Fantastisch vermesssen

Vor einiger Zeit hatte ich über belebtes Wasser geschrieben. Wunderbarer Stoff, ganz anders als das schein- bis mausetote Industriewasser aus der Leitung! Jetzt habe ich gelesen, dass Wasser nicht nur von Wasserleitungen totgemacht wird, sondern dass es auch zu Schaden kommt, wenn man es durch runde Öffnungen schüttet. Sobald Wasser eine runde Öffnung passiert, fallen die Bovis-Werte schlagartig ins Bodenlose. Das liegt anscheinend daran, dass der Kreis ein ganz fieses Ding ist und für alles, was er berührt bzw. umgibt, die Bovis-Werte auf Null setzt.

(Der Bovis-Wert ist eine radiästhetische Fantasiegröße, die folgendermaßen, ahem, gemessen wird: Der Radiästhet bringt eine gedruckte Skala in die Nähe des zu messenden Gegenstandes und nennt intuitiv eine der aufgedruckten Zahlen. Fertig. Oder jemand anderes liest die aufgedruckten Werte vom größten beginnend laut vor, bis der Radiästhet einen Wert per Zuruf bestätigt. Doppelfertig. Wer will kann sich aber auch eigene, ahem, Messmethoden und Accessoires ausdenken, „programmierte Karten“ zum Ziehen etwa, die sind alle gleich gültig, die ermittelten Werte stimmen auf jeden Fall! Endfertig.)

Aber zurück zum Kreis. Die Entdeckung mit der schlimmen Wirkung der Kreisform soll von einem Neonazi stammen, der in Haft anscheinend viel Zeit zum Nachdenken übrig hatte. Entsprechend tiefgründig sind die Erkenntnisse, die man sich in einem dreistündigen Video vortragen lassen kann. Egal, noch das allerbelebteste Wasser wird mausetot und bovisneutral, wenn man es durch einen Flaschenhals mit kreisförmigem Querschnitt oder in ein rundes Glas gießt, da bleibt kein Fitzelchen Grander im Wasser und das kühle Nass ist nurmehr Ballast ohne energetischen Nutzen.

Konterkarieren kann man diesen unheilvollen Effekt durch Nutzung der, ähm, Kraft der I-Rune (die ja auf elektrischen Geräten oft das Gegenstück zum O darstellt und dessen Wirkung aufhebt), die treibt die Bovis-Werte nämlich in die Höhe. Noch besser wirkt nur die Sieg-Rune (hatte ich erwähnt, dass die ganze Geschichte von einem Nazi stammt?), damit kann man die Skala nach oben sprengen. Auflistungen entsprechender Bovis-Werte kann man in dem betreffenden Artikel nachlesen.

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Mir ist klar, dass es von vornherein sinnlos ist, in einem esoterischen Gedankengebäude nach Lücken, Inkonsistenzen u.ä. zu suchen, weil diese Gedankengebäude keine Grundlage in der echten Welt haben und darum so oder so in der Luft hängen. Und gut ausgedachter Unfug kann ja sogar ziemlich unterhaltsam sein. Aber ein bisschen mehr Sorgfalt könnte man von den Fantasten dann doch erwarten. Allzu gähnend groß sollten die Lücken nicht klaffen, sonst macht es keinen Spaß. Wer wird schon gern für so blöd gehalten, dass er nicht sieht, dass der Kaiser keine Kleider anhat…

Eine solche Lücke ist mir an dem Ding mit den Bovis-Werten aufgefallen. Da haben sie außer Lebensmitteln, Getränken, Gegenständen des täglichen Lebens und Literatur (mit weltanschaulich entlarvenden Ergebnissen)  nämlich auch Musik „gemessen“ und für verschiedene Interpreten und Genres sehr unterschiedliche Bovis-Werte ermittelt. Hardrock und Techno schneiden ganz schlecht ab, klassische Musik erreicht ganz anständige, teils sehr hohe Werte.

Und da wundere ich mich, wie das sein kann – erst wird ausführlich auf der Bedeutung und schlimmen Wirkung des O herumgeritten, und dann soll Musik von der Schallplatte (rund!) oder CD (auch rund!) oder aus dem Internet (kommt durch Kabel mit rundem Querschnitt!) auf einmal Superwerte erreichen? Das Zeug wird doch über Lautsprecher abgespielt, die ebenfalls meistenteils rund sind? Wirkt da die O-Form nicht, oder ist die Macht der guten Musik stärker als das böse O?

Vielleicht ist das wie bei der Homöopathie, wo die Potenzierung einer Verdünnung angeblich auch nur die gewünschten Teile der Ursubstanz betrifft, die unvermeidlichen Verunreinigungen des Lösungsmittels aber nicht. Man weiß es nicht.

