Unsterblichkeit

Viele Leute sind ja der Meinung, es gebe keine Seele, schon gar keine unsterbliche solche. Andere sind dagegen überzeugt, es müsse eine geben, wie auch immer sie im Detail aussehen mag.

Religiöse sehen den Menschen als ein Wesen, dem der Odem Gottes in irgendeiner Form innewohnt. Als ein Wesen, das nur aufgrund dieses göttlichen Odems überhaupt am Leben sein kann. Die Persönlichkeit, das Bewusstsein oder eben die Seele wäre demnach unabhängig vom Körper und nicht per se an ihn gebunden.

Skeptiker sehen den Menschen dagegen wohl eher als sehr komplexen Apparat, der sich ohne göttliche Intervention durch die beständige Ausführung vieler ineinandergreifender, aufeinander bezogener biochemischer Prozesse am Laufen hält, andauernd selbst erneuert und einigermaßen beständig, also arterhaltend, fortpflanzt. Persönlicheit und Bewusstsein und alles, was unter Seele subsummiert wird, wäre demnach eine Funktion des Körpers und könnte ohne diesen nicht existieren.

Skeptiker müssten deshalb wohl zwangsläufig auch der Meinung sein, mit dem Tod sei für den betreffenden Menschen alles vorbei, das Selbst erlösche, sei nicht mehr vorhanden. Mit dem Zerfallen der sterblichen Hülle sei es das dann gewesen. Religiöse haben dagegen verschiedene Vorstellungen über ein Leben nach dem Tod, Wiedergeburt, Reinkarnation, Himmel und Hölle, was auch immer.

Das hat gelegentlich absurde Folgen, wenn etwa versucht wird, den Körper zu konservieren oder ihn zumindest nicht zu zerstören, damit er für eine spätere Reinkarnation möglichst intakt bereitsteht. Egal, ob die alten Ägypter sich vor Jahrtausenden nach Möglichkeit haben mumifizieren lassen oder ob christliche Kirchen die Einäscherung ablehnen, ein Ziel ist wohl die zumindest rituelle Bewahrung der irdischen Hülle für späteren Gebrauch.

(Dabei zerfällt der Körper im Sarg und geht im Lauf von ein paar Jahren durch das Gedärm aller möglichen Würmer, wird weitgehend bis restlos in alle Winde zerstreut und ist für eine etwaige Wiederauferstehung mit Sicherheit nicht mehr ohne weiteres brauchbar. Und überhaupt, für wie armselig müssen diese Leute ihre Götter halten, wenn sie ihnen nicht zutrauen, ein paar Kilogramm Staub wieder zusammenzuklauben und in die richtige Ordnung zu bringen oder wahlweise einen völlig neuen Leib zu bauen, damit die Menschen wiederauferstehen können, wenn, wann, wo und wie sie das wollen? Oder für wie kindisch, wenn diese Götter idiotische Regeln erlassen, obwohl sie kraft Allmacht nicht auf mumifizierte oder sonst auf bestimmte Art präparierte und erhaltene Körper als Werkstoff angewiesen wären?

Dann ist es ja auch so, dass jedes Molekül, jedes Atom, das mal Teil eines menschlichen Körpers war, im Laufe der Zeit seinen Weg in beinahe beliebig viele andere Körper finden kann. Da müsste es ja gleichzeitig unverzichtbarer Teil einer ganzen Reihe von Körpern sein. Die Körper der wiederauferweckten Menschen müssten dann zwangsläufig mehr oder weniger lückenhaft sein – jedes Molekül bzw. Atom kann ja zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur an einer Stelle, also in einem einzigen Körper sein – oder Identitätsprobleme haben, weil sie sich Moleküle doch irgendwie mit anderen Menschen oder Tieren teilen, und sei es nur auf einer spirituellen Ebene.

Eine ganz einfache, autoritäre Begründung für die Mumifizierung oder für die Ablehnung der Einäscherung, also etwa „Weil Gott das so vorschreibt“, fände ich – wenn sie denn stimmt – viel einleuchtender und unproblematischer, als diese exegetische Laviererei mit dem Materialbedarf für die geplante leibliche Auferstehung.)

