Russisches Roulette

Die Masern gehen mal wieder um, Berlin erlebt einen hübschen Ausbruch mit bisher 400 Erkrankten. Die Masern hätten, wie ich mehrfach gelesen habe, in Deutschland eigentlich schon bis Ende 2010 ausgerottet werden sollen. Hat aus irgendwelchen Gründen nicht geklappt, die Frist ist dann bis Ende 2015 verlängert worden. (Man kennt das – den Seitenhieb kann ich mir nicht verkneifen – vom Hauptstadtflughafen BER. Dessen Fertigstellung schwimmt auch immer weiter flußabwärts im steten Strom der Zeit.)

Ende 2015 wird aber auch nichts, wie es aussieht. Zu viele Leute sind nicht geimpft. Und zwar nicht nur Asylbewerber oder andere Zugewanderte aus Ländern, wo weniger bis gar nicht geimpft wird. (Dass man erstere medizinisch so gut wie gar nicht versorgt, also keinerlei Vorbeugung betreibt, sondern die Leute kaputtgehen lässt und ihnen dann widerwillig die kärglichstmögliche Behandlung gewährt, ist ein Armutszeugnis für die ethischen Standards in Deutschland und dürfte sich außerdem über kurz oder lang als Schuss ins eigene Knie erweisen, wenn sich nämlich Tuberkulose und alle möglichen anderen Krankheiten wieder einnisten, die man mit ein paar Spritzen zur rechten Zeit hätte verhindern können, aber das nur am Rande.)

Übersättigte Bildungsbürger und abgehängte Neoliberalisierungsverlierer erlauben sich den Luxus, Impfungen generell und die Masern-Mumps-Röteln-Impfung speziell abzulehnen. Sie machen einfach nicht mit, da geht nichts. Die Übersättigten unter den Impfgegnern bevorzugen eine als „natürlich“ empfundene Lebensweise ohne die vermeintlich giftigen Impfungen, die angeblich sowieso nur der Bereicherung der bösen Pharmaindustrie und der korrupten, geldgierigen Impfärzte dienen. (In diese „natürliche“ Lebensweise der Übersättigten passen neben biodynamischer Naturkost natürlich Bionade, Smartphone, Auto, Urlaub sonstwo und andere Natürlichkeiten problemlos rein. Muss man nicht verstehen.)

Und die Abgehängten zeigen denen da oben wenigstens, dass sie sich nicht für blöd verkaufen lassen und nicht alles mit sich machen lassen. (Wie kleine Kinder, die glauben, die Mama wird schon sehen, was sie davon hat, mich ohne Mütze rauszuschicken, dann friere ich nämlich und erkälte mich, das hat die dann davon, ätsch!)

Jedenfalls gibt es eine lebhafte und lautstarke Impfgegnercommunity und drumherum ein ganzes Ökosystem impfskeptischer Gruppen, Grüppchen und Einzelkämpfer, ideologisch unterstützt von allerhand Wirrköpfen mit esoterisch angehauchten und immer ziemlich realitätsfernen Vorstellungen von Biologie, Medizin und auch sonst ziemlich allem. Auf so banale Dinge wie den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung verzichtet man dort bequemerweise. Auch wissenschaftliche Forschung (vulgo: man probiert aus, und was funktioniert macht man weiter, oder: man überlegt sich, wie bestimmte Dinge funktionieren könnten und überprüft dann in Experimenten, ob die Vermutung stimmt) braucht man nicht, das jeweilige Weltbild hat schon alle Lösungen parat.

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Es gibt unzählige Artikel über das Impfen, über die Gründe, die für das Impfen sprechen, Artikel, in denen die Gefahren des Nicht-Impfens beschrieben werden. (Einen kurzen Überblick über die Argumente für das Impfen gibt es hier: Die verführerische Angst vorm Impfen.) Es gibt keinen Zweifel an der grundsätzlichen Wirksamkeit von Impfungen, da gibt es einfach zu viele eindeutige Studienergebnisse, aber das ficht die Anti-Impf-Helden nicht an, die keilen munter weiter gegen alles, was mit Impfungen zu tun hat.

(Natürlich braucht nicht jeder alle Impfungen, und man sollte auch in Sachen Impfungen Kosten und Nutzen gegeneinander abwägen. Auch schlägt nicht jede Impfung bei jedem an, es gibt immer Leute, die trotz Impfung nicht immun werden, und es gibt Leute, die aus den verschiedensten Gründen nicht geimpft werden können. Und es gibt Nebenwirkungen, Komplikationen, Impfschäden bis zum Tod, aber immer viel, viel seltener als bei Impfverzicht.

