Spiegelung
Veröffentlicht: 29.09.2017 Abgelegt unter: Mein Senf dazu | Tags: Beobachtung, Geometrie, Optik, Physik 6 KommentareDer Zug hält irgendwo in der Provinz, einer dieser Kleinstadtbahnhöfe mit einem knappen Dutzend Gleisen, wo Personen- und Güterverkehr munter durcheinandergeht. Von mir aus gesehen rechts steht am übernächsten Gleis ein Zug mit Doppelstockwagen, und in der oberen Fensterreihe spiegelt sich ein Schriftzug. Ich schaue mich um und entdecke denselben Schriftzug auf den Güterwagen, die links über den Bahnsteig auf dem nächsten Gleis stehen. Ok, alles klar.
Aber, Moment mal, die oberste Fensterreihe dieser Doppelstockwagen ist doch geneigt, die Wagen werden oben schmaler. Also müsste etwas, das sich in der oberen Fensterreihe spiegelt, viel höher hängen als ein normaler Güterwagen. Bei Spiegelungen gilt Einfallwinkel gleich Ausfallwinkel, aber in Richtung Ausfallwinkel gibt es da nichts, wo so ein Logo dranhängen könnte. Da ist kein achtstöckiger Bau, nur ein niedriger Lagerschuppen und dann Kleinstadt und plattes Land, und in den Wolken hing auch kein Logo, das sich in dem schrägen Fenster hätte spiegeln können:
Die Spiegelung stammt aber ganz klar von den Güterwagen links neben meinem Zug. (Ein Foto kann ich nicht liefern, meine Kamera war zu dem Zeitpunkt noch indisponiert, und meine Handyknipse hat die eher schwache Spiegelung nicht wirklich auf den Sensor gekriegt. Und ich habe auch weder Zeit noch Lust, stunden- oder tagelang auf Bahnhöfen rumzuhängen, bis sich wieder eine ähnliche Situation ergibt.) Ich brauche eine ganze Weile, um das Phänomen zu verstehen.
Der Schriftzug auf den Güterwagen hatte sich in Wirklichkeit gar nicht in der oberen Fensterreihe der Doppelstockwagen gespiegelt, sondern im Fenster meines eigenen Wagens, und die Spiegelung war wegen meiner Sitzposition (links, auf der Seite in Richtung der Güterwagen) genau in Höhe der oberen Fensterreihe des Doppelstockzugs zu sehen. Weil das ein IC war, wirkten die leicht getönten Fenster meines Zuges dunkel vor dem hellen Blech. Die Fenster des Doppelstockzugs waren dagegen dunkler. Die Spiegelung war also nur vor den Fenstern sichtbar, nicht vor dem weißen Blech, und das hat zu dem visuellen Eindruck geführt, der Schriftzug spiegele sich in den Fenstern:
(Wer’s mit demselben Bildausschnitt wie oben will: Hier)
Spiegelungen, obwohl so einfache, sind doch immer wieder Herausforderungen!
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Stimmt. Es ist nicht immer einfach, alle beteiligten Oberflächen und Effekte zu identifizieren. Macht aber Spaß!
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Dem Effekt bin ich auch schon aufgesessen. Ich mag das, wenn ich für ein Weilchen dieses Gefühl habe, mir würde der Teppich der physikalischen Tatsachen unter den Füßen weggezogen.
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@gnaddrig:
„Es ist nicht immer einfach, alle beteiligten Oberflächen und Effekte zu identifizieren.“
Dafür gibt es Raytracer! Allerdings muss man sich dann mit einem Trace-Programm (sozusagen ein Raytracertracer) durch den Programmablauf wurschteln, um herauszufinden, wo ein Strahl hingeschickt wurde…
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Und die wenigsten werden sowas unterwegs dabeihaben…
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@ Lakritze: Witzig ist es auch, wenn der Nachbarzug losfährt und man glaubt, der eigene fahre. Ein Blick aus dem Fenster auf der anderen Seite beendet die Illusion normalerweise. Aber nicht, wenn man zuerst das Spiegelbild des fahrenden Zugs in der Scheibe gesehen hat und beim Blick auf die andere Seite den echten losfahrenden Zug sieht. Dann kann ein wider Erwarten stehenbleibender Laternenpfahl o.ä. schon Anflüge von Schwindelgefühl verursachen…
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