Anonym unterwegs

Wenn jetzt die Bahn tatsächlich anfängt, ihre Kunden über ihre Handys technisch zu überwachen, weiß man ja nicht, wo die dabei gewonnenen Daten dann landen und wer sie dann wofür möglicherweise nutzt oder missbraucht. Die Zusammenarbeit mit einem, hm, seriösen Werbepartner wäre das Nächstliegende, man kennt das ja schon, und gehackt werden solche Datensammlungen auch immer mal.

Angesichts der politischen Entwicklungen in Sachen Datenschutz, Privatsphäre und Überwachung stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll sein könnte, sich dieser um sich greifenden Überwachung nach Möglichkeit zu entziehen und den Zugriff dieser Leute auf die Privatsphäre und die eigenen Daten so weit wie machbar zu verhindern. Letztlich läuft es auf die Frage hinaus, ob es überhaupt noch möglich ist, anonym unterwegs zu sein.

Um den Zugriff der Bahn und ihrer Werbepartner auf meine persönlichen Daten einzuschränken, sehe ich zwei Möglichkeiten: Die Verwendung eines anonymen Handys, das ich unter falschem Namen betreibe. Oder die Verwendung eines Zweithandys, auf dem keinerlei persönliche Daten gespeichert sind und mit dem ich mich auch von meinen üblichen Kontakten, Webseiten, sozialen Medien usw. fernhalte.

Im ersten Fall könnte ich mich u.U. tatsächlich anonym bewegen. Allerdings ist es in Deutschland heute schon verboten (aber trotzdem möglich), ein Handy unter falschem Namen anzumelden. Auch könnte ich bei Verspätungen oder Zugausfällen kaum Ansprüche gegen die Bahn geltend zu machen, wenn ich unter Pseudonym fahre.

Im zweiten Fall wüssten sie zwar, wer und wo ich bin, aber meine sonstigen persönlichen Daten könnten sie dort zumindest nicht direkt abgreifen. Ein solches Handy könnte ein sinnvolles Vorgehen sein, um mit vertretbarem Aufwand wenigstens das eigene Telefonbuch u.ä. beim Bahnfahren privat zu halten. Ob das nötig ist und sich der Aufwand lohnt, weiß ich nicht, und wer sich sowieso tagaus tagein bei Facebook o.ä. durchsichtig macht, kann sich das auch sparen. Davon abgesehen ist es ziemlich simpel – Zweithandy kaufen und in der Bahn nur das benutzen. Fertig. Das normale Handy kann man ja ausgeschaltet dabeihaben und außer Reichweite der Bahn dann normal verwenden. Wie gesagt, simpel und eigentlich auch langweilig.

Darum will ich mich hier mit dem ersten Fall beschäftigen – der möglichen Möglichkeit eines vollständig anonymen Handys. Mein Szenario: Ich bin normaler, rechtschaffener Bürger, der nichts zu verbergen hat. Ich arbeite, wohne, bin im Internet aktiv und habe eigentlich immer ein eingeschaltetes Handy dabei. Aber ich will manchmal unterwegs sein und kommunizieren, ohne dass ich Spuren hinterlasse, die zu mir zurückverfolgt werden können. (Wie man übrigens einen anonymen Twitter-Account einrichtet und betreibt, kann man hier nachlesen. Das ist nicht gerade trivial.)

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Ist also in Deutschland so ein vollständig anonymes Handy möglich? Grundsätzlich dürfte es möglich sein, mein anonymes Handy mit vertretbarem Aufwand zu mir zurückzuverfolgen. Aber mal sehen:

Ich bin vorsichtig bis paranoid und kaufe das Gerät irgendwo in einem dieser kleinen Handyreparaturläden, wie man sie in den schmuddeligeren Teilen der Innenstädte findet. Dazu fahre ich in die Nachbarstadt und zahle natürlich bar. Die SIM-Karte kaufe ich in einer anderen Stadt, vielleicht im Urlaub oder auf dem Weg dorthin, möglichst auch in so einem Laden oder, wenn das nicht geht, in einem Drogeriemarkt, am besten im Winter mit Mütze und Schal, unrasiert, vielleicht mit getönter Brille. Ich warte ein paar Wochen, bevor ich die Karte in einer dritten Stadt aktiviere, damit eventuelle Überwachungsaufnahmen schon gelöscht sind. Bei der Aktivierung gebe ich einen falschen Namen und eine fiktive Adresse an.