Bei Masern etwa treten bei 200.000 bis 300.000 von 1.000.000 Patienten Komplikationen auf, und bei etwa 1.000 von 1.000.000 Patienten führen die Masern zu einer Hirnhautentzündung. Von diesen 1.000 versterben zwischen 150 und 200, bei weiteren 200 bis 400 bleiben dauerhafte Schäden zurück, viele dieser Leute bleiben lebenslang Pflegefälle. Bei Geimpften erkrankt nur einer von 1.000.000 an Hirnhautentzündung. Das Risiko von Komplikationen oder dauerhaften Schäden wird durch die Impfung also um mehrere Größenordnungen verringert! Wer Wahrscheinlichkeiten und Chancen so schlecht einschätzen kann wie Impfgegner, sollte sich von Glücksspielen und Lotterien tunlichst fernhalten und möglichst auch keine Wetten eingehen.)

Der geballte Sachverstand, der die Reihen der Impfgegner am Laufen hält, lässt sich hier sehr schön in freier Wildbahn beobachten (ich empfehle ganz besonders den zehnminütigen, völlig sinn- und kenntnisfreien Egotrip von Basti, eine in ihrer Unschuld brilliante Illustration des Dunning-Kruger-Effekts).

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Die Masern sind also wieder da und noch lange nicht ausgerottet. Stört aber kaum wen, scheint’s, manche finden das sogar noch gut. Man muss dabei nicht einmal so weit gehen wie die Anthroposophen und das Durchstehen von Kinderkrankheiten zum wichtigen Reifungsprozess und wesentlichen Meilenstein der kindlichen Entwicklung hochstilisieren (verrückt, ich weiß, aber eine Lehre, die auf den unlesbar wirren Ergüssen eines offensichtlich gestörten Fantasten beruht, kann nur Verrücktes liefern). Es reicht ja, solche Kinderkrankheiten nicht so tragisch zu nehmen, wie das gerade an den ausgefransten Rändern der Impfskeptikerbewegung geschieht. Sind ja nur Masern, hat uns damals ja auch nicht geschadet.

Und wenn dann doch wer an vermeidbaren Krankheiten verreckt, ja Götterle, das passiert halt. Kann man nichts machen. Und wenn genügend Leute da mitmachen, sinkt die Durchimpfungsrate unter die nötigen 95%, die sogenannte Herdenimmunität kriegt Lücken, und irgendwann sterben dann wieder Kinder an Masern oder deren Spätfolgen.

Tetanus? Muss man nicht gegen impfen, glauben die, das gibt es in Deutschland ja praktisch gar nicht mehr, seit Jahren unter 15 Fälle pro Jahr mit einer Überlebenswahrscheinlichkeit von 75%. Warum gibt es hierzulande fast keine Tetanusinfektionen? Weil praktisch alle dagegen geimpft sind und sich darum gar nicht anstecken können. Aber das will denen nicht in die Köpfe.

Dass der gewaltige Anstieg der Lebenserwartung in Deutschland zu einem guten Teil an den Impfungen liegt, wird einfach nicht akzeptiert. Dass gerade wegen flächendeckender Impfungen niemand mehr an Diphterie stirbt, niemand mehr wegen Polio im Rollstuhl sitzt oder an Krücken läuft; dass manche Krebsart per Impfung verhindert werden kann, scheint diese Leute nicht zu interessieren. Oder sie verstehen es nicht oder wollen es nicht verstehen oder verdrängen es einfach und machen so die großen Anstrengungen der letzten Jahrzehnte zur Ausrottung dieser Krankheiten zunichte.

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In vielen armen Ländern mit rudimentären Gesundheitssystemen wären die Leute froh, wenn sie Impfungen haben könnten, weil sie die Folgen all dieser Krankheiten täglich vor Augen haben. Und hier zerschießen Zyniker, Erleuchtete, Fehlgeleitete und Idioten ganz ohne Not den Nutzen dieser Errungenschaften!

So kommen wir dank der unermüdlichen Anstrengungen dieser Helden auch in Deutschland wieder in den Genuss längst überwunden geglaubter Krankheiten und müssen knappe Ressourcen für die Behandlung von Kranken verwenden, die gar nicht erst erkrankt wären, wenn man ein Mindestmaß an Verstand zum Tragen gebracht hätte. Und von den Kindern, die durch die Dummheit ihrer Eltern erkranken, viel zu oft bleibende Schäden davontragen oder gar elend versterben, habe ich noch gar nicht angefangen.

