentare zu „Handarbeit und Tradition“

  1. Handarbeit? Ich finde die (sicherlich ungerechtfertigte) Vorstellung etwas eklig, dass irgendein ungewaschener Tölpel im Betrieb nach dem Toilettengang mit anschließender Nasenbohrung (und zwischendurch ein Kälbchen zur Welt gebracht und ein paar Kartoffelchips aus dem Fett gegriffen) meine Schinken- und Käsescheiben und sogar mein Muhmuhbonbons (was immer das ist) betatscht hat! Ein Hoch auf die blitzblanke, astreine, quasivirtuelle, ultramoderne maschinelle Verarbeitung!

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  2. Der Gedanke war mir noch gar nicht gekommen, aber Du hast natürlich recht. Wer weiß, was die vorm Schinkenlegen, Quarkschöpfen oder Bonbonrollen genau gemacht haben. Wird schon nicht so schlimm sein, sonst könnten die Hersteller nicht die Haltbarkeitsfristen garantieren, die auf den Packungen stehen, aber trotzdem, blärgs…

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  3. Kommt drauf an. Früher™ wurden Maschinen natürlich morgens vor der Arbeit im Sonnenschein liebevoll gewienert und abends nach vollbrachtem Tagewerk sorgfältig und von Hand gereinigt. Heutzutage wird da sicher nur zwischen den Schichten vollautomatisch eine Reinigungsbrühe durchgepumpt, seelenlos und kalt.

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In den Wald hineinrufen

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