Ich schalte mein anonymes Handy nie zuhause oder in der Nähe meiner gewohnten Aufenthaltsorte ein. Ich habe mein normales Handy nie dabei, wenn ich das anonymes Handy benutze und lasse niemanden das anonyme Handy sehen.

Ein hinreichend motivierter und technisch gut ausgestatteter Überwacher könnte sicher die Änderung in meinem Nutzungsverhalten und meinem Bewegungsmuster erkennen – früher: normales Handy immer an, jetzt: manchmal aus oder zu vorher ungewohnten Zeiten lange an aber unbewegt an einem Ort, z.B. zuhause.

Entsprechende Algorithmen würden solche Änderungen im Nutzerverhalten sicher selbständig aus dem Datenstrom fischen und zur Nachverfolgung vorschlagen. Durch Analyse dieser Änderungen könnte man Anomalitäten aller Art isolieren, und damit könnte man gezielt nach Handys suchen, die immer nur dann aktiv sind, wenn mein normales Handy diese ungewöhnlichen Auszeiten hat.

Verknüpft mit Daten zum ÖPNV/Straßenverkehr könnte man sogar automatisch die Orte berechnen, an denen nach Ablauf einer bestimmten Zeit ein vermutetes anonymes Ausweichhandy aktiv werden könnte. Gleicht man das mit den in dem berechneten Bereich georteten Handys ab und sortiert die „normalen“ Handys aus (also die, deren Besitzer man kennt) und die, die aus anderen Gründen nicht in die Lücken meiner normalen Handynutzung passen, kann man die Zahl der möglichen Kandidaten sicher deutlich eingrenzen.

Wenn man dann noch typische Bewegungsmuster einbezieht, also Zugriff auf Sensordaten, die Rückschlüsse darauf erlauben, in welcher Hosentasche ich das Ding trage und den Abgleich mit der Art erlauben, wie ich mich sonst bewege – wie laufe ich, wie sitze ich, wie lange tue ich dies oder das – lassen sich aus den Sensordaten sehr umfangreiche Profile basteln, die man abgleichen und zur Feststellung der Identität zweier Überwachungsziele verwenden kann (hier mal ein interessantes Beispiel aus der Welt des IoT mit schicken Multisensorkästchen).

Das mag vielleicht noch keine gerichtsfeste Identifikation erlauben, aber doch zumindest Grund für die nähere Betrachtung mutmaßlich übereinstimmender Profile geben, auf deren Grundlage man dann sicher zu einer positiven ID kommen kann. Außerdem sind wir hier in Dystopia unterwegs, da wäre die Rechtsstaatlichkeit mutmaßlich bereits so weit ausgehöhlt, dass ein einigermaßen handfester Verdacht für eine Verhaftung reicht.

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Um es den Schlapphüten nicht so einfach zu machen, müsste man die Anschaffung und Inbetriebnahme des anonymen Handy sorgfältig vorbereiten. Die bisherigen Gewohnheiten behutsam über längere Zeiträume so anpassen, dass in den normalen Tagesabläufen Zeitfenster entstehen, in denen man mit dem anonymen Handy unterwegs sein kann, ohne dass das Bewegungsprofil des normalen Handy Auffälligkeiten aufweist, wo Überwacher einhaken könnten. Dann muss man ein Konzept entwickeln, wann und wo man das aH einschaltet, wie lange man es in Betrieb hat usw. Idealerweise sollte man sich eine Methode überlegen, dass das anonyme Handy zeitgleich mit dem normalen Handy an verschiedenen Orten eingeschaltet ist und dem gewohnten Bewegungs- und Nutzungsmuster entspricht, um die Überwachung zu verwirren.

Allerdings muss man in Betracht ziehen, dass der öffentliche Raum zunehmend videoüberwacht wird, gerade Bahnhöfe, und man damit rechnen muss, identifiziert zu werden. Wenn dann der Aufenthaltsort des normalen Handys mit dem per Video festgestellten Aufenthaltsort nicht übereinstimmt, wird der Abgleich mit den am Videoort (und evtl. in der Folge weiteren Sichtungsorten) aktiven Handys sicher eine Identifikation und Zuordnung des anonymen Handys möglich machen. Man muss also sehr aufpassen, und ob man Webseiten wie Surveillance under Surveillance, die den Standort von Überwachungskameras zeigen, in Zukunft überhaupt noch wird aufrufen können, steht dahin. Auch kann man nie sicher sein, dass solche Auflistungen auch vollständig sind. Man muss grundsätzlich damit rechnen, trotz aller Vorsicht irgendwo gesichtet und identifiziert zu werden.