Kinder können nicht selbst entscheiden, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht. Sie sind da völlig in der Hand ihrer Eltern, und sie tragen die Hauptlast von deren Fehlentscheidungen. Es sind ja meist nicht die (selbst oft noch geimpften und erst später „aufgewachten“) Eltern, die die Masern kriegen, sondern ihre Kinder. Und wenn man die Eltern schon nicht zu ihrem eigenen Glück zwingen kann, sollte man sie doch wenigstens daran hindern, die Gesundheit ihrer  Kinder leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

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Um nochmal auf die Wahrscheinlichkeit von bleibenden Schäden und Komplikationen mit Todesfolge von vorhin zurückzukommen: In Sachen Infektionskrankheiten ist das Leben ein Russisches Roulette. Jeder muss mitspielen und es kann im Prinzip jeden erwischen. Aber man kann die Risiken erheblich verringern. Ohne Impfung sind im wohlständigen Europa von 1.000.000 Patronen ungefähr 150 bis 200 mit tödlichen Bleikugeln und weitere 200 bis 400 mit schmerzhaften Gummigeschossen geladen. Mit Impfung ist in 1.000.000 Patronen nur eine mit Bleikugel und ein paar Dutzend mit Gummigeschossen. Es sollte offensichtlich sein, welche Spielvariante vorzuziehen ist, oder?

Nachtrag (15. Februar 2015): In Impfgegnerkreisen ist die „Argumentation“ sehr beliebt, Impfungen seien völlig unnötig, weil die betreffenden Krankheiten (wenigstens hierzulande) sowieso fast nie vorkommen. Erzaehlmirnx hat dazu eine sehr treffende Illustration vorgelegt: Vollkommen unnötig.

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

18 Kommentare zu „Russisches Roulette“

  1. Lieber Gnaddrig,

    danke für diesen ausführlichen Artikel, den ich – dein Einverständnis vorausgesetzt – reblogge.

    Gruß

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  2. Hat dies auf UmamiBücher rebloggt und kommentierte:
    Mit diesem Artikel hat mir Gnaddrig einen freien Nachmittag verschafft. Gerade hatte ich nämlich einen Radio-Beitrag zu Thema Impfmüdigkeit in Deutschland gehört und dachte, da muss ich gleich drüber schreiben.

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  3. Hier ist ein Immonologe zu Wort gekommen, beeindruckend. Sollte dieser Beitrag aufklären, oder einfach mal nur drauflos polemisieren?
    Nochmals, Sie sind Immunologe und auf dem Gebiet der pediatrischen Immonulogie zuhause? Was wissen Sie genau? Oder plappern Sie nach, was andere herausgefunden haben? Darf man, ist okay, aber dann sollte man sich dazu auch bekennen. Ich freue mich immer, wenn Eltern sich kundig machen, kompetent sind und wissen, was sie von einem Arzt erwarten dürfen und Eltern haben das Recht zu wissen, wie gesichert medizinische Erkenntnisse sind, besonders wenn es darum geht ein Medikament zu verabreichen. Wer impft muss wissen, was er tut. Impfcoktails, welcher Mischung auch immer, sind nicht das Ergebniss handfester Studien, sondern ein Produkt der Pharmaindustrie. Das ist ok. Ok ist aber auch, dass Eltern nicht alles im Coktail ihren Kindern verabreichen müssen. Sie kennen die Coktails? Wenn Impfen ungefährlich ist und eine Impfempfehlung so unstrittig, wieso übernimmt dann nicht der Staat, als Wächter unserer Gesundheit, die Haftung, wenn es dann doch, in dem einen oder anderen Fall zu Impschäden kommt? Das aber genau will der Staat nicht tun, weil ihm das Risiko zu hoch ist! Wer das Impfen staatlich verpflichten will, muss auch die Haftung garantieren, wenn er das nicht tut, kann er sich nicht beschweren, dass das Risiko von dem Einzelnen auch anders gehandhabt wird. Wer sein Kind impfen will soll es tun, wer nicht, dem sollten keine Moralapostel ein schlechtes Gewissen einreden.
    Fragen Sie mal nach bei den staatlichen Kontrollinstanzen, wieso die Pharmazeutische Kommission im Ministerium eine generelle Impfempfehlung nicht ausspricht? Es fehlen die gesicherten Studien u.a. für das erste Lebensjahr. Russisches Roulett ist, wenn man sein Kind vor dem Abschluss des ersten Lebensjahres impft, Wieso, fragen Sie die Immunologen, die sich mit dem Aufbau und der Entwicklung des Immunsystems in den ersten Lebensjahren beschäftigen.
    Wer aus Prinzip nicht impft hat keinen Arzt seines Vertrauens gefunden, denn ein Arzt, der die Risiken einschätzen und kommunizieren kann, ohne zu diffamieren und Angst einzujagen, klärt auf und überzeugt, wie sinnvoll eben eine Polio- oder Tetanusimpfung ist, geraden dann wenn die Kinder älter als 12 Monate sind. Ein generelles Impfen ist genauso unsinnig, wie jegliche Form der Impfung aus Prinzip abzulehnen. Es braucht eine qualifizierte Risikoanalyse, die kann der Kinderarzt gemeinsam mit den Eltern erheben. Unser Kinderarzt hat das in vorbildlicherweise getan, unsere Kinder wurden nicht vor dem ersten Lebensjahr geimpft, unsere Kinder sind danach sehr wohl gegen Risiken geimpft, aber jeweils seperat und nicht im Coktail, auch wenn das bedeutete, das eine oder andere Mal mehr gepickst zu werden, unsere Kinder sind kerngesund und ich würde es wieder so handhaben, entgegen alle polemischen Unkenrufen der Impfgegner und Impfbefürworter.