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Ironischerweise liefert gerade die skeptische Einstellung, es gebe keine Seele, den Vorstellungen der Religiösen vom Leben nach dem Tod oder von der Reinkarnation Schützenhilfe. Wenn es nämlich keine Seele gibt, wenn der Mensch tatsächlich nur eine Art Maschine ist und das Leben nur ein komplexes Wechselspiel wissenschaftlich erfassbarer biochemischer Prozesse, dann kann man zumindest theoretisch Menschen bauen und zum Leben erwecken.

Dabei ist es egal, ob man das – wie Mary Shelleys Dr. Frankenstein – durch Wiederverwendung gebrauchter Bauteile tut oder ob man bei Null anfängt und den Körper komplett aus neuem Material aufbaut (die Zutaten kann man sicher im chemischen Fachhandel beziehen). Beide Verfahren wären theoretisch möglich, in beiden gibt es erste Gehversuche (Implantantionsmedizin hier, Gewebe- und Organzüchtung in der Petrischale dort), beide sind bisher technisch noch lange nicht in der Lage, lebensfähige ganze Menschen oder auch nur simpleres Kleingetier tatsächlich zu bauen.

(In der Hinsicht sind wir wahrscheinlich ungefähr auf dem Stand von Leonardo da Vinci bei der Entwicklung eines Passagierflugzeugs. Ideen für eine Flugmaschine hatte er, die waren teilweise sogar halbwegs praktikabel, aber es fehlten wesentliche Elemente, etwa der Antrieb, um das Ding wirklich in die Luft zu kriegen, und inwieweit er die Physik dahinter verstanden hatte weiß ich auch nicht. Von Leonardo da Vinci bis zu Otto Lilienthal war es ein langer, steiniger Weg. Und von Lilienthal bis zum Airbus 380 ist es mindestens nochmal so weit.)

Beim Frankensteinverfahren hätte man u.a. Probleme mit der Kühlkette. Auch dürfte es schwierig sein, einen ganzen Körper so aus Einzelteilen zusammenzunähen, dass alles sofort funktioniert – nach Operationen dauert es ja oft recht lange, bis alles zusammengewachsen und verheilt ist und die Nähte belastbar sind. Ein ansonsten funktionierender Körper mag eine Reihe von Operationswunden aushalten und die Implantate annehmen und sozusagen durchschleppen können, aber wenn der ganze Körper aus einer einzigen großen Sammlung von Operationswunden besteht, ist da wohl nicht genug Fundament, um das Gebilde in Gang zu halten. Das wäre jedenfalls meine Vermutung als Laie.

Bis der aus Einzelteilen zusammengebastelte Körper soweit ist, dass er selbständig funktionieren kann, müsste man die Komponenten künstlich am Leben halten. Dagegen dürfte die Behandlung von multiplem Organversagen Kinderkram sein. Und wenn man die Kiste zum Laufen kriegt, müsste man bei dem erweckten Eigenbau möglicherweise mit Abstoßungsreaktionen rechnen, wie man sie von Organimplantaten kennt.

Bei der zweiten Methode müsste man unzählige Moleküle in genau dem richtigen Zustand an die richtige Stelle bringen, mit genau den richtigen anderen Molekülen auf genau die richtige Art verbinden. Milliarden Zellen aufbauen, in der richtigen Weise zusammenfügen und bis zur Inbetriebnahme am Zerfall hindern und den ganzen Apparat dann irgendwie starten. Oder man müsste die Bestandteile im Labor züchten und dann irgendwie zusammenfügen können, das wäre dann wieder eher à la Frankenstein bzw. eine Kombination der beiden Methoden. Das ist ungeheuer komplex und fehleranfällig, und ich habe keine Ahnung, wie man das hinkriegen können soll. Ich bin allerdings auch kein biochemisches Genie, das ist also nicht mein Fachgebiet.