Außerdem könnte es weitere Möglichkeiten geben, Personen im öffentlichen Raum zu identifizieren. Neben Gesichtserkennung gibt es noch die Ganganalyse, die ebenfalls auf Grundlage von Überwachungskameras funktioniert, und wer weiß, was die Großen Brüder und ihre Schlapphüte sich noch alles einfallen lassen. Alles in allem könnte es eng werden…

Nachtrag (18.06.2017): Patrick Beuth schreibt hier über Methoden, anonym im Internet unterwegs zu sein und einzukaufen. Eigentlich eher über die Grenzen dieser Methoden.

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

44 Kommentare zu „Anonym unterwegs“

  1. Alles in allem könnte es eng werden…

    … zumal es keinen Garantieschein auf Demokratie gibt oder das, was noch von Demokratie übrig ist.

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  2. …und irgendwann Gedankenüberwachung per Hirnscan! Und Jenseitskontrolle – so dass man sich nicht einmal durch Tod der totalen Versklavung entziehen kann! Und anschließend werden wir alle vergast…

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  3. @ Wolf Niese: Es könnte tatsächlich eng werden. Noch sehe ich die Demokratie hierzulande weitgehend intakt, aber in dem Maß, in dem das Wählerinteresse schwindet und manchen Machern in der Politik die Bäume zu hoch wachsen wird es wackeliger und könnte irgendwann kippen, wie ind er Türkei oder, noch nicht ganz so weit aber schlimm genug, Polen.

    @ Yadgar: Gedankenüberwachung sind sie ja dran. Aber welche Art Versklavung wäre nach dem Tod überhaupt denkbar?

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  4. Wenn ich alle dystopischen Tendenzen der Gegenwart zu Ende denke, kommt am Ende WELTSCHWITZ heraus: eine weltumspannende, immerwährende KZ-Hölle, aus der es niemals mehr ein Entrinnen geben wird… und offensichtlich wollen die meisten Menschen es so!

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  5. Ja, der Eindruck ist nicht abwegig, dass es in die Richtung läuft und erschreckend viele das gut finden. Dazu passt „The Circle“ von Dave Eggers, der hat das ja schön ausbuchstabiert…

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  6. …oder ziehen wir uns einfach nur zuviel Medienhorror rein? Süchtig nach schlechten Nachrichten sind wir doch allemal, da wäre „Weltschwitz“ doch der ultimative Angstkick!

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  7. Das Ministerium für Liebe verkündet:

    „Auschwitz 2.0 ist gut für dich, mein Kind! Das neue Gas tut auch gar nicht weh…“

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  8. @gnaddrig:
    „Aber welche Art Versklavung wäre nach dem Tod überhaupt denkbar?“

    Kommt drauf an – sollte sich herausstellen, dass es ein mit naturwissenschaftlichen Methoden erfassbares Korrelat zu einer von Materie unabhängigen „Seele“ gibt, werden SIE alles daransetzen, dieses Etwas zu kontrollieren, für sich nutzbar zu machen. Solange dieses Korrelat nicht gefunden ist, werden SIE (also das zukünftige dystopische Weltregime) schlichtweg das Sterben verbieten, genauer gesagt, technologisch unmöglich machen – denn IHRE Maxime lautet: WIR WOLLEN, DASS DU LEIDEST! Und ohne Bewusstsein kein Leid, also…

    Es kann aber auch genauso gut sein, dass all diese meine Horrorvorstellungen von einem „Weltschwitz“ nur die Folge von zuviel Internet-Leitmedienkonsum sind… vielleicht sollte ich mir ZEIT Online wirklich abgewöhnen!

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  9. Hm, man kann wohl davon ausgehen, dass alles, was geht, früher oder später irgendwo auch irgendwie gemacht wird. Aber den unbedingten Willen zum Quälen sehe ich nicht. Klar gibt es Leute, denen das Spaß macht, und die neigen sicher dazu, sich Machtpositionen zu verschaffen. Aber dass eine Gruppe von so gestrickten Leuten soviel Macht erlangt, dass sie ihre Vorlieben gegen den Willen der überwältigenden Mehrheit durchsetzen kann, ist meiner Meinung nach nicht in Sicht.