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  4. Mit radikalen Impfgegnerinnen, ich nenne sie „Globuli-Mütter“, bin ich schon in der Rückbildungsgymnastik im Frankfurter Frauengesundheitszentrum konfrontiert worden.

    Im Kreis sitzend sollten, nach einer kurzen Einführung der Kursleiterin, die dort auch eine „Impfsprechstunde“ abhielt, alle Mütter erklären, wie sie das bei ihrem Kind halten wollen. Mein Statement: „Ich habe einen guten Kinderarzt und vertraue seiner Sachkenntnis“, galt als naiv und erntete den Widerspruch einer Mutter, die erklärte, weil sie ihr Kind nicht geimpft habe, hätte dieses schon mit 2 Jahren grammatikalisch richtige Sätze mit mehreren Nebensätzen sprechen können. (Link zum Artikel „Aufklärung versus Globulisierung“: https://umamibuecher.wordpress.com/2011/04/04/aufklaerung-versus-globulisierung/)

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  5. @ LOB: Wo ist hier welcher Immunologe zu Wort gekommen? Ich bin keiner, und die Kategorisierung dieses Beitrags als „Tirade“ deutet darauf hin, dass dies auch kein wissenschaftsjournalistischer Text ist. Von daher: Ja, es ist ein polemischer Text, inspiriert durch den himmelschreienden Unsinn, der in Impfgegnerkreisen so verbreitet wird. (Hier gibt es noch einen Bericht von einem Ausflug in eine Impfgegnergruppe.)

    Was wissen Sie genau? Oder plappern Sie nach, was andere herausgefunden haben?
    Was heißt denn „Nachplappern“? Da 99,999% der Bevölkerung keine Immunologen sind und sich nicht auf dem Gebiet der pediatrischen Immunologie auskennen, kann man praktisch allen, die sich zum Thema äußern, den Vorwurf machen, sie „plapperten nach, was andere herausgefunden haben“. Dasselbe gilt übrigens auch für fast jedes andere wissenschaftliche Fachgebiet.

    Wenn man nur Medikamente und Behandlungen in Anspruch nehmen dürfte, die man bis auf den neuesten Stand der jeweiligen Wissenschaft versteht, wäre das doch schlimm. Sie und ich benutzen ja auch Maschinen, deren Funktionsweise wir nicht bis ins letzte Elektron verstehen. Praktisch alle Schul- und viele Universitätsbildung beruht darauf, dass Leute Wissen weitergeben, das sie nicht selbst im Labor erarbeitet haben. Wird dieses Wissen dadurch weniger wertvoll oder weniger genau?

    Ich verstehe nicht, worauf Sie mit dem Vorwurf des Nachplapperns hinauswollen.

