Gestern hat mich dieses Foto von Berlinographics an das alte Röhrenradio meiner Großeltern erinnert. Das war ein Schaub-Lorenz Phonosuper 59, ein bierkastengroßes Möbel mit vielen Tasten, Knöpfen, Drehreglern und einem Plattenspieler unter dem Deckel. Das Ding stand zeit meiner Kindheit ungenutzt auf dem Kleiderschrank, man hatte ja seit Mitte der 60er Jahre einen Fernseher und ein tragbares Transistorradio für den Alltag.
Das Phonosuper konnte natürlich UKW, KW, MW und LW, hatte wie berlinos Gerät auf der von hinten beleuchteten Frontscheibe tausend Markierungen für bestimmte Radiosender, die großenteils durch Städtenamen gekennzeichnet waren. München, Belgrad, Monte Carlo… Da frage ich mich jetzt: Wie langfristig waren damals die Frequenzen vergeben, dass man diese Information den Geräten dauerhaft und praktisch nicht korrigierbar mitgab?
Irgendwann haben wir das Trumm dann geerbt, da muss ich so 12 oder 13 gewesen sein. Ein paar Jahre lang hatte ich es in meinem Zimmer stehen, und ich habe den Kasten geliebt. Radiohören war damit nämlich ein Abenteuer, da wehte wirklich der Duft der großen weiten Welt aus den Lautsprechern. Ein bisschen wie bei den Flugkapitänen oder Seeleuten, die man gelegentlich von ferne auf dem Bahnhof sah.
Und dieses behäbige Großvaterradio hatte Reichweite. Man konnte auf Kurz-, Mittel- und Langwelle bei günstigen Wetterverhältnissen und zur richtigen Tageszeit sehr weit entfernte Sender empfangen. Nicht gerade Australien, aber deutlich hinter den Horizont kam man schon. Sender also, an die man in der kleinen UKW-Welt nie herangekommen wäre. Das fand ich faszinierend, obwohl ich mich trotzdem nicht zum Funkamateur berufen fühlte.
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Neben der Möglichkeit, in fernen Ländern vorbeizuhören, fand ich den Umgang mit dem Gerät selbst reizvoll. Ich will den Bedienkomfort, die Tonqualität und die vielen Möglichkeiten heutiger Radios und sonstiger Unterhaltungselektronik nicht missen, aber dieses alte Trumm hatte jede Menge Charakter. Die Bedienung war ein sinnliches Vergnügen.
Das fing beim Einschalten an: Die Glühlampen im Innern gingen sofort an, es knackte leise in den Lautsprechern. Dann kam das magische Auge langsam zum Leben und fing an, leuchtfarbengrün zu phosphoreszieren. Nach ein oder zwei Minuten kamen die Röhren auf Betriebstemperatur, und damit kam dann auch der Klang, wurde langsam lauter bis zum Erreichen der eingestellten Lautstärke.
Aus dem Inneren des Gehäuses roch es leicht staubig und vage nach Elektrik, und man sah durch die Lüftungslöcher in der Rückwand das Glühen der Röhren. Die Tasten haben ein wenig geknarzt, der Druckpunkt deutete sich durch die steigende Federspannung an, kam dann aber doch immer unverhofft – ein scharfes Schnappen, wenn der Haken die Feder freigab, bei jeder der Tasten ein wenig unterschiedlich. Die Drehregler waren recht schwergängig, hatten ein ganz bisschen Spiel, und am Ende des Spektrums merkte man, wie die Fäden, an denen die Zeiger hingen, sich spannten, wenn man versuchte, weiterzudrehen.
Vier Wellenbänder hörten sich etwas unterschiedlich an, die Tonqualität variierte und die Hintergrundgeräusche, das Pfeifen, Rauschen, Knattern klangen anders. Ich erinnere mich noch an Experimente mit langen Drähten als Antennen, an die Mühe, schwache Sender halbwegs hörbar einzustellen, immer auf der Suche nach der erträglichsten Mischung zwischen gutem Klang und Rauschen oder Pfeifen.
Und zumindest bei gutem Empfang war die Tonqualität durchaus nicht zu verachten. Vielleicht nicht Hi-Fi nach heutigem Standard, für Alice Cooper sicher eher ungeeignet. Aber für Nachrichten, Fußballübertragungen und nicht allzu laute Musik war das schon ganz angenehm. Die Brandenburgischen Konzerte klangen darauf ganz nett.
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Mit diesem Radio habe ich tatsächlich die Welt entdeckt. Bis in die 80er Jahre war es noch üblich, dass das Radioprogramm vieler Sender, zumindest der staatlichen in Europa, um Mitternacht mit der Nationalhymne endete oder dass zumindest die Nationalhymne abgespielt wurde. Danach lief dann im Fernsehen das Testbild, und im Deutschlandfunk (Standardsender meiner Großmutter, und sie vergaß abends gelegentlich, ihr kleines Radio auszuschalten) konnte man oft ziemlich lange das Pausenzeichen hören, alle paar Sekunden. (Hier gibt es übrigens alte und aktuelle Pausenzeichen aus aller Welt, nach Ländern geordnet. Sehr schön, die Sammlung!)