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Wie in so einem Eigenbau dann die Persönlichkeit entstünde, weiß man auch nicht. Beim Biomenschen wächst die ja mit dem Zellhaufen mit, durchläuft eine Reihe mehr oder weniger bekannter und verstandener Stadien – Trotzphasen, Pubertät, Midlife Crisis. Wie das bei einem egal ob als Kind oder Erwachsener ins Leben gekippten Neubau wäre, kann ich mir gar nicht vorstellen. Vielleicht wäre die Persönlichkeit wirklich als Funktion der physikalischen Gegebenheiten sofort da, nur eben ohne Erinnerungen und Lebenserfahrung. Da hätte man jenseits der Bioingenieurskunst jedenfalls noch einige ziemlich haarige ethische Nüsse zu knacken.

(Ob oder inwieweit man die Identität, das Bewusstsein eines Menschen, die Lebenserfahrung, die persönlichen Erinnerungen, den Charakter oder was sonst den Einzelnen ausmacht, auf einen neugebauten Körper übertragen kann, wäre ebenfalls zu klären; Nick Harkaway hat in seinem zweiten Roman, Angelmaker,  unterhaltsam gruselig mit sowas experimentiert. Wenn man eine fehlerfreie Kopie des Gehirns herstellen könnte, dürfte die genau so wie das Original funktionieren und genau über dasselbe Wissen und dieselben Erinnerungen wie das Original verfügen.

Das könnte eine Möglichkeit sein, die erwähnten Unwägbarkeiten bei der Persönlichkeitsentwicklung von Neubauten zu umgehen. Diese Methode brächte allerdings ihre eigenen ethischen Probleme mit sich – wer darf wen wann wie wozu kopieren; wie wären zwei identische Kopien desselben Menschen rechtlich voneinander abzugrenzen, anders gefragt: Wer ist dann ich – ich oder mein Klon? Oder wären beide ich und man hätte eine Art Speicher in der Cloud mit Versionsverwaltung, die die einzelnen Kopien ständig synchronisiert? Was wäre bei Ausfall der Internetverbindung oder des Servers?)

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Wer einen Menschen bauen will, steht also vor beträchtlichen Herausforderungen. Aber was heute nicht machbar ist, kann übermorgen möglich sein. Und im Rahmen einer Betrachtung wie dieser reicht die prinzipielle Machbarkeit, man muss das grundsätzlich Mögliche nicht konkret demonstrieren, um damit argumentieren zu können. Ich habe ja nicht vor, einen Bausatz zu entwickeln und zu verkaufen.

Worauf ich hinaus will: Wenn man zumindest theoretisch Menschen bauen kann, gibt es keinen Grund, weshalb man nicht auf technischem Wege Unsterblichkeit herstellen können sollte, entweder durch verbesserte Instandhaltung, wodurch man den Alterungsprozess bremsen, zum Stillstand bringen oder gar umkehren könnte, oder eben durch Neubau bei Bedarf. Wenn kein göttlicher Odem nötig ist, ist das zumindest nicht grundsätzlich unmöglich.

Ebenfalls ironischerweise verlieren dadurch die Religiösen ihrerseits die Möglichkeit, dieses ewige Leben ohne weiteres einem Gott zuzuschreiben. Oder Gott wird zu einem talentierten Tüftler mit Fähigkeiten, die den unseren im Moment zwar weit voraus sein mögen, der aber nicht grundsätzlich besser oder höherstehend als die Menschen wäre. Oder er wäre gleich eine bloße Symbolfigur. Damit wäre das Leben etwas wenn nicht Menschengemachtes dann doch Menschenmachbares und deshalb viel weniger exklusiv als gerade in religiösen Kreisen gern angenommen wird.

Außerdem wäre das so erlangte ewige Leben aus einer jenseitigen, geistigen Welt ins „grobstoffliche“ Diesseits verlegt, es wäre nachweisbar und nicht mehr Glaubenssache, was in den meisten Religionen nicht gut ankommen dürfte.

Damit ist die Frage, ob es eine Seele gibt, natürlich noch immer nicht geklärt. Was das überhaupt ist, eine Seele. Wie es funktioniert. Ob es unsterblich ist. Ob man’s nachbauen kann. Und überhaupt. Auch dieser sehr interessante Text über die Seele klärt das letztlich nicht, merkt aber an, dass die Seele sehr nützlich ist und u.U. recht wichtig sein für die psychische Gesundheit kann, auch wenn es sie nicht wirklich gibt.

