Entledigt

Pastoren, Motivationstrainer, Esoterikschwurbler u.ä. flechten immer wieder gern pseudo-etymologische Anmerkungen in ihre Ausführungen ein, wohl um bestimmte Aussagen gewichtiger erscheinen zu lassen.

Da werden Alltagswörter in ihre Bestandteile zerlegt, um die Bedeutung dieser Bausteine herauszustellen. Ent-Schuld-igen etwa, weil die Schuld weggenommen wird. Er-fahren, wenn es um durch Fahren/Reisen gewonnene Kenntnisse geht. Nach-denken entweder, weil man einer Sache „hinterherdenken“ soll, einen anspruchsvollen Gedankengang nachvollziehen. Oder weil nach dem Denken das Tun kommen soll, nach-denken wird dann also in der Bedeutung tun oder das Erkannte anwenden, umsetzen, verwirklichen verwendet.

Gern spielen sie auch mit der Herkunft oder der „ursprünglichen“, „eigentlichen“, mithin „echten“ Bedeutung von Wörtern. Kunst kommt von können. Weihnacht bedeutet geweihte, heilige Nacht. So Sachen.

Manchmal zielen sie auch darauf ab, entlegene oder hineininterpretierte Bedeutungen alltäglicher Wörter herauszustellen. Da fällt mir jetzt grad kein Beispiel ein, aber das ist auch nicht so wichtig.

Diese Wortspiele haben meist das Flair von uralten Witzen, die schon, sagen wir, 1976 reichlich abgenutzt waren. Den Charme von Liedern wie dem nicht totzukriegenden englischen Volkslied Greensleeves, das nach der von Mark Twain in A Connecticut Yankee in King Arthur’s Court aufgeschriebenen wahren Geschichte schon zur Zeit Karls des Großen nicht mehr ganz frisch war.

Trotzdem werden sie fast immer präsentiert, als handele es sich um eine erstens neue, zweitens atemberaubende, drittens wahnsinnig bedeutsame und viertens jeden Einzelnen unmittelbar und dringlich betreffende Erkenntnis. Da hängt, je nach Zusammenhang, das Seelenheil, die Karriere, das Lebensglück o.ä. von ab. Und das sage ich Ihnen, meine Damunherrn, hier jetzt mal ganz exklusiv! Das weiß sonst niemand, das hören Sie nur hier, verehrte Herrschaften, und wenn Sie jetzt hier, für nur 299 Euro, so billig ist das sonst nicht, lassense sich diese einmalige Gelegenheit nicht entgehen, wenn Sie hier diesen Chomskybot kaufen, kriegen Sie von mir einen Etymomogiegenerator umsonst dazu, nur heute…

Dabei müssen diese banalen Andenhaarenherbeigezerrtheiten immer nochmal ausführlich erklärt und hergeleitet werden, weil sie sonst niemand überhaupt nur bemerken geschweige denn verstehen würde. Wenn also ein Redner Wörter mit Bindestrichen in Einzelteile zerlegt: Sofort unter einem Vorwand den Raum verlassen!

Aber ich kann das auch. Ich habe mich vor Jahren meiner Ledigkeit entledigt. Verstanden? Ich bin verheiratet. Vor der Hochzeit – ledig. Nach der Hochzeit – verheiratet. Nicht mehr ledig. Ledigkeit weg. Ledigkeit verloren, abgelegt, losgeworden. Habe mich ihrer entledigt. Personenstand? Entledigt.

(Mit erheblicher Genugtuung merke ich ganz nebenbei noch an, dass ich zu dem exklusiven Personenkreis gehöre, der das Verb sich einer Sache entledigen korrekt anwenden kann und das gelegentlich auch tut. Andere Leute scheitern ja schon an Anfängerfragen wie: Kostet es mir oder mich unnötig Nerven? Und wieder andere verbringen viel Zeit mit dem Schreiben von Kolumnen oder Büchern darüber, dass manche Leute etwa den eminent wichtigen Unterschied zwischen gleichzeitig und zeitgleich nicht kennen. Da stehe ich voll drüber. Meistens.)

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

11 Kommentare zu „Entledigt“

  1. Manchmal zielen sie auch darauf ab, entlegene oder hineininterpretierte Bedeutungen alltäglicher Wörter herauszustellen. Da fällt mir jetzt grad kein Beispiel ein, aber das ist auch nicht so wichtig.

