Abscheußlichkeiten

Seit einiger Zeit sieht man vermehrt Hüte auf der Straße. Alle möglichen Leute tragen Hut. Nicht Basecap, nicht Stetson, nicht Touristenhut, sondern den altmodischen Herrenhut. Trilby heißt die Sorte Hut wohl, und ich fand die schon immer eher witzlos. Verschnarchtes Accessoire einer zum Glück kaum noch relevanten Tradition. Die Zeiten, wo der zivilisierte Herr das Haus nur in grauem Straßenanzug und selbstverständlich mit Hut verließ, sind lange vorbei. Über Fedoras mit etwas breiterer Krempe kann man reden, aber diese Hütchen finde ich einfach nur bescheuert.

Das muss eigentlich niemanden weiter interessieren, das ist ja alles eine Frage des persönlichen Geschmacks, und der Geschmack ist frei wie die Gedanken. Aber wenn Leute keinen haben, ist das leider nicht deren Problem, sondern das Problem der Allgemeinheit. Sie merken ja meistens gar nicht, was sie ihrer Umwelt da antun. Gewöhnlich ärgere ich mich im Stillen über solche Verirrungen, aber in den letzten Wochen waren es zu viele. Und gestern habe ich auf dem Weg zum Bahnhof einen gesehen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das muss jetzt einfach raus, Aufschrei der gequälten Kreatur und so.

Also: Ein kleiner, schmaler Kerl im angeschmuddelten Traningsanzug. Spiegelbrille. Smartphone so groß wie ein Frühstücksbrettchen in der einen Hand, Halbliterdose Energydrink in der anderen. Vor eingebildeter Coolheit fast am Hintenüberkippen, während er mit lauter Stimme ins Telefon rappelt, was er heute noch alles vorhat. Das ganze gekrönt von einem kleinen grauen Hütchen auf dem Kopf. Verkehrtherum.

Manche tragen diese Hüte immerhin mit ein wenig Stil. In der Stadt sehe ich gelegentlich einen, der sich in seiner Kleidung sehr konsequent am Shabby Chic orientiert, mit irgendwelchen vintage Jeans oder auf alt gemachten Tuchhosen, altmodischen Jacketts, wohl absichtlich abgewetzten Qualitätsschuhen, einer ebenfalls sichtlich gebrauchten Ledertasche. Der führt in loser Folge diverse Filzhüte spazieren. Natürlich nie brav gerade aufgesetzt, sondern immer „frech“, schief, zur Seite verdreht, oft weit in den Nacken geschoben, die Krempe meistens auch vorn hochgeklappt. Finde ich reichlich albern, obwohl der wenigstens stimmig gekleidet ist und die Kopfbedeckung zum Rest passt.

Andere scheinen einfach nur dem aktuellen Trend hinterherzutrampeln und tragen eben Hut, weil es in ist, ganz egal ob es zur restlichen Kleidung passt. Tut es meist nicht, das sieht oft ungeschickt zusammengewürfelt aus, wie Springerstiefel zum Anzug („Großer Dienstanzug“) oder rote Krawatte zum orangenen Polohemd. Ich finde sowas peinlich, hohes Fremdschämpotenzial, eine unnötige Belastung des öffentlichen Raums mit schlechtem Karma, ähnlich wie die akustische Umweltverschmutzung durch zu laute Musik auf schlechten Ohrhörern oder Leute, die einen in der Fußgängerzone um Unterschriften angehen oder zur Teilnahme an irgendwelchen blöden Werbeaktionen irgendwelcher egalen Läden animieren wollen. Nervtötend, völlig unnötig, dabei vermeidbar.

Den Drang, ständig irgendwelche vermeintlich stylischen (auch so ein Lieblingswort von mir – stylish und shoppen gehören in den Olymp der lexikalischen Kotzbrocken!) Kopfbedeckungen tragen zu müssen, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich selbst mag nichts auf dem Kopf haben und trage nur Mütze oder Hut, wenn es witterungsbedingt gar nicht vermeidbar ist. (Dasselbe gilt übrigens für Schals, trage ich nur wenn es gar nicht anders geht; wie man freiwillig ohne zwingenden Grund gewohnheitsmäßig Halstücher und so Zeug tragen kann, ist mir ein Rätsel!)