    Wer impft muss wissen, was er tut.
    Stimmt. Das habe ich in meinem Text ganz kurz angerissen (Natürlich braucht nicht jeder alle Impfungen (…))

    Impfcoktails(…) sind nicht das Ergebniss handfester Studien, sondern ein Produkt der Pharmaindustrie.
    Und wie kommen die Kombinationsimpfungen dann zustande? Reine Geldgier von Bad Pharma wohl kaum – drei Einzeldosen bringen sicher mehr Umsatz als eine Kombidosis.

    Natürlich gibt es für verschiedene Impfstoffe unterschiedliche Empfehlungen, ab wann sie verabreicht werden sollen und welcher Abstand zu anderen Impfungen eingehalten werden soll. Ich kenne mich mit der Entwicklung des menschlichen Immunsystems nicht aus, aber genauso wie bestimmte Nahrungsmittel erst ab einem bestimmten Alter vertragen werden, wird das für Impfstoffe auch gelten. Daher die Empfehlungen, ab wann welche Impfung angezeigt ist. Deshalb wohl auch keine generelle Impfempfehlung im Stil von „Allen bei Geburt alles“.

    Wer sein Kind impfen will soll es tun, wer nicht, dem sollten keine Moralapostel ein schlechtes Gewissen einreden.
    Wenn Eltern ihren Kindern den Schutz vor vermeidbaren Krankheiten und deren teilweise schlimmen Folgen vorenthalten, hat das durchaus eine moralische Implikation. Wenn Eltern mit ihrer eigenen Gesundheit spielen, ist das schlimm genug, aber im wesentlichen ihre eigene Entscheidung. Die Kinder aber, die sich nicht wehren können, in solche weltanschaulichen Grabenkämpfe hineinzuziehen, ist amoralisch.

    Ich unterstelle niemandem, den eigenen Kindern absichtlich schaden zu wollen, aber wer den Stand der Wissenschaft einfach als großflächig gefälscht und von Bad Pharma gekauft beiseitewischt, irgendwelchen Rattenfängern nachläuft und seinen Kindern Impfungen vorenthält, deren Wirksamkeit nachgewiesen ist, lebt seine eigenen weltanschaulichen Marotten auf Kosten der eigenen Kinder aus. Das zu kritisieren und darüber wütend zu sein hat nichts mit Moralaposteltum zu tun.

    Russisches Roulett ist, wenn man sein Kind vor dem Abschluss des ersten Lebensjahres impft
    Woher wissen Sie das, sind Sie jetzt Immunologe? Eine Reihe von Impfungen soll auch erst ab dem 11. Lebensmonat ausgeführt werden. Wenn aber die ab dem 2. Lebensmonat üblichen Impfungen (Diphterie, Haemophilus influenzae Typ b, Hepatitis B, Keuchhusten, Kinderlähmung, Rotavirus) so riskant wären, müsste es viel mehr Fälle von Impfschäden geben. Die Impfempfehlungen werden ja sicher nicht ausgewürfelt, sondern werden eine wissenschaftliche Grundlage haben.

    Eine Risikoabwägung ist auf jeden Fall sinnvoll. Da kann man in Absprache mit dem Kinderarzt sicher auch von den Impfempfehlungen abweichen, wenn es gute Gründe dafür gibt (Unverträglichkeiten, allgemeiner Gesundheitszustand, persönliches Umfeld des Kindes/möglicher Kontakt mit Infizierten usw.).

    Ob man wie empfohlen im 2. Lebensmonat anfangen oder die Impfungen bis zum 11. Lebensmonat oder noch länger aufschieben soll, kann ich nicht beurteilen. Ich sehe aber wenig Grund, im Normalfall an den Impfempfehlungen zu zweifeln. Ob man Kombinationsimpfungen nimmt oder die jeweiligen Impfungen einzeln verabreichen lässt, dürfte im wesentlichen Geschmackssache sein. Ob das von der Wirksamkeit oder Verträglichkeit einen Unterschied macht, kann ich auch nicht beurteilen. Kindern mit großer Angst vor Spritzen werden die Kombi-Präparate eher zusagen. Da gibt es sicher eine Reihe von Faktoren, die man berücksichtigen kann.

    Das ändert aber nichts daran, dass Impfungen im Prinzip sinnvoll sind und man sich meiner Meinung nach in den meisten Fällen getrost an die offiziellen Impfempfehlungen halten kann. Um auf Tetanus, Polio und MMR zu verzichten oder diese Impfungen auch nur um ein Jahr zu verschieben, braucht man meiner Meinung nach schon sehr gute Gründe.