Wie es aussieht, müssen wir also weiterwurschteln hier unten im Jammertal, mit echter oder eingebildeter Seele. Aber so oder so finde ich es faszinierend, was technisch mittlerweile alles geht in der Medizin.

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

14 Kommentare zu „Unsterblichkeit“

  1. Medizin?
    Nicht mal Krebs und anderen Schwachsinn können die Quacksalber heutzutage richtig heilen.
    Wäre aber im Hinblick auf den Mulitmilliardenmarkt auch gar nicht gewollt …

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  2. Wenn ich mir die durchschnittliche Lebenswerwartung ab Diagnose anschaue, stehen wir bei so ziemlich allem, woran man erkranken kann, heute so viel besser da als noch vor 100 Jahren, dass es einem damals niemand geglaubt hätte. Das ist zu einem großen Teil den Entwicklungen in der Medizin geschuldet.

    Dass da noch jede Menge ungeknackte Nüsse liegen, die das schöne Bild versauen, ist natürlich richtig. Das ändert aber nichts daran, dass man heute in vielen Fällen überhaupt eine Lebenserwartung hat, die noch vor kurzem schnell und sicher tödlich geendet wären. Ich bleibe bei faszinierend und bin daher froh, heute zu leben und nicht im 19. oder gar 17. Jahrhundert.

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  3. Das ist richtig.

    Es würde mich aber nicht wundern, wenn die Lebenserwartung in den nächsten Jahren aufgrund Stress, allgemeiner Unsicherheit, Umweltverschmutzung, Ausbeutung von Menschen und Resourcen, Profitstreben der „Eliten“ und und und wieder abnehmen würde.

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  4. Man muss nicht religiös sein, um zu verstehen, dass ein völlig künstlich erzeugter (also nicht aus einer befruchteten Eizelle außerhalb des weiblichen Körpers „gezüchteter“) Mensch bestenfalls äußerlich menschenähnlich wäre. Was ist mit den Genen, den Erbanlagen also? Sie sind es doch, die neben Einflüssen aus der Umgebung, die Persönlichkeit eines Menschen bestimmen. Ein Mensch ist Mensch dadurch, dass er ganze die Geschichte der Menschheit (und nicht nur der Menschheit) in sich trägt. Er lebt fort in seinen Kindern, und auch wenn er keine Kinder hat, lebt er fort in den Menschen, auf die er Einfluss genommen hat, und sei er auch noch so gering – zum Guten oder zum Schlechten.

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  5. Es soll natürlich heißen „die ganze Geschichte der Menschheit“. Diese kleinen Textfelder nerven.

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  6. Was wäre aber, wenn man tatsächlich auf molekularer Ebene bauen könnte? Wenn man Erbanlagen nachbauen könnte? Oder man nimmt eben irgendwelche, ähnlich wie bei Spendersamen, die man dann in die Petrischalen und Brutkästen einschleust? Das ist noch lange nicht machbar, könnte aber irgendwann technisch möglich sein. Vielleicht kommen irgendwann 3D-Drucker ins Spiel und man könnte dann wirklich mit höchster Auflösung drucken, wer weiß.

    Und vielleicht findet man heraus, wie das Gehirn die eingehende Information systematisiert und ablegt, und zwar in soviel Detail, dass man das System nachbauen kann. Dann könnte man Persönlichkeiten und Biographien nachbauen und den künstlich erzeugten Menschen(?) einpflanzen. Die wären dann natürlich immer noch unecht, aber wird man (die Künstlichen selbst und die anderen) den Unterschied merken? Keine Ahnung.

    Es gibt Leute, die der Meinung sind, dass die Menschheit irgendwann alles wissen und können wird, was es im Universum zu wissen und zu können gibt, und dann müsste diese Art Nachbau machbar sein. Ich bin skeptisch. Sogar wenn es theoretisch machbar wäre und man diesem Machbaren sehr nahe käme, bliebe doch immer noch eine Lücke, glaube ich.