Wieso Leute auch im Sommer mit dicken Strickmützen im halben Seesackformat herumlaufen, verstehe ich nicht. Ist es nicht ohne schon zu warm? Wozu dann den Kaffeekannenwärmer? Außerdem sieht man dann den ebenfalls hippen Dutt nicht, den sich viele Kerle jetzt stecken. Auch das sieht meiner Meinung nach in 9 von 10 Fällen albern, aufgesetzt und daneben aus. Völlig lächerliche Mode, das.

Und Badelatschen, alle Welt läuft jetzt in Badelatschen durch die Straßen. Vor zwanzig Jahren hätte man sich mokiert, man sei doch hier nicht in Afrika oder so, und jetzt spielen sie jeden Tag Strand und von überall kommt ständig das schmatzende Geräusch bei jedem Schritt, den diese Verirrten tun. Ganz schlimm sind Badelatschen mit Socken, das erspart einem zwar das eklige Geräusch, ist aber ansonsten eine ästhetische Katastrophe.

Aber zurück zum Herrenhut. Manchmal (s.o.) wird er ja verkehrtherum getragen, das hintere Ende nach vorn. Und da hört der Spaß dann endgültig auf. Schon Basecaps sehen idiotisch aus, wenn der Schirm nach hinten zeigt. Naja, Basecaps sehen immer idiotisch aus, ich sehe überhaupt keinen Grund, sowas überhaupt zu tragen, wenn man nicht gerade Baseball spielt, und selbst dann…

Der Herrenhut, verkehrtherum aufgesetzt und weit in den Nacken geschoben, sieht jedenfalls noch idiotischer aus, das ist dann wirklich der Untergang des Abendlandes. Das ist wie Zigaretten hinter dem Ohr, wie Cocktails vor Sonnenuntergang, wie Instantkaffee mit Heißwasser aus dem Wasserhahn, wie gutgekühlter Rotwein to go, oder wie Highway To Hell als entlärmte Spieluhrversion für Babys oder, noch schlimmer, als Dance-Mix. Furchtbar. Abendland, Ende.

*reitet bruddelnd, die Toga um sich gerafft, den Staub von den Füßen schüttelnd auf dem hohen Ross des guten Geschmacks stilsicher in den ästhetisch nicht zu beanstandenden Sonnenuntergang (schnell, schnell, bevor ein Postkartenfotograf die perfekte Szene verdirbt oder die Klischeepolizei kommt!)*
*geht schaudernd ab*

 

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

17 Kommentare zu „Abscheußlichkeiten“

  1. Muss wohl 🙂

    Die Blues-Brothers-Nachahmerwelle hatte ich damals auch schon doof gefunden, und nur wenige haben es geschafft, als Jeff-Bridges-Lookalike nach The Big Lebowski nicht ungewollt komisch auszusehen…

    Like

  2. Ich glaube, Kopfbedeckungen sind das, was ich an der Sommerbekleidung am wenigsten bemängele. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass mir die von Dir beschriebenen Hüte hier noch gar nicht aufgefallen sind. Davon abgesehen, ich ziehe Frühling und Herbst den Jahreszeiten mit extremen Temperaturen sowieso vor, aber die Hitze ist nicht der einzige Grund für mich aufzuatmen, wenn der Sommer sich seinem Ende zuneigt. Auch dass Unschönes dann wieder von Textilien bedeckt wird erleichtert mir das Leben im öffentlichen Raum. Und vielleicht widme ich mich dann mal der Betrachtung von Hüten. Aufsetzen werde ich keinen. Ich hab‘ kein „Hutgesicht“. Und vom ständigen Tragen von Schals kann man Frauen nur abraten. Böse Menschen vermuten darunter einen Hals, der noch mehr an den einer Schildkröte erinnert, als dies tatsächlich der Fall ist.

    Like

  3. Bei Schals und Halstüchern geht es mir allerdings nur darum, wie es sich für mich als Träger anfühlt. Es gibt genug Leute, denen sowas steht, und da störe ich mich dann auch überhaupt nicht dran. Nur mir soll niemand so Zeug umhängen.