Mitternacht war für mich mit 12 oder 13 Jahren noch wirklich spät. So lange aufzubleiben hinterließ immer eine Mischung aus Aufregung und schalem Nachgeschmack – die Müdigkeit morgens wegen der kurzen Nacht und der oft dann doch ziemlich mageren Ausbeute.
Jedenfalls habe ich eine Weile lang so manchen Abend alle möglichen Sender gesucht, die Sprache zu identifizieren versucht und dann Mitternacht abgewartet, um die jeweilige Nationalhymne zu hören. Nicht wegen der Hymnen an sich (obwohl die oft ganz hübsch sind, die Hymne der Tschechoslowakei beispielsweise finde ich rein von der Musik her immer noch sehr schön), sondern um „Länder“ zu sammeln.
Von den Nationalhymnen einiger europäischer Länder hatte ich die Noten, und ich hatte mir eine Langspielplatte „Nationalhymnen der Welt“ zugelegt, wo noch weitere drauf waren, ich hatte also einen einigermaßen gut bestückten Fundus zum Vergleichen.
Welche und vieviele Nationalhymnen ich beim nächtlichen Ätherfischen tatsächlich erwischt habe, weiß ich nicht mehr, ich habe darüber nicht Buch geführt. Aber Tschechoslowakei, Polen, UdSSR und noch ein paar Ostblockländer waren dabei. Westen war eher langweilig, da war ich ja selber.
Das Radio ist irgendwann kaputtgegangen, eine Röhre durchgebrannt oder sowas in der Art. Die eigentlich vorgesehene Reparatur habe ich ewig vor mir hergeschoben, und dann muss es bei irgendeinem Umzug unter die Räder gekommen sein, es ist jedenfalls weg. Schade, aber die Erinnerungen sind schön…
Moin Moin,
Danke erst einmal für die Verlinkung.
Die alten Radios haben einen super Klang!
Schöner Beitrag, ich beschäftige mich auch ab und an noch mit Radio auf Frequenzen von 500kHz bis 26mHz. Habe zwei Röhrenradios und ein Yaesu FT-817.
Auch heute noch kommt auf Deutschlandfunk (Langwelle) vor null Uhr die Europahymne und da nach die Deutsche Nationalhymne.
Liebe Grüße,
Benny
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Ich habe schon lange nicht mehr auf diese Art Radio gehört, Programmschluss gibt’s ja auch in dem Sinn nicht mehr wirklich, und ob oder wann da noch Nationalhymnen kommen, hätte ich gar nicht sagen können.
Als Unterhaltung liegt mir Radio nicht so, ich steuere lieber selbst, was ich wann höre. Und das alte Röhrenradio hatte ich fast völlig vergessen bis Dein Bild mich wieder dran erinnert hat. Das gibt die Stimmung schön wieder, die so ein Gerät verbreitet. War ein netter Ausflug in die Vegangenheit 🙂
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Als ich ein Kind war, hatten wir auch so ein Radio – allerdings lag es unangeschlossen im Keller, und meine Abenteuerlust äußerte sich darin, dass mein Nachbar und ich das Radio eines Nachmittags per Schraubenzieher in seine Einzelteile zerlegten. Das dauerte einige Stunden und machte immerhin soviel Spaß, dass mir das heute noch in Erinnerung geblieben ist 🙂
Radiohören entdeckte ich ein paar Jahre später, so mit 14. Da wohnte ich (wieder) in Deutschland, bei Frankfurt, und hatte ein Radio mit Doppelkassettdeck im Zimmer. Ich hörte abends AFN rauf und runter: hard-boiled Krimi-Hörspiele, den wundervoll anzuhörenden superstockkonservativen Kommentator Paul Harvey, American Top 40, ach, war das schön.
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Kurzwelle mit meinem 80er-Jahre-Ghettoblaster (Sharp GF-7300) war klangtechnisch nicht so der Hit… erst irgendwann 1988 probierte ich das mal aus und staunte nicht schlecht, als ich (wohnte auch damals in Köln) den DDR-Rundfunk reinbekam – Nachrichten, es ging um Südafrika, und der Sprecher sprach ganz unverblümt von „Rassistenpolizei“… aber mein ultimativer Sehnsuchts-Sender (was mag das das wohl gewesen sein? ;-)) war mit dem Teil nicht zu hören, da hätte es schon einen richtigen mehrbandigen Weltempfänger gebraucht.
Übrigens gab es zu jener Zeit auch mal ein Radio-Feature auf WDR über Kurzwellen-Freaks… und diese Sendung begann tatsächlich mit der Begrüßungsfanfare des deutschsprachigen Programms von…
…Radio Afghanistan!!!
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