Potemkinsche Flughäfen

Die Geschichte des neuen Berliner Flughafens BER ist ja nicht neu. Das zieht sich ja seit Jahren hin. Wir erinnern uns, ein paar Wochen vor dem ursprünglich angepeilten Eröffnungstermin (3. Juni 2012, obwohl die Inbetriebnahme eigentlich schon für 2007 vorgesehen war und man, wenn Wikipedia die Wahrheit schreibt, ganz ursprünglich sogar 1997 hätte eröffnen wollen) wurden technische Probleme geltend gemacht, der Termin sei nicht zu halten, man müsse sich bis November 2012 gedulden. Der Termin wurde natürlich auch bald wieder verworfen.

Seitdem fallen die Termine wie die Dominosteine, immer rechtzeitig vor dem gerade aktuellen Eröffnungstermin werden neue (oder verdrängte und wieder hochgekommene oder nur zum Spaß wieder neu aufgegossene alte) Probleme ruchbar und die nächste Verschiebung hängt in der Luft.

Jetzt hat anscheinend die deutsche Tochter von Imtech Insolvenz angemeldet. Imtech ist die Baufirma, die sich beim Bau des Berliner Flughafen seit Jahren mit Ruhm und Ehre bekleckert und technisch wie organisatorisch brilliert. Näheres dazu entnehme man der Tagespresse. Natürlich wird aus Anlass dieser Insolvenz der Eröffnungstermin mal wieder in Frage gestellt. Seit Jahren übliche Unkereien, der Flughafen werde sicher noch zu Lebzeiten unserer Kinder fertiggestellt oder alternativ bei Leipzig ganz neu gebaut, verlieren mehr und mehr an Witzigkeit. Wenn es so weitergeht, geht auch unsere Rente für das Projekt drauf. BER frisst den Bundeshaushalt still und heimlich auf.

Und mit Projekt habe ich jetzt auch endlich mein Stichwort erreicht. Das ganze, ist mir heute aufgegangen, ist nämlich gar kein Bauprojekt. Niemand hatte je die Absicht, dort einen neuen Hauptstadtflughafen in Betrieb zu nehmen. Das ist vielmehr ein Kunstprojekt. Eine interaktive Installation, die am Beispiel des Mit-, Um- und Gegeneinanders von Politik, Bauwirtschaft, Bevölkerung, Luftfahrtindustrie irgendwas Tiefsinniges zeigen soll. Reichstage in Stoff zu hüllen sit langweilig, da wird jetzt ganzheitlicher drangegangen – hier wird umfassender, raumgreifender, vielschichtiger gekünstelt als je zuvor.

Als Spin-Off kann man Sammlungen mit Texten zum Thema BER veröffentlichen, es wird ein Musical geben, einen Kinofilm (Arthur Hailey könnte das Drehbuch schreiben, der kennt sich aus mit dieser Sorte Geschichte), Apps zur Darstellung der Kostenentwicklung, des verbauten Materials, des verschlissenen Personals usw. Wir bauen Deutschland zu einer einzigen Seifenoper um, in der sich alles um den Flughafen dreht. BER wird in Flughafen Lindenstraße umbenannt, oder ist es die Truman Show? Egal, der nächste Eröffnungstermin kommt bestimmt.

Das ständige Kippen und Neuansetzen des Eröffnungstermins ist nämlich nur ein Running Gag, mit dem man das Publikum bei der Stange hält…

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

10 Kommentare zu „Potemkinsche Flughäfen“

  1. Solange die Uraufführung des Musicals nicht für die Elbphilharmonie geplant ist und die Ehrengäste von Münchens 2. S-Bahn-Stammstrecke über Stuttgart 21 anreisen müssen…

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  2. Seit ich innerhalb von Berlin umgezogen bin, hat für mich die Nicht-Eröffnung einen ganz eigenen Reiz erhalten 😉

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  3. Und schon kommt der nächste Schenkelklopfer: Statikprobleme aufgrund zu schwerer Rauchgasventilatoren. Erneute Prüfungen und u.U. eine Verstärkung der Zwischendecken nötig. Möglicherweise wird der aktuelle Eröffnungstermin nicht zu halten sein. (Quelle)

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  4. Hm, jetzt scheinen sie es ja tatsächlich geschafft zu haben. Sie haben anscheinend die technischen Probleme ganz unspektakulär in den Griff gekriegt, die Genehmigungen erteilt bekommen und dann einfach mal den Betrieb angefangen. V.a. wegen Corona ist das ein bisschen untergegangen, es gab ja keine große Eröffnung oder so, sondern eines Tages war der Laden einfach in Betrieb. Das ist jetzt etwa drei Wochen her, die ersten Flieger haben von BER abgehoben, der letzte Flieger ist von Tegel abgehoben. Berlin und Brandenburg haben einen, naja, neuen Flughafen. Nicht dran rühren, dann bleibt es vielleicht so.

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  5. Ach, hier in Berlin war das schon ein Thema. Es ist auch weiterhin ein Thema, denn die Schienenanbindung über die sog. Dresdner Bahn ist gerade erst im Bau. Und „dank“ Corona ist der Flughafen bei der Eröffnung pleite, der Subventionsbedarf liegt im mittleren dreistelligen Bereich (M€, nicht €…) p.a.
    Fun Fact: Der IC nach Dresden war gestern in Rostock mit den Zwischenzielen „Waren, Flughafen BER“ angeschlagen. Die völlig nebensächlichen Stationen Gesundbrunnen, Hbf, Südkreuz sind offenbar uninteressant 😉

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  6. Naja, ist schon klar, dass die Inbetriebnahme Thema war und zumindest in Berlin ein paar Wellen geschlagen hat. Dass der Laden schon pleite in Betrieb geht, war vorher schon diskutiert worden, und dass es in allen möglichen Details noch hakt, ist auch nicht weiter verwunderlich. Ich fand es nur witzig, dass nach dem teilweise ja wirklich spektakulären Theater um den Bau des Flughafens das große Finale statt mit Feuerwerk dann so ganz unauffällig nebenbei passiert ist.

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  7. Feuerwerk wird doch eh verboten – die Böller übertragen nämlich SARS-CoV-2! Muss man wissen!

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In den Wald hineinrufen

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