    Ein böses Kompliment an schaltragende Frauen ist ein Päckchen Jodsalz oder irgendein extra jodierter Nahrungsmittelzusatz. Jodmangel führt zu größerer Neigung zur Kropfbildung, weshalb, habe ich mal gelesen, in Gegenden wp generell Jodmangel herrscht, typischerweise ein Kropfband für die Frauen zur Tracht gehört. Keine Ahnung ob’s stimmt…

    Like

  4. Ich trage Hut. Gerne. Ich fühle mich fast nackt ohne draußen.
    Dabei liebe ich die Verbindung aus Sonnen-, Regen- und Windschutz. Deine Gefühle zum Trilby teile ich also – er bietet nichts davon…

    Like

  5. Regen- und Windschutz kann ich nachvollziehen. Sonne? Da schwitzt man doch unterm Hut noch mehr? Egal, ich muss ja nicht 🙂

    Like

  6. Na prima, da hast du ja einen wunderbaren Rundumschlag geschafft. Wenn man mich gefragt hätte, hätte ich gar nicht so schön aufzeigen können, obwohl die jeweiligen “ Maschen“ zum Teil schon haarsträubend sind. Das hindert mich aber nicht daran, manche dieser Unsitten mit zu machen, da sie gefällig sind, aber natürlich früher undenkbar gewesen wären, ein „no go“, wie man so schön sagt.
    Na denn.

    Like

  7. Klar macht man selbst auch Sachen, die andere doof finden. Und was möglich und was unmöglich ist, verschiebt sich mit der Zeit natürlich. Viele Maschen, könnte ich mir vorstellen, nehmen die Teilnehmer vielleicht nicht einmal als solche wahr. Man hat ja doch immer so eine Art Filter, durch den man alles sieht.

    Davon abgesehen gilt natürlich wie immer (Rundumschlag, noch eins drauf): Ich hab recht. Alle doof außer mir (und denen, die die Dinge wie ich sehen/machen) 😉

    Like

  8. Mach mal Urlaub, lieber Gnaddrig.
    Und bleib im Schatten.

    Und bitte, das meine ich ganz ernst – lass Deine Kinder nicht mit ungeschütztem Kopf in der prallen Sonne spielen.

    Like

  9. Urlaub? Ist schon unterwegs. Du erwischst mich praktisch wenige Minuten vor der Abreise. Ich habe auch vor, mich überwiegend im Schatten aufzuhalten. Und das mit dem Sonnenschutz für die Kinder kriege ich auch hin.

    Aber Trilbys, Badelatschen und Herrendutts werde ich hinterher immer noch nicht mögen 😉

    Like

  10. Ich wünsche Dir und Deiner Familie einen wunderschönen Urlaub.
    Und ich bin sicher, dass Trilbys, Badelatschen und Herrendutts Dich beim Erholen nicht beeinträchtigen werden. Dafür bist Du eigentlich viel zu souverän.

    Like

  11. Es gibt seltsame Worte, etwa Rückkopplung, das gar nichts mit dem Rücken oder gar mit einem Kopp zu tun hat, oder Entsorgungspark, der überhaupt nichts mit keiner Sorge und auch nichts mit einem Park zu tun hat, oder Trilby, das als Wort mit gar nichts etwas zu tun hat.

    http://www.gucci.com/ch/styles/245935FO2304074#

    Aber immerhin sieht dieser Hut, der Trilby heißt, nicht üüüüberhaupt übel aus.
    Heißt er so?
    Wie heißt man so als Hut?
    Vielleicht weiß er nur nicht, dass er so heißt, und sieht deswegen so aus?, hingegen ein Hut, der weiß, dass er so heißt, sieht dann so aus, wie er heißt?

    Ich glaube, mein Hut heißt so. Ob er es nun weiß oder nicht. Dann wird er ein Trilbyhut sein, wenn er denn so aussieht wie einer. Und ich mag ihn. Weswegen ich mich jetzt hier hutmäßig voll in die Nesseln und mitten in die kollektive Meinung setze, sofern Letzteres denn geht, nein?