    Tolerieren.
    Kommt nicht von „toll“ (deswegen auch kein zweites L).
    Und heißt „(er)dulden“, was Wenige wissen – und das Wort zum einzigen mir bekannten Begriff macht, den mehr Leute weltbewegend gewichtig herleiten als seine Bedeutung kennen. 🙂

    Es ist mir, *ausdemnähkästchenplauder*, sogar schon untergekommen daß gegen eine solche Standard-Übersetzung protestiert wurde. Von einer protestantischen Pfarrerin, no less. Es ging um eine durchaus grundsäkuläre Angelegenheit, nämlich eine Fotoausstellung über eine Partnerstadt in Tansania (lange Geschichte wieso sowohl ich als auch die Pfarrerin da mit drinhingen). Jedenfalls hätte ich an einer Stelle, wenn schon überhaupt, lieber etwas von Wertschätzung (meinetwegen „Reeeeehspegt“) oder notfalls noch Akzeptanz geschrieben. Als von Toleranz, weil Bedeutung „Duldung“. Das habe ich auch so gesagt – cue the storm of Entrüstung.

    Ich hatte Glück, viele der Bilder waren von mir gemacht; deswegen durfte ich auch zu den Bildunterschriften etwas sagen – und in einer Bücherei ist es nicht gerade unmöglich mal ein Wort nachzuschlagen.

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  2. »Das Wort „Toleranz“ ist kein deutsches Wort, es ist ein Fremdwort. Und „etwas tolerieren“ bedeutet soviel wie „etwas aushalten“. Also wenn früher mal wer gefoltert worden ist, dann war der tolerant.«
    (Gerhard Polt)

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  3. Dann bin ich ja beruhigt. Wörtererklären ist grundsätzlich eine feine und oft sinnvolle Sache. Auch über die Herkunft von Wörtern und die sich daraus u.U. ergebenden Zusammenhänge nachzudenken kann sehr sinnvoll sein, und wenn dabei seltene oder leicht abwegige Bedeutungskomponenten ins Spiel kommen, ist das auch nicht schlimm, im Gegenteil. Und sprachliche Spielereien wie die Sache mit dem Entflikt finde ich ausgesprochen nett. Sowas gibt es viel zu wenig. Überhaupt verkneifen sich viel zu viele Leute ihren Spieltrieb viel zu oft.

    Woran ich mich störe ist, wenn jemand ums Verrecken irgendeinen Aufhänger oder eine Illustration für eine Aussage sucht und dann irgendwelchen herbeifantasierten Mist mit dem Ausdruck höchster Bedeutsamkeit anbringt, als ob ein ausgedachtes oder bestenfalls aus irgendeinem abgelegenen Winkel der Sprachgeschichte hervorgekramtes Detail irgendetwas zu sagen hätte.

    Wer einer Argumentationskette hinterherdenken sagen will, kann das ja tun, muss dann aber nicht volksetymologisierend von Nach-denken sprechen. Da werden Gelehrsamkeit und Expertenwissen vorgetäuscht, auf eine (meist nur vermeintliche) höhere Ordnung verwiesen, eine sich aus (oft nur ausgedachten) historischen Zusammenhängen oder Entwicklungen ergebende Bedeutsamkeit behauptet, um eine mehr oder weniger sinnvolle, oft genug reichlich banale Aussage ein bisschen aufzuhübschen. Ausgesprochen unangenehm, sowas, scheint aber auf Leise Töne eher nicht so vorzukommen. Insofern hoffe ich, das Persönlich-Angegriffensein hiermit im Sinne einer Entfligierung ausgeräumt zu haben.

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  4. Wer einer Argumentationskette hinterherdenken sagen will, kann das ja tun, muss dann aber nicht volksetymologisierend von Nach-denken sprechen.

    An dieser Stelle kommt am Ende noch ein Referent mit anderen Sprachen, um hartnäckige Zweifler zum Schweigen zu bringen.
    So mir passiert genau mit „Nach-denken“ – und Griechisch. Prometheus ist, wörtlich übersetzt, der der vor(her)-denkt; sein Bruder Epimetheus (I swear I am not making this up!) der der nach(her)-denkt. Weswegen, so der Referent, Prometheus den Menschen das Feuer bringt und nicht sein Bruder.
    Da bekommt man doch entweder Paranoia oder Lust auf Metanoia (=auf der spitzen Hacke der hohen Schuhe eine halbe Pirouette zu drehen und davonzurennen; wörtlich heißt es „umdrehen“) 😈

    Fast so schön wie der End-Flikt und Gegen-Für-duktiv 🙂

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  5. Grundgütiger, auf sowas muss man erstmal kommen. Pro- und Epimetheus – Nomen est Omen in Aktion. Das könnte man für astrologische Spielereien verwenden – wie Du Dein Kind nennst, so wird es. Herrschaftszeiten…

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In den Wald hineinrufen

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