Eigentlich dürfte überhaupt nur live und unverstärkt gespielte Musik nennenswerte Bovis-Werte einspielen. Aber: Musik aus Instrumenten mit runden Rohren oder Öffnungen dürfte auch live keine guten Werte erreichen. Blechbläser, Holzbläser, Schlagzeuger, Banjospieler haben alle Instrumente mit rundem Querschnitt oder für die Klangerzeugung relevanten kreisförmigen Elementen. Bei den Bläsern verlässt die Musik das Instrument sogar durch kreisrunde Öffnungen. Saiteninstrumente müssten auch erbärmlich abschneiden, weil die Saiten in der Regel auch einen kreisförmigen Querschnitt haben, und die meisten klassischen und Westerngitarren haben kreisförmige Schallöcher. Da könnte eigentlich nur sehr niederboviswertige Musik bei herauskommen.

Es stimmt also hinten und vorne nicht, ganz wie erwartet. Man wendet ein ohnehin unsinniges, rein fantasiebasiertes Konzept (Kraftvoll-gutes I zuzüglich mächtig-guter Sieg-Rune gegen düsterböses O) nicht einmal konsequent an sondern ignoriert Tatsachen, die nach dem vorgestellten Denkmodell eigentlich relevant sein müssten und ganz andere Ergebnisse erwarten ließen.

Da gibt es eigentlich gar nicht mehr viel zu sagen. Während ich noch versuche, ein würdiges, kompetent-überlegenes Schlusswort mit launiger Pointe zu basteln, kommt die traurige Posaune aus dem Off mit einem tiefempfundenen Mörp-mörp-mörp-möhr.

 

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

15 Kommentare zu „Fantastisch vermesssen“

  1. Wie sieht es in dem Zusammenhang eigentlich mit hakenkreuzförmigen Öffnungen aus? Die müssten die Bovis-Werte ja geradezu zu Potenztürmen (88 hoch (88 hoch (88 hoch(88 … [das ganze insgesamt 88 mal … ))) oder so) anwachsen lassen… oder?

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  2. Da das Hakenkreuz aber aus zwei (typographisch leicht veränderten) Sieg-Runen besteht, müsste der Effekt tatsächlich durchschlagend sein. Da besteht aber wohl noch „Forschungs“-Bedarf…

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  3. Ja, wenn wir noch wie dunnemals germanisch schreiben würden, wäre das Wasser auch noch mächtiger. So wird es durch das uns untergeschobene Besatzerkonstrukt „Lateinisches Alphabet“ verwässert…

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  4. Quod licet Iovi, non licet bovis, äh, bovi. Zu deutsch: Du bist so dermaßen uneingeweiht und negativ drauf, dass du zu keinem Urteil befugt bist!

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  5. Nun ja, – die Differenz zwischen „ehrlichem Unsinn“ zum Schärfen der Sinne der Kinder für den als Sinn verkauftem Unsinn, scheint mir ein Opfer der letzteren Funktionalität geworden zu sein. Bei diesem irrationalem Wunsch der Aufklärung nach der Vernunft, vergaß sie glatt die Aufklärung über menschliche Irrationalitäten, – und die Menschen handelten eben rational irrational.

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  6. Herrschaftszeiten auch. Danke für diesen Ausflug an den Rand des Wahnsinns. Mit dem, dachte ich immer, habe ich nicht viel zu tun — bis ich dann in einer ganz normalen Einkaufsstätte vor Ort Mineralwasser fand, lebendige Quelle, für einsfuffzich den Liter. Vollmondabfüllung, kein Witz, kostet fast zwo. Ich habe das Kleingedruckte dann nicht gelesen.

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  7. Was mir gerade einfällt: Hat die Speiseröhre nicht auch einen kreisförmigen Querschnitt? Verliert das Wasser daher also spätestens beim Runterschlucken alles, was es vorher an Lebenskraft hatte? Dann kann man nämlich ohne Bedenken das tote Wasser aus dem Hahn trinken, statt für teures Geld Vollmondwasser in Eso-Shop zu erwerben. (Von Blutgefäßen will ich gar nicht angfangen.)

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  8. Da fällt mir ein. Man könnte die Hersteller von Eso-Quatsch mit Post bombardieren und solche Änderungen einfordern, indem man ausgedachte Studien zitiert oder sagt, die Nachbarin, ein in Fachkreisen bekanntes Medium, habe das geträumt. So! Und nun entstören Sie bitte Ihre Strichcodes, machen Sie Flaschen eckig und schreiben Sie den kompletten nördlichen Sternenhimmel auf Ihr Etikett, aber bitte ohne Anilinfarben! Dann bleiben meine Selbsthilfegruppe und ich Ihre treue Kundschaft!

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  9. @ Achim: Vielleicht könnte jemand einen implantierbaren Wasserbelebungsapparat entwickeln? Der würde an die Speiseröhre gehängt und könnte dann all das tote Zeug auf dem Weg in den Magen wiederbeleben…

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In den Wald hineinrufen

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