Dööfnis

Dööfnis – das Wort gibt es noch nicht, bzw. bisher nur bei uns in der Familie. Ausgedacht hat es sich meine Frau zur Beschreibung von etwas, das v.a. mich und meine älteste Tochter häufig heimsucht. Wenn etwa der Tee nicht heiß genug ist (ich); die Schuhe beim Gehen auf dem glatten Steinfußboden knatschen (Tochter); die Bedienungsanleitung missverständlich formuliert ist (ich); irgendwas wackelt, was nicht wackeln sollte (ich).

Das Wort mag neu sein, das zugrundeliegende Konzept ist aber in Deutschland weit verbreitet, es ist meiner Meinung nach ein wesentlicher Baustein des deutschen Nationalgefühls.

Deutsche sind, im Grunde genommen, Handwerker. Nicht Händler, nicht Unternehmer, nicht Söldner, nicht Bauern, auch nicht Künstler, sondern Handwerker. Unsaubere, fehlerhafte Arbeit tut weh, macht bekümmert. Ich habe mal einen Bericht gelesen, wo Sowjetbürger von der hervorragenden Arbeit deutscher Kriegsgefangener schwärmten. Die würden so sauber Mauern hochziehen, und diese Mauern würden dann auch so lange halten, ganz anders als das, was einheimische Maurer so fabrizierten. Dabei seien die betreffenden Kriegsgefangenen nicht einmal gelernte Maurer gewesen.

Den aus Backstein gemauerten Turm des Bleckeder Schlosses hatte man im 19. Jahrhundert mal abreißen wollen. Angeblich haben sich da zwei Firmen die Zähne dran ausgebissen und sind pleitegegangen, weil der Turm einfach zu solide war.

Das sind natürlich nur (unbestätigte) Anekdoten, es scheint mir aber zu passen. Man macht die Dinge ordentlich, solide und wie es sich gehört, damit es 1. so ist, wie es sich gehört, 2. zuverlässig funktioniert und 3. niemand reklamieren kommt. Pfusch gehört nicht.

Was in der Welt teilweise als deutsche Gründlichkeit halb bewundert und halb belächelt wird, ist meiner Meinung nach oft nur das Bestreben, fachgerechtes Handwerk abzuliefern. Die berühmte ruthless efficiency ist genau dasselbe: Man spielt so Fußball, wie es sich gehört, also so, dass man gewinnt. Eleganz ist egal, das Siegtor kann in der 90. Minute fallen, alles wurscht, Hauptsache man kriegt am Ende den Pokal.

Diese Grundhaltung kann man fast überall beobachten, wo Deutsche in Gruppen auftreten. Etwa am Edinburgh Castle. Eine deutsche Reisegruppe steigt aus dem Bus, und bevor die Reiseführerin noch Luft geholt hat, hört man aus dem Pulk jemanden mit schwäbischem Akzent: Da müsst aber emol einer mit em Sandstrahler naa. Klar, so vergammelt sieht das Gemäuer ja nicht schön aus, das gehört anständig in Schuss gebracht.

Oder der Wohnmobilurlauber aus dem Ruhrpott, der einem unterwegs liegengebliebenen Franzosen mal eben den fast verlorenen Auspuff wieder an den Unterboden flanscht. Da mag das ganze Auto drumherum verrotten, diese Befestigung hält Jahrzehnte. Natürlich hatte er ausreichend Werkzeug und Material dabei, um sich damit als Mechaniker selbständig zu machen.

Oder der Heimwerker, der eine Küchenzeile selbst zusammenstellt und installiert und dabei – unsicher, welche Belastungen die Befestigung an der Wand aushalten muss – das ganze an einem Kantholz mit fast fingerdicken Schrauben an die Wand schraubt, sodass das Ensemble vermutlich eine mittlere Bombe überleben würde (die Nachmieter waren, hm, überwältigt von der Installation). Komme was wolle, die Arbeitsplatte hält.

Man stört sich an den Macken und Unzulänglichkeiten der Welt. Man will, dass es richtig gemacht wird. Das ist nicht so sehr Besserwisserei, sondern einfach Leiden an der Imperfektion. Und das Vorliegen solcher Macken, Unzulänglichkeiten oder Imperfektionen macht bekümmert, irritiert, genervt, manchmal sogar eine Spur wütend, kurz: verursacht Dööfnis.

Für Österreicher könnte das übrigens auch gelten. Als ich vor einer Weile über Putzschatten geschrieben hatte, kam der österreichische Kollege Nömix mit dem folgenden Kommentar:

Das abgebildete Arrangement zweier Trennwand-Sockelfüße im Feuchtwisch-Bereich illustriert in exemplarischer Weise eine innenraumplanerische Kardinalsünde aus dem ersten Lehrjahr: für solche Fehlmontage gehörte dem Verursacher der sprichwörtliche nasse Aufwischmop um die Ohren gehaut.

Genau dieselbe Einstellung: Der Putzschatten mag eklig sein, ist aber nicht das eigentliche Problem. Das Problem ist zuerst die nicht fachgerechte Ausführung der Trennwand, die eine schlechtere Putzbarkeit verursacht. Dass schlampig geputzt wird, ist ein ganz anderes Problem, das bei fachgerechter Aufstellung der Trennwand aber lange nicht so stark zum Tragen käme. Dööfnis.

Das ist sicher keine vollständige Bestandsaufnahme der Deutschen Seele, dürfte aber einen wesentlichen Aspekt beschreiben.

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

15 Kommentare zu „Dööfnis“

  1. Absolut! Im Zusammenhang mit dem Dritten Reich wurde uns der Perfektionismus sogar schwer angekreidet (der Tod ist ein Meister aus Deutschland). Und ich bin sicher, dass, wäre der Abgasskandal eine Folge schlampiger Arbeit im VW-Werk gewesen, uns das viel schmerzlicher getroffen hätte als der berechtigte Vorwurf betrügerischer Machenschaften.

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  2. Aber Dööfnis ist schon ein sehr nettes Wort. Liebe Grüße an die Gattin. 🙂

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  3. Ich würd’s nur mit einem ö schreiben – Umlaute bleiben sonst ja auch nicht verdoppelt (z.B. Saal – Säle). Ansonsten ein gutes Wort. 🙂

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  4. Jein. Es sollte halt eindeutig ein langes ö sein, und bei „öfn“ wäre das eben nicht so klar. Aber da eine Aufnahme in den Duden sowieso nicht ansteht, ist das egal. Und wenn der Volksmund sich das Wort vornimmt und zurechtmodelt, soll es mir auch recht sein. Aber danke, mir gefällt das Wort auch 🙂

    Nachtrag: Gruß von der Frau, außerdem spiegelt das inkorrekte Doppel-ö ja gerade die Essenz der Bedeutung des Wortes wider.

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  5. Wow, gleich zwei neue Wörter gelernt! Ich stufe Dööfnis als etwas weniger gravierend als ein Ärgernis ein. Nach dem Stammprinzip, das uns aus dem Stengel einen Stängel gemacht hat, plädiere ich ebenfalls für öö.

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  6. Wie der Altgeselle zu meinem Vater sagte:
    „Lasset uns erstmal ordentlich machen, Murx wird es von janz von aleene.“

    Dööfnis ist natürlich direkt Prägnanter 😀

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