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  6. @ Carmen: Wenn man sich unverhofft Leuten gegenübersieht, die solche Ansichten selbstsicher vertreten, kann einen das schon verunsichern, oder? Ich meine, wenn man sich vorher noch nicht näher mit dem Thema befasst hat, gerät man leicht ins Schwimmen. Ich versuche bei sowas immer meinen Grundsatz zu beherzigen, nie etwas auf der Straße oder ander Haustür zu kaufen. Immer erstmal genauer anschauen, Informationen besorgen und und abwägen, dann in Ruhe entscheiden. Bloß nicht drängeln lassen!

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  7. @LOB

    Hier ist ein Immonologe zu Wort gekommen, beeindruckend.

    Nnnnnein. Hier schrub gnaddrig. kein Immonologe. Auch kein Immunuluge. *scnr*

    Impfcoktails, welcher Mischung auch immer, sind nicht das Ergebniss handfester Studien, sondern ein Produkt der Pharmaindustrie.

    Ja sollen die Kombinationsimpfstoffe denn ein Produkt der Kleintierzüchtervereinigung Popelhausen sein? Und: Ohne Studie wird kein Impfstoff auf die Menschheit losgelassen: http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Bedeutung/Schutzimpfungen_20_Einwaende.html;jsessionid=EF57660A029FE262F088D93A0583A35F.2_cid363#doc2378400bodyText2

    Wenn Impfen ungefährlich ist und eine Impfempfehlung so unstrittig, wieso übernimmt dann nicht der Staat, als Wächter unserer Gesundheit, die Haftung, wenn es dann doch, in dem einen oder anderen Fall zu Impschäden kommt?

    Warum übernimmt der Staat als Wächter der Straßenverkehrsordnung nicht meinen Blechschaden. Menno.

    Wer sein Kind impfen will soll es tun, wer nicht, dem sollten keine Moralapostel ein schlechtes Gewissen einreden.

    Es geht nicht um Moralapostelei. Es geht darum, dass unmündige Kinder schwere Gesundheitsschäden davontragen, nur weil durchideologisierte Antilogiker „DAGEGEN!“ brüllen.

    LOB, Dein Motto ist doch „lernen, organisieren, beraten“. Fang mal mit Punkt 1 an.

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  8. Ach, LOB …

    „Wer sein Kind impfen will soll es tun, wer nicht, dem sollten keine Moralapostel ein schlechtes Gewissen einreden.“

    Es geht beim Impfen nicht nur ums eigene Kind, das steht ja schon in anderen Kommentaren. Um die Masern auszurotten, brauchen wir eine Durchimpfungsquote von 95 Prozent. Wer nicht impft, gefährdet daher sein eigenes Kind, gefährdet alle anderen Kinder unter einem Jahr (weil erst dann geimpft werden kann, vorher besteht Ansteckungsgefahr) und leistet generell einen Beitrag zum Erhalt dieser gefährlichen Krankheit, statt an ihrer endgültigen Beseitigung mitzuwirken.

    Ich schrieb darüber bereits vor einem Jahr, denn natürlich brechen solche Krankheiten immer wieder aus, wenn man nicht konsequent impft: https://buggisch.wordpress.com/2013/07/22/warum-noch-immer-kinder-an-masern-sterben/

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  9. *Fachperson am Start* (immerhin habe ich mal Pharmazie studiert)

    Warum impft man Kinder nicht schon bei der Geburt?
    Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Um nur einen wichtigen zu nennen haben Säuglinge Leihantikörper von ihrer Mutter mitbekommen (und bekommen sie auch teilweise noch über die Milch), die unter Umständen einen Impfstoff wirkungslos machen würden. Gnaddrigs Einwand mit den Lebensmitteln ist übrigens auch nicht von der Hand zu weisen. Eine gute Antwort sollte so begründet sein daß sie sich selbst trägt, egal wer sie gibt. (Zumindest wenn es wissenschaftlich zugehen soll; und Wissenschaft besteht ja eh daraus, ständig zu versuchen sich selbst zu widerlegen).