    Außerdem: Wie will man all die zwanghaft am Ableben gehinderten Menschen versorgen? Wenn niemand mehr abtritt kommt es zu einer Bevölkerungsexplosion. Die Welt platzt ja so schon aus den Nähten, da sind für sowas kaum Ressourcen übrig, oder? Dafür wäre einiges an Infrastruktur nötig, das man nicht mal eben so aus der Portokasse finanziert. Allerdings hast Du wohl eine neue Spielart der Zombiekalypse erfunden, Glückwunsch!

    Ob diese Vorstellungen nur ausgerechnet von Zeit Online befeuert werden – ich weiß nicht…

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  10. Anonymes Handy? Hm naja, vielleicht kann man so etwas in einem Bahnhofsviertelshop (TM) ja noch erwerben. Ich habe die Tage eine Prepaid-SIM gekauft und musste bei Mediamarkt dafür den Personalausweis zeigen.

    Ansonsten falle ich bei der Handyticketvision der Bahn aus dem Beuteschema, mangels Smartphone. Bin also einer von den Gestrigen, die einen Fahrschein aus Papier erwerben und im Zug vorzeigen. Da ich zumeist aber Onlinetickets kaufe, weiß die Bahn ohnehin, wo ich unterwegs bin.

    Aber die entsprechenden Tarifmodelle gibt es ja schon lange. Letzten Sommer waren wir in Südtirol, und da ist die große Mehrheit der Fahrgäste im ÖPNV mit einer Bestpreiskarte unterwegs. Das dürfte eine Karte mit Nahfeldkommunikation sein, die wird beim Ein- und Aussteigen an einen Leser gehalten. Da die Bus-EDV immer weiß, wo der Bus gerade ist (Transponder am Bus, Baken an jeder (!) Haltestelle), ist die Berechnung des Tarifs kein Problem. (Wobei die Baken oder wie auch immer das heißt wohl mehrheitlich „passiv“ sind, d.h. sie geben auf das Transpondersignal hin ihren Standort preis, sind aber nicht mit dem Computer der Leitstelle verbunden – nur in größeren Orten gab es dynamische Fahrtanzeiger an den Haltestellen.)

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  11. Seit der neuen EU-Roaming-Verordnung ist es ja jetzt auch bezahlbar, ausländische SIM-Karten zu benutzen. In Österreich, habe ich gehört, kriegt man Prepaidkarten ganz regulär anonym.

    Dass die Bahn weiß, wo fast alle ihre Kunden jeweils sind bzw. wann sie in welchem Zug waren, ist schon klar. Zumindest im Nachhinein wird sie alle Fahrten von Bahncard-Inhabern und Onlinekunden nachvollziehen können. Wer wirklich anonym fahren will, muss Karten ohne Ermäßigung kaufen und bar bezahlen oder sich eine Bahncard 100 leisten, die wird nämlich nur auf Sicht kontrolliert, ohne das Lesegerät.

    Bei der Handyticketgeschichte war anscheinend noch nicht klar, ob das über eine App auf dem Smartphone laufen soll oder ob jede beliebige SIM-Karte dort registriert werden kann und zur Ermittlung der gefahrenen Strecke und anschließenden Rechnungslegung benutzt werden soll. Bei Apps weiß wenigstens man was man hat und worauf man sich einlässt. Appunabhängige Handyortung ist da privatsphäremäßig eine andere Nummer, denn das müsste sich ja nicht auf Züge beschränken – wer weiß schon, wer wo was misst, ortet oder nachverfolgt und welche Begehrlichkeiten solche Systeme wecken. Das fände ich dann schon unheimlicher, daher auch diese Gedankenspielerei mit dem wirklich anonymen Handy.

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  12. „Appunabhängige Handyortung“ oh graus. Dürfen die das überhaupt? Ich meine, würde eine entsprechende Änderung der AGB (denn das wäre das Minimum) überhaupt rechtlich zulässig? Nach dem Gebot der Datensparsamkeit und der Zweckbindung bei der Datenerhebung bin ich der Meinung, dass man die Handydaten eines Fahrgasts, der einen papiernen Fahrschein bei sich trägt, nicht erheben (und schon gar nicht speichern und verarbeiten) darf, da sie für die Erbringung und Abrechnung der Leistung nicht benötigt werden.

