Gestolpert

Neulich bin ich auf Spektrum.de über einen Text gestolpert, wo in der Einleitung etwas nicht stimmt. Es ist eigentlich keine große Sache, aber ich störe mich an sowas dann doch. Das sieht so aus:

Erdnüsse, Fisch oder Eier – über 170 allergieauslösende Nahrungsmittel sind bekannt. Doch ihr Ursprung ist oft noch ungeklärt, und eine Heilmethode gibt es nicht. Wir beantworten die wichtigsten Fragen über die Volkskrankheit (Screenshot)

Man weiß also von „über 170 allergieauslösenden Nahrungsmitteln“ nicht, wo sie herkommen? Das glaube ich kaum. Was man hier nicht weiß ist natürlich, wo die Allergien herkommen bzw. wie diese Nahrungsmittel Allergien auslösen.

Rein grammatisch bezieht sich der zweite Satz auf Nahrungsmittel, inhaltlich spricht er aber über die von den Nahrungsmitteln ausgelösten Allergien. Erstaunlicherweise ist der Text trotzdem gut verständlich. Man muss nicht lange nachdenken, um ihn zu verstehen, aber fehlerhaft formuliert ist er doch.

Ich finde es wichtig, sich einigermaßen präzise auszudrücken. Oder genauer: Möglichst genau das zu sagen, was man sagen will. Was man sagt oder schreibt sollte vor allem an den Stellen präzise, grammatisch korrekt und folgerichtig sein, an denen wichtige Aussagen stehen; der für das Verständnis der Aussage nicht wesentliche Rest kann ja ruhig vage bleiben.

Nun muss man, um präzise formulieren zu können, was man sagen will, sich selbst überhaupt erstmal im Klaren sein, was man denn genau ausdrücken will. Man braucht den roten Faden, an dem entlang man schreiben will. Viele Leute, so mein Eindruck, haben den nicht, oder es ist eher eine rote Staubspur im Sand bei böigem Seitenwind.

Natürlich schaffe ich es selbst auch nicht, mich in allen wichtigen Dingen immer eindeutig, folgerichtig und verständlich zu artikulieren. Es ist dies also ausdrücklich kein Artikel, wo ein Überflieger (ich) den gewöhnlichen Normaldummköpfen (alle anderen) erklärt, wie es richtig ginge und wieso sie das sowieso nie schaffen werden. Ich habe meine eigene Nase fest im Griff, während ich dies hier schreibe.

Oft genug kommen Autoren beim Überarbeiten ihrer Texte in eine Art Betriebsblindheit, die sie erstaunliche Fehlleistungen nicht bemerken lässt. Man ist dann derart im Thema drin, dass man nicht mehr ohne weiteres sieht, welches Vorwissen der unbedarfte Leser mitbringt und wo man die Leute dann einfach überfordert und abhängt. Ich stolpere jedenfalls immer wieder mal über Passagen aus meiner eigenen Tastatur, die längst nicht so elegant, schlüssig und verständlich sind, wie ich mir das seinerzeit vorgestellt hatte.

Ansonsten kommen viele Holperigkeiten in Texten auch durch Kürzungen und Umstellungen zustande, die oft nicht die Autoren zu verantworten haben, sondern Chefredakteure oder Herausgeber. Man hat in Zeitungen immer mal wieder Texte, wo offensichtlich Brocken herausgeschnitten wurden und nachfolgende Passagen, die sich auf diese entfernten Stücke beziehen, in der Luft hängen bzw. ins Leere verweisen. Sowas stört den Lesefluss, manchmal fehlen wichtige Informationen, es ist bestenfalls nervig, schlimmstenfalls verfälscht es die Aussage. (Leider habe ich dafür gerade kein Beispiel greifbar.)

Und als Übersetzer sitze ich dann oft genug mit solchen losen Fäden und löcherigen Textgeweben da und muss beim Autor nachfragen, was er denn nun wirklich gemeint hat. Wenn ich den Autor nicht erreichen kann oder er mir nicht weiterhelfen will, was beides durchaus vorkommt, muss ich es eben erraten aus dem Zusammenhang erschließen, und das birgt hohes Fehlerpotenzial. Im Zweifelsfall heißt es hinterher nämlich, der Übersetzer hat gepennt oder von vornherein keine Ahnung gehabt. Und das mag ich nun wirklich nicht auf mir sitzen lassen. Ich mache schon genug eigene, echte Fehler, da muss ich mir nicht noch die Schludrigkeiten und Fehler von Leuten ankreiden lassen, die vor mir in der Nahrungskette sitzen. Man hat ja dann doch gewisse Standards!

Außerdem mag ich gutgeschriebene Texte. Macken wie die oben erwähnte mit den Allergien finde ich zwar manchmal witzig und oft interessant, beim Lesen aber meistens nervig. Je weniger ich davon selbst vorgesetzt bekomme, desto besser. Und deshalb will ich selbst auch möglichst wenig davon produzieren. Missverständnisse und schlechte Laune gibt es schon genug auf der Welt.

 

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

4 Kommentare zu „Gestolpert“

  1. Überdies kann sich in dem Satz »über 170 allergieauslösende Nahrungsmittel sind bekannt. Doch ihr Ursprung ist oft noch ungeklärt« der ungeklärte Ursprung genaugenommen nur auf eine Allergie beziehen. Sonst müsste es ja heißen »allergienauslösende« (oder »Allergien auslösende«) Nahrungsmittel.

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  2. Naja, man könnte argumentieren, dass jedes dieser 170 Lebensmittel nur eine Allergie auslöst. Dann wäre allergieauslösend für jedes dieser Nahrungsmittel korrekt, auch wenn man wie hier eine Aussage über alle 170 macht.

    Oder man fasst Allergie als Sammelbegriff auf, wie Krebs, der ja auch nicht eine einzige Krankheit ist, sondern der Oberbegriff für viele verschiedene bösartige Tumoren mit unterschiedlichen Ursachen, Verläufen und Behandlungsmöglichkeiten. Dann wäre allergieauslösend ebenfalls korrekt, selbst wenn mindestens ein Lebensmittel mehr als eine spezifische Allergie auslöst.

    Und man kann weiter argumentieren, dass man sich mit ihr Ursprung gesondert auf jede einzelne Allergie bezieht, die durch eines dieser Lebensmittel verursacht wird und dass ihre Ursprünge dahingehend missverstanden werden könnte, dass die jeweilige Allergie mehrere Ursprünge hat, während man ja eine Aussage über den einen Ursprung jeder einzelnen einer größeren Menge von Allergien machen will.

    Allerdings kann man, wenn noch nicht bekannt ist, wie Allergien nun wirklich entstehen, noch keine Aussage darüber machen, ob eine (egal welche) Allergie nun genau einen Ursprung hat oder mehrere Ursprünge bzw. Verursacher. Deshalt wäre ihre Ursprünge geschickter gewesen (ein einzelner Ursprung ist ja nur ein Sonderfall von n Ursprünge).

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  3. Naja, die Erdnuss zum Beispiel. Wer weiß schon, wo sie genau herkommt? Aus der Erde? Vom Nußbaum oder -strauch? Rätsel schon hier! Vielleicht tut sie ja nur so, als wüchse sie unschuldig auf irgendeinem Feld und steigt in Wirklichkeit aus den Tiefen des Orkus auf, um uns alle mit roten Pusteln zu verseuchen? Und die Milch? Kuh, Ziege, Schaf oder doch Supermarktregal?

    Die tiefen Mysterien der allergenen Lebensmittel…

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In den Wald hineinrufen

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