    Nicht immer allerdings verhindern Leihantikörper auch die Krankheit: ein befreundeter Kinderarzt hat in seiner Praxis einen ganz besonders tragischen Fall mitbekommen. Ein etwa neunjähriges Mädchen war aus weltanschaulichen Gründen nicht gegen die Masern geimpft. Sie bekommt das ganz ‚übliche‘ volle Programm: hohes Fieber, ist wirklich krank, fixundfertig, als nervige Kleinigkeit dazu hustenschnupfenheiserkeit, Ausschlag, ein halbes Jahr Immunsystem am Boden und einen Entwicklungsrückstand von mehreren Monaten den sie später wieder aufholt (sie wiederholt eine Klasse) – etwa ein Jahr später gehts ihr aber soweit wieder okay. Aber. Aber sie steckt einen Nachbarsbub an der zu jung (drei Monate) ist als daß man ihn impfen könnte. Der bekommt eine Masernencephalitis und stirbt dran. @ LOB: wissen Sie, was eine Masern-Hirnhautentzündung ist? Wahrscheinlich nein, aber ich sage es Ihnen gleich. Eine Masern-Encephalitis entsteht, wenn die Masernviren (was in einem bestimmten Prozentsatz der Fälle geschieht) es schaffen ins Hirn zu gelangen. Diese Erkrankung ist immer tödlich: wer sie bekommt, stirbt daran. Man kann nichts für denjenigen tun. Und es ist ein grauenhafter Tod. Stellen Sie sich einfach vor, Ihr Kind habe Alzheimer im Zeitraffer, so etwa über ein halbes Jahr weg, werde langsam zum geistigen Äquivalent eines Gemüses und gehe dann ein. Das kommt als Beschreibung ungefähr hin. Und jetzt stellen Sie sich vor, die Ideologie Ihres Nachbarn sei schuld daran. Bio hu akhbaaaaAAAAAAaaaaaar.
    Aus diesem Grund gilt es als gefährliche Körperverletzung Masernparties auszurichten. Auch juristisch.

    Was tut der Staat bei Impfschäden?
    Selbstverständlich sind Sie gegen Impfschäden voll über den Staat versichert. Informationen im Internet suchen ist wie Wasser aus einem Feuerwehrschlauch trinken (und man weiß nichtmal wo es herkommt) – aber Ihr Haus- oder Kinderarzt kann Ihnen die Details gerne erklären. Zu diesen gehört es auch, die Impfungen und Impfempfehlungen jedes Jahr neu zu bewerten – das tut die staatliche, unabhängige STIKO (die ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts) und passt sie dementsprechend an. Da wir hierzulande keine Impfpflicht haben steht ‚Empfehlung‘ drauf – wie ihre Krankenversicherung das bewertet hört sich aber ganz anders an… Zwei Beispiele die Sie vielleicht mitbekommen haben: bis vor etwa fünfunddreißig Jahren war es noch üblich, gegen die Pocken zu impfen – seitdem es die nur noch als Biowaffen gibt tut man das nicht mehr. Desgleichen gab es bis vor etwa zwanzig Jahren noch eine Schluckimpfung gegen Polio – heutzutage ist die Polio so selten, daß der weniger effektive, aber verträglichere Totimpfstoff stattdessen gespritzt wird. Der Rest der Beispiele die mir einfallen sind Feinheiten die nur Asienreisende wohl mitbekommen – aber es wird wie gesagt jährlich neu gemacht.

    Sind sieben Antigene auf einmal nicht zuviel für ein Baby?
    Der durchschnittliche Schnupfen hat etwa zwanzig bis dreißig Antigene – ein normal gesundes Baby hat etwa zwanzig banale Infekte im Jahr. Hier braucht man sich keine Sorgen machen, wirklich nicht. Zumal heutzutage die Impfstoffe isolierte Antigene – also nur das typische Eiweiß für die Krankheit, nicht die Krankheit selbst – sind. Sie schützen trotzdem zuverlässig, die Antikörper finden sich ausreichend wieder. Im Gegenteil schützen Impfstoffe, die nicht entweder simultan (gleichzeitig) oder in einem bestimmten Mindestabstand verabreicht werden nicht zuverlässig, weil auf das zweite Antigen dann nicht genügend Antikörper gebildet werden. Deswegen ist – diesen kurzen Exkurs wollte ich schon oben bringen – wer sich zum Schnupfen eine Lungenentzündung dazueinfängt wirklich krank, bekommt wer einen Husten hatte öfter gleich den nächsten hinterher und kann das menschliche Immunsystem HI-Viren nicht aus dem Körper eliminieren. Aber das führt jetzt zu weit.

