Der Regler

Vor ein paar Jahren gab es eine Art literarischer Sensation in Deutschland: Einen einheimischen Thriller. Also einen, der in Deutschland von einem einheimischen Autor geschrieben wurde, großenteils in Deutschland spielt (und teils in Südtirol, aber da spricht man wenigstens Deutsch, mehrheitlich) und einheimisches Personal als Protagonisten hat. Dass das geht, Wahnsinn.

Die Rede ist von Der Regler von Max Landorff. Kürzlich habe ich das Buch gelesen und, ja. Es ist schon spannend und hat einige unerwartete Wendungen. Es wirkt auf mich nicht provinziell oder verschnarcht, aber auch nicht krampfhaft auf weltläufig getrimmt. Von daher nicht schlecht, das Buch.

Ich habe einige Rezensionen quergelesen, und viele Rezensenten arbeiten sich an Inhalt, Genre, Pseudointellektualität ab. Daran, dass es viele gute Ansätze gebe, die aber nicht weiter verfolgt würden. Dass die Handlung arg konstruiert wirke und stellenweise abstrus sei. Dass die Personen unnahbar blieben und dass das Buch irgendwo ab der Mitte wie gekürzt oder zusammengeschnitten wirke. Dass das Ende unbefriedigend und unglaubhaft sei. Einiges davon kann ich gut nachvollziehen, das Buch hat wohl einige Schwächen. Mit denen kann ich ganz gut leben, da will ich mich gar nicht weiter mit aufhalten.

Was mir am Regler nicht behagt sind nämlich nicht Handlung, Charakterentwicklung oder etwaige lose Enden, sondern Sprache und Stil, und darüber sagt kaum jemand etwas. Dabei ist es gerade die Sprache, die mir das Buch wirklich vermiest. Ich empfinde sie als hölzern, umständlich, manchmal verquast. Eine Art lakonischer Sachlichkeit in die Hose gegangen oder so.

Vor dem Hintergrund würde es mich fast wundern, wenn sich hinter dem Pseudonym Max Landorff wirklich zwei Journalisten verbergen sollten. Die müssten berufsbedingt mit der deutschen Sprache eigentlich besser umgehen können und sollten eigentlich auch mehr Sinn für zielstrebiges Schreiben haben. Außer die haben feuilletonistische Ambitionen, dann könnte es doch irgendwie passen, obwohl Feuilleton sich auch wieder ganz anders liest. Also ich weiß nicht.

Außerdem geht mir der Erzählstil auf die Nerven. Ganz passend zur sprachlichen Stolperei werden nämlich ständig irgendwelche unwesentlichen Details ausgebreitet. Wann, wo und warum der Protagonist etwa einen bestimmten Anzug gekauft hat, wie genau er seinen Kaffee zubereitet, solche Sachen – völlig wurscht, tut nichts zur Geschichte, lässt die Figuren des Romans auch nicht plastischer hervortreten und kostet den Leser nur Zeit und Nerven. Eine Passage mag das illustrieren:

Hinter einer der Türen lag ein Kühlschrank. Tretjak öffnete ihn, nahm eine kleine Flasche stilles Hildon-Mineralwasser heraus und einen Tablettenstreifen, auf dem der Schriftzug Tavor aufgedruckt war. Er nahm zwei Tabletten und trank das Mineralwasser in einem Zug. Er schloss die Tür, stellte die Flasche auf den Boden und setzte sich wieder vor die Bildschirme. […]

Tretjak beschloss, den Kommissar später anzurufen, dessen Visitenkarte noch auf dem Küchentisch lag. Er würde ihm die Wahrheit sagen: Ja, er hatte Kerkhoff gekannt. Er hatte ihn gut gekannt.

19 Uhr 20 zeigte die Digitalanzeige am unteren Rand des Bildschirms an. Es wurde Zeit, er musste aufbrechen. Sein Tisch in der Osteria war reserviert, wie immer der Tisch in der zweiten Nische rechts vom Eingang. Ein Klient wartete dort. Oder besser: ein Mann, der sein Klient werden wollte. Ein Landtagsabgeordneter, kein bekannter, eher ein Hinterbänkler. Tretjak wusste bisher nur ein paar Stichworte. Der Name des Mannes stand auf der Kundenliste eines Callgirlrings, der Männer mit jungen Ukrainerinnen belieferte – und jetzt aufgeflogen war. „Helfen Sie dem Mann, Tretjak. Regeln Sie das. Bitte.“ Diese Nachricht hatte er nach der Landung aus Sri Lanka auf seiner Mailbox abgehört. Die Stimme war die eines Ministers gewesen, eines Ministers der Bundesregierung in Berlin.

