Stark übertrieben

Meine Kamera ist wieder da. Neulich hatte sie ja nach nur zweieinhalb Jahren unverhofft schlappgemacht. Nachdem der von mir konsultierte Reparaturmensch den Daumen gesenkt hatte, stand also die Anschaffung einer neuen Kamera an. Eigentlich hatte ich deshalb dem Hersteller einen bösen Brief schreiben wollen. Bei der Suche nach der Adresse bin ich dann aber über einen Hinweis auf autorisierte Reparaturbetriebe gestolpert. Der Vollständigkeit halber habe ich dort angefragt, ob die das Wrack vielleicht doch wieder flottkriegen könnten. Die meinten, sie könnten. Ich habe die Kamera also eingeschickt und zwei Wochen später voll funktionstüchtig wiedergekriegt.

Das war nicht ganz billig, aber Kaufpreis und Reparatur zusammen liegen immer noch unter dem Listenpreis bei Markteinführung. Und es ist immer noch sehr viel billiger als eine vergleichbare neue Kamera. Insofern ist die Episode zwar immer noch ärgerlich und teuer, es hätte aber schlimmer kommen können. (Und wenn das Ding sich in ein, zwei Jahren wieder verabschieden sollte, schreibe ich den bösen Brief wirklich, und zwar mit Schmackes!)

Der Bericht über meinen Tod wurde stark übertrieben, lege ich der Knipse jetzt mal Mark Twains berühmtes Zitat in den Mund. Damit könnte ich für heute eigentlich Schluss machen.

Nur frage ich mich jetzt Dinge. Etwa, ob der zuerst konsultierte unabhängige Fachman mich übers Ohr hauen wollte – knapp 20 Euro für einen Kostenvoranschlag ankündigen, die Kamera für irreparabel erklären und mir als Kunde die 20 Euro erlassen, wenn ich ihm dafür den Elektroschrott überlasse. Dann hätte er ein Ersatzteillager, das mit minimalem Geschick sicher mehr als die erlassenen 20 Euro eingebracht hätte. Sogar kaputte Kameras sind auf E-Bay für mehr weggegangen. Andererseits spräche sich sowas sicher rum, das kann keine belastbare Geschäftsgrundlage sein für einen Betrieb, der nicht zuletzt von seiner Reputation lebt.

Egal, Zum Glück bin ich nicht drauf eingegangen, das Ding war ja doch noch zu reparieren.

Dann der Hersteller: Liefern die generell oder nach irgendeiner festgelegten Frist keine Ersatzteile an unabhängige Werkstätten, um den eigenen Servicebetrieben die Aufträge zuschanzen zu können? Wäre unschön, aber sicher nicht überraschend – Autohersteller mussten ja auch gezwungen werden, bestimmte Informationen auch freien Werkstätten zur Verfügung zu stellen. Wenn das Prinzip funktioniert, wird es kaum auf die Autobranche beschränkt sein.

Und schließlich: Bei der Reparatur wurde ungefähr die Hälfte der Kamera ausgetauscht. Naja, vielleicht nicht die Hälfte, aber mehr als nur das kaputte Objektiv. Beispielsweise auch das eigentlich nicht kaputte Display. Gut, vielleicht gab es einen technischen Grund, der auf der Rechnung nicht vermerkt ist und auf den ich auch nicht komme, aber zunächst kommt mir das spanisch vor. Hat man die Reparatur unnötig aufgebläht, um mehr Umsatz zu machen? Kann ich nicht grundsätzlich ausschließen, aber ist es auch wahrscheinlich? Was, wenn mal jemand nachfragt? Andererseits, wer wollte denen da was beweisen? Auf Nachfrage könnten die ja alles mögliche erzählen, die ausgetauschten Teile wären ja lange im Müll. Die könnten das also ziemlich unbehelligt ziemlich dreist treiben.

Irgendwie finde ich es auch unbefriedigend, so auf die Fachkenntnis anderer Leute angewiesen zu sein und nicht einmal beurteilen zu können, ob die angemessen und gut arbeiten oder ob sie mich ausnehmen. Andererseits kann ich ja nicht alles wissen und können, irgendwo muss ich ja doch Fremdwissen und -fähigkeiten einkaufen. Egal, hauptsache die Kamera tut wieder!

 

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

8 Kommentare zu „Stark übertrieben“

  1. Insbesondere beim letzten von Dir angeführten Punkt bin ich auch schon oft angelangt. Es ist mir bei Produkten, wo ich meine, es beurteilen zu können, schon häufiger passiert, dass Händler Verschleißteile enorm früh ersetzen wollten oder mal auf Verdacht was tauschen wollten. Deswegen bin ich sicher, bei anderen Sachen, bei denen ich mich gar nicht auskenne, schon häufig Geld wenn nicht „umsonst“ dann doch mindestens unnötig früh ausgegeben zu haben. Die Werkstatt, in die ich im Ernstfall mein Auto bringe, hat dagegen kürzlich mit dem Satz „wenn es mein Auto wäre, würde ich erstmal gar nichts machen“, sichergestellt, dass ich, sobald die Reparatur wirklich nötig ist, sie ganz sicher dort machen lassen werde und sicher lange Kunde dort bleibe.

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  2. Gute Werkstatt, da würde ich auch wieder hingehen 🙂

    Ansonsten hatte ich das mit dem zu früh und zu großzügig austauschen auch befürchtet.

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  3. Bei der vorletzten Inspektion meines Fahrrads wurde ich angerufen: Die Vorderradfelge sei schon ziemlich runtergebremst, die müsste ausgetauscht werden. Ich habe zu Hause in den Rechnungen geraschelt, das gute Stück war gerade erst drei Jahre alt, also angesichts meiner üblichen Wege höchstens 15.000 km. Anruf: Nö, bleibt drauf. Antwort: Auf Ihre eigene Verantwortung. OK. Da ich den Chef des Ladens persönlich kenne, habe ich ihn gefragt. „Naja weißt du, wir müssen das prüfen, denn wenn ein Kunde einen Unfall hat, weil die Felge nachgibt, und wir haben nicht gewarnt, sind wir dran.“ Meinetwegen.
    Nächste Inspektion, inzwischen auch fast ein 3/4 Jahr her: Kein Kommentar zur Vorderradfelge. Da war wohl ein weniger umsatzorientierter Monteur dran 😉 Und ich habe noch immer kein mulmiges Gefühl…

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  4. Ok, bei sicherheitsrelevanten Teilen ist es wohl auch besser eher zu vorsichtig als zu locker zu sein. Wenn die uralten Bremszüge eines runtergerittenen rücktrittlosen Fahrrads reißen, kann das böse ausgehen…

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  5. Ja, aber wenn die gleiche Firma ein Jahr später den Austausch gar nicht anspricht, der beim ersten Mal so dringend gewesen sein soll, werde ich schon aufmerksam. Ich fahre ja nicht ungebremst durch die Gegend (lässt sich bei 5.000 km/a im Berliner Verkehr auch nicht durchhalten).

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  6. Klar, dieselben Mängel (egal ob es wirklich welche sind) sollten jedesmal angesprochen werden, sonst kann man sich ja nicht drauf verlassen, dass echte Mängel auch erkannt und beseitigt werden. So erratische Diagnostik würde mir durchaus zu denken geben…

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In den Wald hineinrufen

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