    Jedoch mein Hut ist naturgemäß nicht von Gucci (der auf dem verlinkten Foto), und hat noch viel naturgemäßer keine 250 Tacken gekostet, denn soviel Behütung ist ja kaum ein Hirn Wert, aber er sieht genauso aus wie jene legendäre, nein die allergegendärste Hutlegende von Gene Hackman in French Connection (1971).
    Die er da aufhat immerzu. Diese Legende von Hut.
    *schweigt ergriffen*

    Kennt hier einer diesen Film nicht?, also man kennt den Film doch justement wegen dieses Hutes. DER Hutfilm schlechthin, dieser. Der Hut, also dieser!, macht diesen Film. Dieser Film und Gene Hackmann himself leben und sterben mit diesem Hut.

    Ein völlig wahnsinniger Hut, dieser Hut. Weswegen ich ihn mir ja zulegte einst, eben deswegen!, denn eine Existenz ohne einen solchen Hut, so als Mensch, wird erst zu einer menschlichen Existenz mit einem solchen Hut, denke ich. Vorher ist es bestenfalls eine Art Präexistenz.

    Weswegen es mich ja nun in einigermaßen existenzielle Selbstzweifel wirft, ja nachgerade ziemlich verstört, dass just dieser Hut so ein neokonservativistisch-hyperhippes, schnurrbärtchengleiches Dingens für angeschmuddelte Trainingsanzügespazierenträger sein soll.

    Like

  12. @ schnecke: Danke. Hast recht, wirklich stören lasse ich mich davon normalerweise nicht.

    @ Aristobulus: Doch, den habe ich wohl mal gesehen, den Hutfilm. Und hast recht, da ist ein bisschen Ergriffenheit durchaus angemessen.

    Ich mag ja diese Sorte Hut wirklich nicht so, auch das erlesene Gebilde von Gucci nicht, aber es gibt natürlich Leute bzw. Situationen wo sowas hingehört oder wenigstens hinpasst. Ob das dann eine handgefertigte Kostbarkeit von einer Edelhutmacherei oder ein billiges Pressdreckerzeugnis aus Brauereiabfällen ist, ist da fast schon nebensächlich (zum Glück riecht man im Film nichts, und durch geschickte Belichtung kann man Dinge sehr schön aufhübschen).

    Bedauerlich ist natürlich, dass man keinen Einfluss darauf hat, wer mit welchen Lieblingssachen von einem welchen Schindluder treibt. Da braucht man dann – und ich sage dies im vollen Bewusstsein meines Glashausdaseins – ein dickes Fell.

    Was die kollektive Meinung angeht, der tut es bisweilen ganz gut, wenn sich einer da mit Schwung reinsetzt. Man wird sonst so selbstzufrieden und denkfaul, und das ist selten gut 🙂

    Like

  13. Ich bin ja selber ein Schirmmützen-Freund, allerdings halt im Stil meiner Jugend, d.h. eher unauffällig und mit gebogenem Schirm. Dazu Jeans und T-Shirt, früher. Heute häufig Chinos und Polo, ich werde halt auch gesetzter. Obwohl ich immer noch Baseball-T-Shirts liebe, also die, mit den farblich abgesetzten Ärmeln.
    Jedenfalls tun mir diese riesigen glänzenden Schirmmützen (heute Basecaps genannt) mit riesigem plattem Schirm, auf dem man einen Teller ablegen könnte, in der Seele weh. Zusammen mit dem Schmerz über glänzende Turnhosen in der Öffentlichkeit (wir nannten die früher „Schnell-F**k-Hoses“) und dem dazu passenden Asi-Slang muss ich da ganz schön leiden. Wie die Szene auch noch Snoopy und Rotwein und Mathematik für sich entdeckt, dann ist es Zeit für mich abzutreten.

    Like

  14. Ich weiß schon , ich bin Beatles, du Stones 🙂 Aber ich haue dich deswegen nicht mit meiner Gehhilfe. Und ich höre auch gerne mal die alten Steine rollen 🙂

    Like

In den Wald hineinrufen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..