Lizenz zum Gelddrucken

Wenn sich jemand irgendwo kritisch über die Homöopathie oder eine ihrer Spielarten äußert, kommt fast immer jemand und behauptet, die Globuli würden aber ganz hervorragend wirken. Oft wird dann von Heilungen im Bekanntenkreis berichtet, oft bei hartnäckigen Krankheiten wie Krebs, an der die „Schulmedizin“ sich im konkreten Fall die Zähne ausgebissen habe und die der Homöopath ratzfatz habe wegheilen können. (Darüber, dass gerade diese spektakulären Krebsheilungen nie in den Zeitungen auftauchen und so gar kein Aufsehen in der Öffentlichkeit erregen, scheint sich bei diesen Leuten niemand zu wundern.)

Immer wieder kommt in diesen Diskussionen auch der Vorwurf, die böse Pharma-Industrie vertreibe aus Geldgier vielfach wirkungslose, schädliche, gefährliche und überteuerte Medikamente und Impfstoffe, um die Menschen krankzumachen oder ihre Gesundung zu verhindern oder wenigstens hinauszuzögern. Die „Schulmediziner“ steckten mit ihnen unter einer Decke, schwatzten ihren Patienten (natürlich wider besseres Wissen) Chemiehämmer auf, wofür Bad Pharma ihnen im Gegenzug ein hübsches Stück von dem fetten Geldkuchen zuschustere. Besonders die flächendeckenden Impfungen seien eine reine Geldbeschaffungsmaßnahme dieser Seilschaften: nutzlos, gesundheitsschädigend, teuer, zynisch.

Über dieses „Argument“ ärgere ich mich jedesmal wieder. Nicht, weil ich von der Pharma-Industrie bezahlt werde (werde ich nicht, wurde ich nie) oder weil ich „die Pharma-Industrie“ pauschal für Engel auf Erden halte, die kein Wässerchen trüben können. Im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass dort tatsächlich jede Menge Zynismus zu finden ist; dass dort geschummelt und gefälscht wird; dass Pharma-Firmen ihre Interessen oft rücksichtslos und mit unfairen Mitteln durchsetzen, sooft man sie damit durchkommen lässt. (Und es gibt dankenswerterweise viele Leute, die das genau beobachten und hartnäckig bekämpfen. Ben Goldacre, um nur einen zu nennen.)

Was mich ärgert, ist vielmehr die Unterstellung, im homöopathischen Zweig der Pharma-Industrie sei das anders. Die Unterstellung, Homöopathie-Firmen seien besser, sauberer, anständiger, uneigennütziger.

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Nun kenne ich natürlich keine Interna irgendwelcher Pharma-Firmen, ob wissenschaftlich oder homöopathisch orientiert. Ich kann keine konkreten Ereignisse nennen, keine konkreten Vorwürfe machen. Ich sehe aber nicht, wieso das Personal in der einen oder anderen Sorte Firma nennenswert anständiger oder unanständiger sein soll als der Rest der Branche oder als die Menschheit insgesamt.

Solche Diskussionen um Homöopathie, Impfungen und Bad Pharma zeigen übrigens oft sehr schön, wie groß die Schnittmenge zwischen Homöopathie-Jüngern, Impfgegnern und Anhängern verschiedenster Verschwörungstheorien ist. Sie haben jedenfalls den unumstößlichen Glauben an meist ganz offensichtlich unsinnige Weltbilder und die Ablehnung wissenschaftlich gewonnenen Wissens gemein und schlagen oft miteinander in dieselben irrationalen Kerben.

Neulich habe ich auf einen Kommentar auf dem Blog der gwup geantwortet, dort ging es um genau diesen Vorwurf: Big Pharma – böse und geldgierig, Homöo-Pharma – gut und bescheiden. Hier bringe ich meinen Kommentar in etwas aufbereiteter Form noch einmal. So fing es dort an:

@JO: Sie schreiben: Wäre mit Kügelchen das grosse Geld zu machen, würde die Situation wohl anders aussehen. Ein Impfstoff hat da sicher Wirtschaftlich einen besseren Effekt.

Da könnte man einen Hausarzt oder einen Kinderarzt fragen, oder sonst einen Dr. med., der impft, was er mit Impfungen so verdient. Der Kinderdoc hat das hier aufgedröselt, besonders lukrativ ist das augenscheinlich nicht. Die Ärzte haben viel Aufwand und kriegen wenig Geld dafür. Sie werden an Impfungen also nicht wirklich reich.