Tretjak betätigte eine Tastenkombination auf der Tastatur, und alle Bildschirme wurden schwarz. (S. 42f.)

So schleppt sich der Roman dahin, Detail für Detail für Detail. Ich finde das ausgesprochen ermüdend. Und es ist schade, weil der Stoff nicht schlecht ist, da hätte man mehr draus machen können.

Ich habe lange nichts Deutsches mehr gelesen, das mir wirklich gefallen hat. Klar kann nicht jeder schreiben wie Hans Fallada. Kleiner Mann was nun? oder Der Trinker sind keine schönen Bücher, eher ausgesprochen deprimierend, aber was für eine Sprache – intensiv, stimmig, mit zeittypischen Macken wohl, aber wahnsinnig gut. (Das schreibe ich übrigens, ohne da nochmal reingelesen zu haben. Kann also gut sein, dass sich auch Fallada holperige Strecken finden, an die ich mich nur nicht mehr erinnere. Ich weiß aber, dass mir beim Lesen nichts dergleichen störend aufgefallen war.)

Oder wie Peter Bamm in Die kleine Weltlaterne – ein ganzer Band belangloser Plauderei, aber intelligent und mit Stil. Oder meinetwegen Heinrich Böll mit Billiard um halbzehn. Oder Dietrich Schwanitz in Der Campus.

Es geht also, man kann auf deutsch flüssig, witzig, lesbar schreiben, ganze Bücher voll. Im Prinzip jedenfalls. Hat sich bei Landorff keiner getraut, ihm zu sagen, dass der Stil nicht so toll ist? War da kein Geld für das Lektorat übrig? Etwas gestrafft und sprachlich ein wenig aufgebürstet hätte das ein richtig gutes Buch sein können. So landet es auf dem großen Stapel von Büchern, die schon ganz nett waren, die ich mir aber nicht merke. Das ist der Stapel, wo sich schon das erste Lesen nur knapp gelohnt hat, und sei es nur, weil es mir die Lektüre der bislang zwei Folgebände erspart. Schade eigentlich…

 

 

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

9 Kommentare zu „Der Regler“

  1. Vorschlag für Ihren merk-ich-mir-Bücherstapel: alles von Bernhard Schlink
    Bei Der Regler kam ich nicht mal bis Seite 50, bei Bernhard Schlink fand ich immer schade, daß seine Bücher so schnell alle sind…;-)…

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  2. Ich kenne das Buch nicht, und es klingt auch nicht nach einem, das ich lesen möchte. Aber zu Deinem Punkt mit den mit dem Journalisten-Duo als Autor(en): Klar muss ein Journalist mit Sprache umgehen können, aber ich denke, dass die Anforderungen an einen guten Journalisten völlig andere sind als an einen guten Prosa-Autor. Schreibenkönnen heisst ja nicht unbedingt alle Textgattungen zu beherrschen. Das ist aber für den ein oder anderen Schreiber sicher keine schöne Erkenntnis.

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  3. Klar, nicht jeder Berufsschreiber kann alle Textgattungen. Und wer gute Texte für Zeitungen oder Zeitschriften schreibt, kann an einem Roman scheitern. Aber ich finde es erstaunlich, dass bei jemandem, der Textproduktion als Beruf betreibt, ein sprachlich so unbeholfen wirkender Text zustandekommen kann.

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  4. Wenn du mal was Deutsches lesen willst:
    Allerdings schon älter: http://www.aufbau-verlag.de/index.php/manja.html
    Aktuell und ziemlich gut: http://www.suhrkamp.de/buecher/der_hals_der_giraffe-judith_schalansky_42177.html

    Ansonsten Südtirol… Ich war gerade da und lese nun http://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Eva-schlaeft/Francesca-Melandri/e386226.rhd. Allerdings ackere ich mich da im Original durch, und mein Italienisch reicht eigentlich nicht aus 😉

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  5. Nun dann auch 2cts von mir (Autoren, Schauplätze, Originalsprache: alles deutsch).

    Juli Zeh, Schilf. Die Wendung am Ende wirkte arg konstruiert für mich, aber Zeh geht mit der Sprache in einer Weise um, als würde sie ständig „ich liebe dich“ zu ihr sagen.

    Paul Grote, div um Wein sich drehende Krimis. Kein Sprachdrechsler, aber sprachgewandt und plausible, orts- und sachkenntnisreiche Plots, sehr glaubwürdige Charaktere, und in der Tat spannend.

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  6. Oh, Juli Zeh… „Adler und Engel“ fand ich klasse, aber nicht gerade stimmungsaufhellend.

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