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  13. Ohne Händi leben und wieder Festnetzanschluss haben? Nur an einem Ort elektronisch kommunizieren, da wo das Festnetz ist und mein Kabelcomputer?

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  14. @schnecke:
    „Ohne Händi leben und wieder Festnetzanschluss haben? Nur an einem Ort elektronisch kommunizieren, da wo das Festnetz ist und mein Kabelcomputer?“

    Du glaubst es vielleicht nicht – aber so lebe ich bis auf den heutigen Tag! Abzüglich der drei Monate im Jahr 2001, als meine Mutter meinte, mich zum 32. Geburtstag mit einem solchen Quasselknochen beglücken zu müssen – als dann der erste SMS-Spam kam, habe ich das Ding schleunigst wieder eingemottet!

    Und mein gegenwärtiges Smartphone (Samsung Galaxy S3) nutze ich bis auf weiteres nur als Offline-Navi bei Fahrradtouren… kein Vertrag, keine Prepaid-Karte, keine Überwachung.

    Mein einziger Mobil-Computer ist ein uralter Hewlett-Packard-Laptop mit kaputtem Akku, den ich bei mehrtägigen Verwandtenbesuchen mitnehme, um dort ungestört von Ablenkung durchs Internet programmieren und Freeciv zocken zu können…

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  15. @gnaddrig:
    „Yadgar, irgendwie bist Du mir gleich komisch vorgekommen“

    Ja, ein skurriler langhaariger und -bärtiger Schrat, der bisweilen mit anderthalb Beinen in der Klapse hängt…

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  16. Hallo Yadgar,
    „komisch“ finde ich Dich eigentlich nicht, eher ungewöhnlich, bzw. verstörend.
    Jetzt frage ich mich, was waren vor 50 Jahren die Reisesehnsuchtsländer, bzw. worauf bezieht sich Deine Hoffnung, dass in weiteren 50 Jahren diese Reisesehnsuchtsländer wieder die gleichen sind?
    Die Malediven oder die DomRep sind es bestimmt nicht, vermute ich. Und Südseeinseln gibts in 50 Jahren wahrscheinlich sowieso nicht mehr, und in Afrika wird wahrscheinlich nicht mehr Tourismus betrieben, sondern bloß noch verhungert, wenn nicht vorher eine Klimaschutzrevolution, die nur einen Kapitalumverteilungsrevolution sein kann, die „Welt“ rettet.

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  17. Hallo Gnaddrig, was ich komisch finde, ist Deine Fassungslosigkeit der Tatsache gegenüber, dass jemand sich der allgemeinen Durchsichtigkeit durch ‚Rundumvernetzung-überall-und-immer‘ entziehen will. Das ist weniger Widerstand gegen Überwachung und die Durchlöcherung des Datenschutzes, als eine Nervenschutz-Maßnahme. Zum Beispiel – die Vorstellung, ich sitze in der Bahn und weiß, da beobachtet jemand wo ich bin und wohin ich fahre – da rollen sich mir die Zehennägel auf vor Ärger! Wenn ich, um das zu verhindern mit Papierfahrschein fahre und mein Handy unterwegs ausschalte, dann handle ich doch bloß wie jemand, der die Vorhänge zuzieht, bevor er sich auszieht und ins Bett geht.

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  18. Hallo Schnecke, meine Fassungslosigkeit war gespielt und gealbert, Dir und Yadgar gegenüber (ich am 30.05. um 14:26 und um 21:42).

    Ich sehe das ähnlich wie Du. Mir ist bei vielem, was sich da so zusammenbraut, ziemlich mulmig und ich finde es schwierig, zwischen den alltagserleichternden Möglichkeiten der modernen Technik und den Bedrohlichkeiten das rechte Gleichgewicht zu finden.

    Deshalb störe ich mich auch an den ständigen Vorstößen „der Politik“ (und „der Wirtschaft“ sowieso), die möglichst lückenlose Durchleuchtung und Überwachung der Bevölkerung zu ermöglichen und zu legalisieren und allen möglichen Behörden immer weitergehende Befugnisse im Umgang mit unseren Daten zu geben. Deshalb schreibe ich auch immer wieder über diese Sachen.