    Um ehrlich zu sein finde ich die Vorstellung, mit künstlich gebauten Menschen(?) zu tun zu kriegen, ziemlich unheimlich. Mit Maschinen und Robotern und künstlicher Intelligenz umzugehen – kein Problem. Einen gewissen Grad an Cyborgisierung kann ich auch noch akzeptieren, auch die weitgehende Ersetzung eines alternden oder durch Unfall oder Krankheit zerstörten Körpers durch künstliche Ersatzteile (wie die Originalaxt von Wemauchimmer, bei der das Blatt 9-mal und der Stiel 17-mal ersetzt wurde und die deshalb überhaupt nichts mehr mit dem ursprünglichen Werkzeug zu tun hat, aber immer noch als Wemauchimmers Axt ausgestellt wird). Aber ich glaube auch, dass es nie einen vollständig künstlichen „Eigenbau“ geben wird, der dann tatsächlich Mensch ist. Begründen kann ich diese Vermutung allerdings nicht.

    Und diese kleinen schießschartenartigen Eingabefensterchen finde ich auch nervig. Ich schreibe meine Kommentare darum fast immer in einem Textverarbeitungsprogramm (einem möglichst simplen Editor) und kopiere sie dann. Das macht das Schreiben einfacher.

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  7. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir eines Tages in der Lage sein werden, künstliche befruchtete Eizellen herzustellen. Das wäre sicherlich der sinnvollere Weg zu einem “künstlichen“ Menschen; man darf sich ja ruhig mal was von der Natur abschauen. Irgendwie passt die komponentenweise Fertigung eines sagen wir mal dreißigjährigen Wesens nicht so recht zum Konzept des “Organischen“.

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  8. Da hast Du natürlich recht, man muss ja nicht alle Räder ständig neu erfinden. Aber so oder so braucht man ja eigentlich sowieso keine künstlichen Menschen. Es gibt ja schon eher zuviel Biomenschen…

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  9. *inphilosophischedebatteplatzmitganzalltäglichem*
    Gut, jetzt bin ich schon mit ganz Alltäglichem in die schöne philosophische Debatte geplatzt, dann kann ich ja auch mit ein paar ganz alltägliichen Dingen in die Philosophie platzen. 🙂

    @ synthetische Biologie: da sind wir erheblich weiter als allgemein angenommen wird. Viren (ob die im eigentlichen Sinne lebendig sind ist allerdings die andere Frage) können jetzt schon „künstlich“ synthetisiert werden, und vor etwa drei Jahren wollte das jemand anfangen mit einzelligem Leben zu probieren. In ein paar Jahren wird sich zeigen ob das diesmal schon ging, aber kurz davor sind wir definitiv.
    Sage und schreibe 1828 gab es – je nachdem wie „lebendig“ definiert wird – schon einmal eine ganz ähnliche Situation. Damals war die allgemeine Vorstellung, es gäbe eine Trennung zwischen „lebendigen“, organischen (also ins heutige Deutsch übersetzt: natürlichen) Stoffen und anorganischen Stoffen (heute kommt die Vorstellung wieder und man sagt „Chemie“ dazu). Organische Stoffe galten wirklich als „belebt“, weil man dachte sie seien nur mithilfe einer „Lebenskraft“ zu bilden, daher der Name „organisch“. Friedrich Wöhler war es, der diese imaginierte Trennung widerlegte, indem er aus eindeutig „anorganischen“ Stoffen (Kohlendioxid und Ammoniak) 1828 den als organisch geltenden Harnstoff synthetisierte. Bahnbrechend. Man fand etwas das die bis dahin als belebt geltenden Stoffe gemeinsam haben – es ist Kohlenstoff drin – und seitdem gibt es organische Chemie immer noch, nämlich als die Chemie des Kohlenstoffs; aber die Naturmystizistik ist aus ihr verschwunden, Sehr zum Wohle der Wissenschaft, sehr zum Leidwesen derer die die „Lebenskraft“ gerne behalten hätten.
    Der erste Einzeller aus dem Labor wird ähnlich spannend, wunderbar und bahnbrechend sein. Wissenschaft ist was faszinierendes 🙂

    @ Klone als keine „richtigen“ Menschen: Völliger Sch… pardon, Schwachsinn! Hätte ich eine Zwillingsschwester auf dem üblichen Wege, sprich hätte sich die Eizelle aus der ich entstanden bin kurz nach der Befruchtung nicht nur geteilt sondern die beiden folgenden Zellen hätten sich getrennt; würde dann irgendjemand auch nur denken wer von uns beiden jetzt „das Original“ wäre, ich oder meine Schwester, oder sich fragen wie wir trotz identischen Erbguts zwei völlig separate Menschen mit eigener Persönlichkeit und eigener Identität sein können? Eben.
    Wer sich das fragt wenn Dasselbe anders zustandekommt den frage ich warum.