    Warum sind soviele unzureichend gegen die Masern geimpft?
    Wer nach 1975 geboren ist, sollte sich zweimal impfen lassen, weil der neuere Impfstoff doch nicht lebenslang hält (wie zunächst gedacht), sondern mit einer Impfung nur etwa 15 Jahre und erst mit einer Auffrischung wirklich dauerhaft (hier zählt trotzdem jede Impfung, auch wenn die erste schon länger als 15 Jahre zurückliegt). In den neueren Empfehlungen ist das drin – das wissen aber viele Erwachsene nicht. Relativ vielen kann ihr Arzt das noch anlässlich einer Auslandsreise sagen (wenn er den Impfpass mal zu sehen bekommt); die ’normalen‘ Auffrischimpfungen gegen Tetanus etc. werden öfter vernachlässigt als gut ist. (Bei der Gelegenheit: Selbst bin ich übrigens weil ich relativ viel in der Weltgeschichte herumreise außer gegen Tollwut gegen fast alle Krankheiten geimpft wo das möglich ist: ja, das mache ich auch selbst, was ich da empfehle).

    Warum weiß man relativ wenig über die Wirkung von Medikamenten bei Kindern und Schwangeren?
    Gegenfrage: Würden Sie etwas an Kindern und Schwangeren ausprobieren? Damit etwas beurteilt werden kann müssen es etwa fünftausend Leute schon genommen haben. In diesen speziellen Fällen ist man aber lieber vorsichtig und probiert das nicht (wie in Arzneimittelstudien) einfach so mal aus. Übrigens können mit den modernen Spaltimpfstoffen auch Schwangere geimpft werden – seitdem die gentechnisch hergestellt werden. Aber was für ein Segen es ist die Krankheit selbst nicht mehr zu brauchen um einen Impfstoff herzustellen sondern Bäckerhefe das biotechnologisch machen zu lassen wollten Sie jetzt wahrscheinlich nicht hören, weil Gentechnik ja Teufelszeug ist. Millionen Menschen die als Ungeborene nicht von ihren Müttern mit Röteln angesteckt werden konnten weil die Mütter sie nicht bekommen konnten weil sie geimpft waren und die deshalb nicht schwerbehindert sind sehen das wohl anders.

    Aber die Masern haben doch bestimmt einen natürlichen Sinn?
    Ja. Der Sinn der Masern ist der Arterhalt der Masernviren! Masernviren sind keine knuffeligen anthroposophischen Entwicklungshelfer, die Kindern quasi zu einer Art ‚Häutung‘ beim erwachsenwerden verhelfen, sie ganz natürlich weiterbringen und ihren Platz im Plan in der weisen, guten, sanften Natur haben:
    Masernviren. Wollen. Sie. Umbringen. Und schaffen das auch bei Millionen von Menschen. Jedes einzelne verdammte Jahr. Natur ist jeder gegen jeden. In der Natur muß jeder so schnell rennen wie er nur kann, um am gleichen Platz zu bleiben. Viel zu oft leider schneller.

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  10. an aururola a.
    Deinen o.a. Kommentar habe ich ausgedruckt, auf din a winzig formatiert, laminiert und zum kleinen Büchlein gebunden. Der ist jetzt immer in meiner Brieftasche. Das ist sooo gut! Danke!!

    an gnaddrig
    ich finde es gut, wie Du in Deinem Blog zwischen netten Nichtigkeiten und kleinen amüsanten Aufregerchen immer wieder mal so was richtig Wichtiges einstreust. Ich mag das Blog sehr!

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  11. Hallo schnecke,

    vielen Dank für die netten Worte!

    Nur über Tiefsinniges oder Weltbewegendes oder Ernsthaftes zu schreiben wäre mir zu anstrengend und irgendwie auch zu langweilig. Da wäre es schade um die ganzen kleinen Schrägheiten des Alltags. Andererseits gerate ich immer wieder an Themen, die ich wichtig finde und die ich nicht nur deshalb würde aussparen wollen, weil sie zu ernsthaft sind.

    Das Leben selbst ist ja meist auch so eine wilde Mischung aus den verschiedensten Elementen, da hat das alles seinen Platz, und so kommt eben der Inhalt hier zustande. Es macht Spaß, zu schreiben, was mir vor die gedankliche Flinte kommt und die Beiträge zu veröffentlichen wann ich will oder wenn sie fertig sind.

    Jedenfalls freut es mich, wenn es funktioniert und jemand hier gern mitliest 🙂

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  12. @ aurorula a: Vielen Dank für Deinen Kommentar, das ergänzt meine Ausführungen mit ein bisschen einschlägigem Fachwissen. Sehr nützlich!

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In den Wald hineinrufen

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