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  19. @schnecke:
    „Jetzt frage ich mich, was waren vor 50 Jahren die Reisesehnsuchtsländer, bzw. worauf bezieht sich Deine Hoffnung, dass in weiteren 50 Jahren diese Reisesehnsuchtsländer wieder die gleichen sind?“

    Afghanistan! In den 1960ern DAS Hippie-Traumziel (von Indien abgesehen) schlechthin… und in den 2060ern hoffentlich endlich wieder für Individualtouristen bereisbar! Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass ich das noch erlebe… es sei denn, beim Transhumanismus kommt der große Durchbruch!

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  20. @gnaddrig:
    „Ob diese Vorstellungen nur ausgerechnet von Zeit Online befeuert werden – ich weiß nicht…“

    Nicht durch den redaktionellen Teil (obwohl ich dort, wie überhaupt im Onlinejournalismus, das Gefühl habe, dass die Inhalte und Gestaltung zumindest eines Teils der Artikel auf größtmögliche Kommentar- und damit Klickzahl hin optimiert werden…), sehr wohl aber die Kommentare! Was dort an Ressentiment, Dummheit, Paranoia und abgefucktestem Nihilismus herumschwappt, lässt mich zunehmend alle zivilisatorischen Hemmungen vergessen, jedes Mal, wenn ich dieses Zeugs lese! Dann würde ich am liebsten mit einer Metal Storm-Geschützbatterie (1000 Schuss/Sekunde aus 1500 Läufen gleichzeitig) durch die Kommentarspalten marodieren und all diese Arrrrrrschlöcher zu blutiger Matsche oder wenigstens zu informationslosen Bitbrei schreddern… na ja, jedenfalls mit dem digitalen Äquivalent eines „Metal Storm“!

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  21. Ok, hinsichtlich der Kommentare gebe ich Dir recht. Da gibt es so viel Dreck, der einen an der Menschheit verzweifeln lassen könnte/müsste, das macht keinen Spaß mehr.

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  22. Ja, und wie gesagt habe ich schon seit längerem das Gefühl, dass dieser Kommentarspalten-Mob von den Onlineredaktionen regelrecht angefüttert wird – besonders ausgeprägt auf Welt Online und Locus… äh, Focus Online, da gibt es dann zu völlig harmlosen Themen wie Astronomie reißerische Teaser à la „Viele Planeten haben einen Migrationshintergrund“, um den rechten Pöbel zum Klicken zu bringen! Zum Kotzen!!!

    Online-„Journalismus“, das muss mittlerweile eine durch und durch korrupte Veranstaltung sein… die Artikel werden wie gesagt auf größtmögliche Kommentar- und Klickzahl hin lanciert (andernfalls würde die öffentlich sichtbare Kommentarzahl bei den Teasern auch keinen Sinn ergeben), irgendwas mit Islam, Islam, Islam, Hartz IV, Gender oder Klimawandel, und viele hundert Kommentare sind garantiert, das meiste davon wie gesagt dummdreistes Herumgehasse, das rechte Kommentariat grölt entweder Beifall oder tritt einen lehrbuchmäßigen Scheißesturm los (auch kein Problem, wie gesagt, es geht NUR um Klicks, Klicks und nochmals Klicks, schlechte Presse bringt auch Klicks, bloss nicht langweilig werden!)… Ich vermute (Belege habe ich bis jetzt leider noch nicht): die Anzeigenpreise für die Bannerwerbung bei den Onlinezeitungen werden auf Tages- oder sogar Stundenbasis nach Klickzahlen berechnet, je mehr Klicks, desto teurer die Anzeigen, anders kann ich mir das alles nicht erklären!

    Leider sind wir alle süchtig nach dem Zeug, andernfalls hätten wir uns Zeit Online & Komplizen längst abgewöhnt… warum hören wir nicht Radio, wo es schon technisch bedingt kein Hörerkommentargerotze zu aktuellen Nachrichten geben kann (zumindest hierzulande, wo die Öffentlich-Rechtlichen bislang noch der Versuchung, Rush-Limbaugh-mäßiges „Talk Radio“ zu veranstalten, widerstehen konnten – auch beim WDR-5-Tagesgespräch kommt längst nicht jedes dahergeschissene rechte Schloch zu Wort!) ? Hören braucht Zeit, Onlinezeitungen lesen ist dagegen wie ein kurzer schneller Kick aus der Crackpfeife! Und macht wie gesagt genauso süchtig und auf die Dauer kaputt im Kopf wie Crack…