Und die Pharma-Industrie? Die macht doch sicher den großen Reibach? Nein, die auch nicht. Die Impfstoffe sind großenteils nicht besonders teuer, aber teils aufwändig in der Herstellung, sind leicht verderblich, bei Transport und Lagerung muss die Kühlkette gewährleistet werden. Die meisten Impfstoffe bringen darum unterm Strich nur wenig Geld in die Kasse. Außerdem sorgen Impfungen dafür, dass bei den Geimpften später weniger behandlungsbedürftige Krankheiten auftreten, etwa Tetanus, Polio, Mumps, Masern, Röteln und wogegen sonst so geimpft wird. Diphterie, Gebärmutterkrebs, was weiß ich.

Ohne Impfungen würden weit mehr Leute erkranken (und Erwachsene, die “Kinderkrankheiten” kriegen, werden oft schwerer und länger und damit teurer krank). Das würde allgemein zu erhöhtem Krankenstand führen. Darüber hinaus würde es bei einem erheblichen Teil der Erkrankten zu Komplikationen kommen, die zumindest einen erhöhten Behandlungsaufwand und höheren Medikamenteneinsatz erfordern (Details kann man in den Wikipedia-Einträgen zu jeder beliebigen Krankheit nachlesen, gegen die geimpft wird). Da könnten die Pharma-Firmen jede Menge teure Medikamente und Verbrauchsmaterialien verkaufen. An jedem, der bleibende Schäden davontrüge, würden sie langfristig besonders viel verdienen.

Durch Impfungen wird den Pharma-Firmen nun dieses große Geschäftsfeld zerstört oder im Umfang sehr stark reduziert. Das dürfte für sie ein realer finanzieller Verlust sein. Wenn die Pharma-Industrie kollektiv so gewissenlos wäre, wie oft unterstellt wird, würden die doch keine vergleichsweise billigen Impfstoffe verkaufen, sondern Impfungen nach Möglichkeit verhindern, um später mehr Chemiehämmer an die deshalb Erkrankten losschlagen zu können. Das menschliche Leid und der volkswirtschaftliche Schaden müssten ihnen dann egal sein oder würden als Kollateralschaden in Kauf genommen (was ihnen von Impfgegnern und Anhängern alternativmedizinischer Methoden ja auch regelmäßig lautstark unterstellt wird) .

Ich will die Pharma-Firmen hier nicht zu altruistischen Samaritern hochstilisieren, das sind sie nämlich nicht. Die, sagen wir, betriebswirtschaftlich motivierte Skrupellosigkeit wird dort nicht geringer sein als in anderen Branchen. Aber nur und ausschließlich böse ist man dort auch nicht (und der Rest wird, hoffentlich, von den zuständigen Behörden mithilfe der einschlägigen Gesetze einigermaßen in Schach gehalten).

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Die herkömmlichen (“schulmedizinischen”, bösen) Pharma-Firmen betreiben teure Forschung und müssen die Wirksamkeit ihrer Medikamente in zeitaufwändigen, kostspieligen Studien belegen. Sie stellen ihre Medikamente aus teils sehr teuren Grundstoffen aufwändig her. Den Medikamentenpreisen steht damit eine ansehnliche reale Leistung gegenüber.

Homöopathische Pharma-Firmen dagegen können mit einer Gewinnspanne rechnen, die jeden Drogenhändler alt aussehen lässt. Auf Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie kann man das im Detail nachlesen. Die homöopathische Pharma-Industrie hat keinen Aufwand für Forschung, weil alles, was sie wissen müssen, in Hahnemanns Organon steht und sie dank geschickter Lobbyarbeit auch keine Wirksamkeit ihrer Präparate nachweisen müssen. Was doch an “Forschung” geschieht, hat eher Feigenblatt- und Marketingcharakter.

An Materialkosten fallen bei der Herstellung homöopathischer Mittel an: Pfennigbeträge für die Urtinkturen (von denen je ein Liter reicht, um die Menschheit bis in alle Ewigkeit mit homöopathischen Tropfen bzw. Globuli zu versorgen), ebenfalls Pfennigbeträge für die Verpackung, Pfennigbeträge für Wasser und Zucker.

Gut, sie brauchen noch die Maschinen (oder das Personal) zum Verschütteln der Verdünnungen, und die Abfüllanlagen für die fertigen Präparate. Aber das war’s dann auch schon. Diese Firmen verkaufen hübsch und phantasievoll etikettiertes gereinigtes Wasser bzw. hübsch und phantasievoll etikettierte Zuckerkügelchen zu Mondpreisen und behaupten, es handele sich um Medikamente.