    @ Frühgeburten (Exurs): Momentan ist die Medizin in der Lage frühgeborene Kinder etwa ab der 22. Schwangerschaftswoche „durchzubringen“, und denen geht es, falls sie in dieser Zeit nicht zusätzlich noch krank werden (Hirnblutung o.ä.), später im Leben nicht schlechter als anderen. Es wurde schon über Fälle berichtet da das mit in der 19. Woche frühgeborenen möglich war. Auch hier wird sich bestimmt in Zukunft noch einiges tun an Fortschritt. Das wäre schön – und gut für die Kinder natürlich auch 🙂

    @ Tiefenökologie: oder die Idee daß die Erde ohne (soviele) Menschen besser dran wäre. Völlig indiskutabel. Völlig. Da sehne ich mich nach dem 80er-Jahre-Aufkleber „Save the Planet, Kill Yourself!“ Und möchte allen die das zuerst behauptet haben (Malthus, Ehrlich, …), und damit Hungersnöte und unterlassene Hilfeleistung in großem Stil ausgelöst haben ein großes „F.. Y..!!!“ entgegenschreien. Hilft zwar nichts gegen deren giftige Ideen und tot sind sie auch schon lange, aber es beruhigt die Nerven. Was hilft ist vielleicht, einen der unbekannten Wohltäter der Menschheit vorzustellen: https://en.wikipedia.org/wiki/Norman_Borlaug den Biologen Norman Borlaug. Rein rechnerisch hat der dreieinhalb Milliarden Menschen das Leben gerettet, weil auch er für die Tiefenökologie nur Flüche übrighatte und stattdessen daran geforscht hat wie denn mehr Menschen mit weniger Land ernährt werden können. Erfolgreich. Vor seiner Forschungsarbeit hätte die gesammte Erde die nicht Wüste oder Eis ist gerade 3,5 Milliarden Menschen ernähren können, heute wären es theoretisch 10,5 Milliarden (soviele werden wir allen seriösen Prognosen zufolge nicht mehr, weil wir heute aufgrund von mehr Wohlstand weniger Kinder bekommen – ich weiß daß diese einfache Tatsache weltbildverdrehend ist, aber die Realität sendet nun einmal die falschen Signale). Nebenbei hat das noch den Regenwald gerettet, der zur Ernährung der existierenden Menschen nicht abgeholzt werden mußte. Und weiß es wer? nein.

    @ Religionen: nicht alle haben Götter (Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus zum Beispiel haben keine) oder auch nur dieselben Vorstellungen von Jenseits, Seele, Selbst oder auch nur Gut und Böse wie die hier in Mitteleuropa bekannteren. Nehmen wir das Beispiel Norman Borlaugs. Was er getan hat gilt für das Christentum (tätige Nächstenliebe), den Buddhismus (universelles Mitleid) und das Judentum (Verbesserung der Welt) uneingeschränkt als gut. Auch die meisten Philosophien (maximales Glück für die größtmögliche Zahl an Menschen) stimmen hier zu. Der Islam sähe das wohl indifferent, weil der seinen Fokus nicht auf dem Diesseits, sondern dem Jenseits hat. Für die Tiefenökologie (die eine Religion in allem außer dem Namen ist) dagegen war was er getan hat schlecht, weil es zu Bevölkerungszuwachs geführt hat. Etcetera.

    Auch bei der synthetischen Biologie ist es besser über den philosophischen Überbau nicht das ganz einfache beurteilen des hier und jetzt zu vergessen. Und nachzufragen, nach welchem Maßstab das ist. Und überhaupt mehr miteinander reden wäre bei dem Thema gut. 🙂

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  10. Tja, wo wir stehen, wie weit „wir“ tatsächlich sind und wie alles mögliche einzuordnen ist, wird man wahrscheinlich erst im Rückblick bewerten können, wie es auch bei Wöhlers Harnstoffsynthese war. Nur eines dürfte sicher sein – es wird immer weiter geforscht, entdeckt und erfunden werden.