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  23. Ein Freund von mir ist Journalist bei einem eigentlich ordentlichen Sender (öffentlich-rechtlich). Dort rücken die unsozialen Medien immmer mehr in den Fokus, und es geht natürlich um Klickzahlen. Dem Politikredakteur wird dann vorgehalten, dass seine kluge Analyse irgendeines Gesetzgebungsvorhabens nicht so viele Klicks bekommt wie der Bericht über die neue Weinkönigin oder Karnevalsprinzessin mit entsprechendem Aufmacherbild…

    Ich finde deinen Vergleich mit dem schnellen Kick gar nicht so schlecht. Mit der Einschränkung, dass meine Drogenbiografie keinen eigenen Vergleich erlaubt 😉

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  24. @Achim:
    „Mit der Einschränkung, dass meine Drogenbiografie keinen eigenen Vergleich erlaubt“

    Meine auch nicht… Crack kenne ich (glücklicherweise!) auch nur vom Hörensagen!

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  25. Ich glaube, man muss zwischen dem Journalismus und dem Portal bzw. der Vermarktungsmaschine trennen. Achims Kommentar scheint mir das zu bestätigen.

    Bei meiner Hauspostille Zeit Online lese ich viele meiner Meinung nach gute Artikel, in denen sachkundige Autoren ihre Themen unaufgeregt referieren (anderswo auch, sueddeutsche etwa). Die Überschriften und Teaser dürften aber von anderen Leuten kommen. Oft genug passt das nicht recht zusammen, wobei Zeit Online da noch ziemlich gemäßigt auftritt. Bei den von Yadgar genannten Angeboten geht es da deutlich robuster zu. Und wenn dann auch die guten Artikel die es (außer vermutlich beim Focus) auch gibt, in dieser Klickbaitingsuppe untergehen, war’s dann mit dem Journalismus.

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  26. @gnaddrig, 01.06.2017 um 13:11

    Leider findet man auch auf Zeit Online sichtlich von Praktikanten auf die Schnelle hingehuddelte Artikel voller (auch sachlicher) Fehler, wo dann z. B. Arktis und Antarktis oder Osten und Westen durcheinander gebracht werden – liest denn da niemand Korrektur? Oder verheißungsvolle Teaser, hinter denen sich dann kümmerliche 3-Absatz-Textchen verbergen, so dass ich mich gründlich verschaukelt fühle! Nein, Onlinezeitungen sind nicht wirklich gehaltvolle Kost… mich würde mal z. B. für Zeit Online eine Statistik interessieren, wie groß die Schnittmengen der Artikel aus der Online- und der jeweils aktuellen Printausgabe sind – da gibt es nämlich jede Menge Zeug, von dem ich mir einfach nicht vorstellen kann, das sowas tatsächlich auch gedruckt wird, gefühliger Lifestyle-Chichi wie „Ist Einsamkeit ansteckend?“ oder diese verquaste „So reden wir mit…“-Serie… und dann dieser bento- und ze.tt-Kram, der sichtlich auf 22jährige Veganmädchen, die irgendwas mit Pädagogik studieren zugeschnitten ist! Was natürlich alles auch wieder den unverzichtbaren rechten Netzpöbel anlockt, der dann in den Kommentarspalten saftig rumreihert…

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  27. @Yadgar

    Ich meinte „dieser bento- und zett-Kram“ – aber schlug offensichtlich die Autokorrektur von WordPress zu!

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  28. Hast recht, da ist viel aufgeblasenes Nichts drin, und ze.tt ist sowieso 97% Luftnummer und Schrott. Campus ist deutlich weniger schlimm, bei Zeit Magazin ist die Spannbreite größer (von völlig unsäglich bis ziemlich lesenswert), aber der Schrottanteil viel zu groß. Bei spektrum ist die Mischung auch interessant – teils supergute, ausführliche Artikel, teils schnell zusammengeklatschter Textbruch oder aufgehübschte Pressemitteilungen.

    Insgesamt fühle ich mich trotz allem bei ZO einigermaßen solide über Aktuelles informiert, mit ein bisschen Sortieren. Besser als auf SPON (die zu glauben scheinen, sie wären die bessere Bundesregierung und könnten überhaupt die Welt retten, so nebenher, wenn man sie nur ließe). Focus ist völlig unlesbar, Springerpresse will ich aus Prinzip nicht, faz.net ist irgendwie nicht für mich geschrieben, taz.de auch nicht. Sueddeutsche.de geht ganz gut. Bei nzz.ch schaue ich auch immer gern rein, für den Blick von außen.