Und da sollen ausgerechnet diese homöopathischen Pharma-Firmen die uneigennützigen Retter der Kranken und Vernachlässigten sein? Weit gefehlt, die haben de facto eine Lizenz zum Gelddrucken und nutzen sie eifrig…

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

18 Kommentare zu „Lizenz zum Gelddrucken“

  1. Was, erst ein Kommentar? Wenn man sich die Debatte unter dem verlinkten Post so anschaut, dann müsste bei solchen Themen doch sofort die homöopathische Inquisition um die Ecke kommen und schon mal drei Kubikmeter Holz aufschichten. Die lassen schwer nach, die Brüder. 😉

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  2. @ Dingens: Jep, ist auch im Text verlinkt (“ Auf Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie kann man das im Detail nachlesen. „) 🙂

    @ Stefan R.: Ja, ich war fast schon ein bisschen mucksch. Hatte eigentlich mit ein bisschen homöopathischer Mecker gerechnet. Dann habe ich eben dem Dingens seinen Kommentar im Spamfilter entdeckt, aber Inquisition ist der ja auch nicht. Andererseits, fehlen tut mir da jetzt nicht wirklich was 🙂

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  3. Kein Problem, ist ja auch reichlich Text. Und immerhin hast Du auf einen Artikel hingewiesen, der zum Thema passt. Das schafft auch nicht jeder 🙂

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  4. Lustig finde ich auch immer, dass die Verfechter der Homöopathie offenbar der Auffassung sind, diese Scheinmedikamente würden vom Quacksalber selbst am Küchentisch oder von einem Kräuterweiblichen, das in einer unbeheizten Hütte am Waldrand lebt, in Heimarbeit hergestellt – jedenfalls nicht von der bösen Pharmaindustrie. Wer auch immer die Zuckerkügelchen rollt – das sind auch keine Heiligen, die wollen ebenfalls Geld machen und könnten eventuell auf die Idee kommen, dass sich die Einnahmen noch maximieren lassen, wenn der ganze Aufwand mit dem Verschütteln entfällt, denn wirkstofffrei sind die Wässerchen und Kügelchen eh (bzw. liegt die Wirkung in der Verpackung und Darreichung). Wer sollte also nachweisen können (und wie), dass es sich um Fake-Homöopathika handelt. Hätte ich eine Pharmafirma und eine niedrige moralische Hemmschwelle, wüsste ich genau, womit ich zu Reichtum und Ansehen gelange. 🙂

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  5. Allerdings. Man kann wirkstofffreies geschütteltes von wirkstofffreiem ungeschütteltem Wasser nicht unterscheiden. Wasser hat ja nun kein Gedächtnis. Allerdings hat Dr. Aust auf Beweisaufnahme ausgeführt, dass diese Firmen ihre Prozesse rigoros zertifizieren. Man kann also davon ausgehen, dass das Zeug tatsächlich verdünnt, geschüttelt, verdünnt, geschüttelt usw. ist. Das ist dann eine freundliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die die Gewinnspanne schmälert, die sind also noch uneigennütziger als ohnehin schon vermutet 😉

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  6. Das ist dann so eine Art Perpetuum mobile – bis zum Tennisarm hat man mehr Wasser geschüttelt als man je zur Selbstbehandlung verglobulieren kann 😀

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  7. Achje. Genau so eine Quatschdiskussion hatte ich heute – ausgerechnet! – mit meinem besten Freund. Der ist nämlich leider anfällig für esoterischen Tinnef und er wollte mir weismachen, dass
    a) ein Heilmagnet von einer Freundin seiner Freundin ihn von seinem schmerzenden Rücken kuriert habe,
    b) er üüüberhaupt nicht an esoterische Methoden glauben würde (nee, is‘ klar)
    c) genau deswegen dieser Heilerfolg doch als ganz besonders bemerkenswert eingestuft werden müsse.

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  8. Wieso Materialkosten für die Urtinktur?
    Man kann doch im Endprodukt keinen Wirtstoff nachweisen; also lasse ich nicht nur das Verschütteln sondern gleich die Urtinktur weg…

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  9. Am fertigen Endprodukt kann man natürlich nicht nachweisen, ob da jemals eine Urtinktur im Spiel war, stimmt. Aber die Homöopathiehersteller weisen ja anscheinend nach, dass sie sich penibel an die vorgesehenen Abläufe halten, und da gehört das Verarbeiten der Urtinktur eben dazu. Beim Kauf einer D60 kriege ich also garantiert ein Produkt, das 60 Verdünnungsschritte mit vorschriftsmäßiger Verschüttelung durchlaufen hat, ganz egal ob das einen Unterschied macht und nachweisbar ist. Und in den meisten Fällen dürften sich die Kosten für die Urtinktur ja auch in überschaubaren Grenzen halten…

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  10. Während die meisten Globuli zu Preisen zwischen 500 und 1.500 Euro pro Kilogramm über die Theke gehen, kann man auch deutlich mehr ausgeben. Eine Globulimanufaktur hat „Luna C1000“ im Sortiment, die 1,5-Gramm-Packung zu 29,90 Euro, das sind 19.933,33 Euro pro Kilogramm. Gut, für C1000 muss man lange schütteln, aber trotzdem: Traumhafte Marge…

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In den Wald hineinrufen

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