    Was Klone angeht: Dass Zwillinge (und damit auch „natürlich“, also in einer Frau gewachsene) Klone eigene Menschen sind, wird kaum wer in Frage stellen. Meine Überlegung oben war, wie es sich mit Kopien verhält.

    Nehmen wir an, der gesamte Mensch mit allem, was ihn ausmacht, sei wirklich eine biologische Maschine und die Persönlichkeit, die Erinnerungen, die Lebenserfahrung usw. sei irgendwie als Information physisch im Körper gespeichert und man könne das (idealerweise zerstörungsfrei) auslesen, kopieren und in einen „Neubau“ einspeisen. Wenn ich dann gehe und eine Kopie von mir mache, also erstens einen Körper baue, der meinem entspricht (also kein Baby, sondern ein erwachsener Mann meines Alters und Gesundheitszustands) und dem dann meine Persönlichkeit usw. einspeise. In meinem Szenario hätte der dann dieselbe Persönlichkeit wie ich, dieselben Erinnerungen, Erfahrungen usw. Der einzige Unterschied wäre, dass wir seit dem Augenblick des Kopierens unterschiedliche Erfahrungen und Erinnerungen hätten. Wie wären wir voneinander abzugrenzen? Wir wären wie Zwillinge, nur viel enger. Im Fall eines geklonten Körpers wäre nicht einmal anhand der DNA zu zeigen, wer die Kopiervorlage und wer die Kopie ist. Wer also ist in dem Fall „ich“, wer die Kopie?

    Das ist sicher ein unwahrscheinliches Szenario – man wird sicher keine Leute in gesetztem Alter bauen sondern eher junge Leute, und da wre die Unterscheidbarkeit sicher meistens gegeben. Aber trotzdem, solche sind nicht ohne, das gehört möglichst geklärt bevor wir anfangen, Menschen zu bauen.

    „Save the Planet, Kill Yourself“ ist natürlich Blödsinn. Selbst wenn man mal annimmt, der Planet sei ohne den Menschen besser dran – muss mich das interessieren? Wer hat was davon, wenn die Menschheit verschwindet? Der Erde ist es wurscht, und ich bleibe lieber am Leben, solange das geht. Was ich allerdings glaube ist, dass die Menschheit besser dran wäre, gäbe es deutlich weniger Menschen. Aber per Hungersnot oder apokalyptischen Dezimierungsaktionen dahinzugelangen ist natürlich völlig indiskutabel. Da ist Borlaugs Ansatz besser, möglichst vielen der nun einmal vorhandenen Menschen möglichst gute Bedingungen zu schaffen. Und wenn Wohlstand das Bevölkerungswachstum bremst, umso besser.

    Der Nachschlag ist sehr interessant!

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  11. Vince Ebert findet, Unsterblichkeit wäre gar nicht so toll, sondern eher Langeweile 2.0.

    Den Gedanken habe ich anders formuliert übrigens schon (vor vielen Jahren) bei Edgar Allan Poe gelesen. Ich weiß nicht mehr, wie die Geschichte heißt und erinnere mich nur sehr vage, aber es gingt ungefähr so: Einer kommt im Jenseits an, und alles sieht normal aus, nur eben die Zeit vergeht nicht bzw. deren Fluss ist egal. Man kann machen, was man will, etwa Golfspielen. Der Protagonist wundert sich, dass alle so lustlos und träge sind und macht sich daran, sein Handicap beim Golf zu verbessern.

    Irgendwann dämmert ihm, dass er früher oder später jedes Loch mit einem Schlag treffen wird und es dann nichts mehr zu verbessern geben wird. Egal, was er sich danach vornimmt, wird genauso enden – Schach, Whist, egal, er wird es meistern. Am Ende ist nichts mehr übrig, und dann beginnt die unendlich lange Ewigkeit…

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In den Wald hineinrufen

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