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  29. @gnaddrig:
    „Springerpresse will ich aus Prinzip nicht, ist irgendwie nicht für mich geschrieben, auch nicht. geht ganz gut. Bei schaue ich auch immer gern rein, für den Blick von außen.“

    Was ist da mit deinem Text passiert? Oder spielt mein Browser verrückt?

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  30. Muss der Browser sein, bei mir ist der Text vollständig. Egal, jetzt mal ohne dotcom-Endungen: Springerpresse will ich aus Prinzip nihct, faz ist irgendwie nicht für mich geschrieben, taz auch nicht. Sueddeutsche geht ganz gut. Bei nzz schaue ich auch immer gern rein, für den Blick von außen. Besser?

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  31. @gnaddrig, 01.06.2017 um 15:33

    Über die Bild-Zeitung (Zeitung?!?) müssen wir nicht reden, Welt Online ist die Bild für Leute, die sich für etwas Besseres als der durchschnittliche Bild-Leser halten, dort drängelt sich folglich der Pegida-Pöbel Arrrrsch an Arrrrsch… FAZ kam mir, als sich sie mit 19 Jahren das erste Mal las (damals natürlich Print) wie die geballte Arroganz des konservativen Establishments vor (FAZ Online ist da nicht ganz so schlimm, und Don Alphonso drollig versnobt!), taz ist ganz nett, wenn auch die Neigung zu Genderquatsch und ähnlichem Justemilieu-Firlefanz nicht zu übersehen ist, immerhin watet man in den Kommentarspalten nicht hüfttief in der braunen Jauche (was auch der etwas gouvernantenhaften Moderation zu verdanken ist – wenn ich von „Weltschwitz“ und „Prolocaust“ deliriere wird das auch zuverlässig geblockt!). Focus Online ist wiederum die zentrale Rechtsaußen-Meinungstoilette, wo alle diejenigen abkoten, die es auf Junge Freiheit, Blaue Narzisse oder Sezession mangels Kommentarfunktion (warum wohl?!?) nicht können… noch ekliger als Welt Online, wo ab und zu inmitten all der Fäkalien auch mal ein vernünftiger Kommentar dahergedümpelt kommt. SZ Online kommt mir boulevardhafter vor als die Printausgabe (die ich als Student in den 1990ern wegen des erstklassigen Auslandsteils (Afghanistan!!!) zu schätzen wusste und zwei Jahre lang sogar abonniert hatte). NZZ kenne ich fast nur vom Hörensagen.

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  32. @Yadgar:
    “ die es auf Junge Freiheit, Blaue Narzisse oder Sezession mangels Kommentarfunktion (warum wohl?!?) nicht können“

    Da war ich wohl nicht auf dem Laufenden: mittlerweile erlauben alle drei genannten Rechtsaußen-Postillen Online-Kommentare… was es allerdings auch nicht besser macht, weder im Hinblick auf den rechtsradikalen Andrang bei Focus Online, noch gar auf den Inhalt der Kommentare bei JF und Konsorten.

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  33. Und da frage ich mich: warum hört man nirgendwo etwas von einer Anti-Internet-Bewegung? Die muss ja nicht mal militant sein – die Vorstellung von brennenden Rechenzentren mag ja gut zum Frust Abreagieren sein, aber umgesetzt in die Realität wäre das genauso dämlich und kontraproduktiv wie alle Jahre wieder die Macht-kaputt-was-euch-kaputt-macht-Randale der Berliner Autonomen.

    Aber wieso zieht sich niemand konsequent aus dem Internet zurück? Qualitativ hochwertigen Content (jenseits von Online-Programmierhandbüchern) gibt es doch schon aus Urheberrechtsgründen höchst selten – wer Bücher schreibt, will oder muss in der Regel vom Schreiben leben, aber wenn man sich die Bücher gratis herunterladen kann, geht das schwerlich. Was ist überhaupt so toll am Internet? Dass jeder jederzeit jeden beliebigen Hirnmüll reinpumpen kann? Die drolligen Videos von zahmen Luchsen? 600 „Freunde“ via Fratzenbuch? Der daily horror aus Afghanistan, live und in Farbe?

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In den Wald hineinrufen

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