Statt Gemüseschnippeln

In einem Artikel zu der Frage, wie ungesund industrielle Lebensmittel denn nun sind, wurde als Vorteil von Fertigessen genannt, dass man da einiges an Zeit sparen kann, die dann für andere Beschäftigungen zur Verfügung steht:

Mütter, die nicht jeden Tag am Herd stehen, haben mehr Zeit für die Kinder, für Sport oder, um ein gutes Buch zu lesen.

Das ist ein ziemlich weitverbreiteter Ausdruck: Ein gutes Buch lesen. Das klingt so nach oberstudienrätlicher Vorstellung von Freizeitgestaltung, nach Bildungsbürgertum im Selbstvergewisserungsmodus. Wir die wir wissen…

Einfach so lesen geht gar nicht, es muss schon ein gutes Buch sein. Eine Qualitätszeitung wäre vermutlich auch akzeptabel, aber eigentlich sollte es doch ein gutes Buch von einem anerkannten, möglichst auch feuilletonkompatiblen Qualitätsautor sein. Ich wittere den pädagogisch-mahnend erhobenen Zeigefinger (nicht mal spezifisch in dem verlinkten Artikel sondern eher allgemein bei der Formulierung).

Also nicht einfach irgendwas lesen, was Spannendes oder gar Lustiges etwa, nein, es muss der Selbstverbesserung dienen. Es muss weiterbilden, verwertbare Erkenntnis liefern oder uns zumindest als gebildete Leute ausweisen.

Wer sich lieber mit der Lektüre von Heimatherzschmerzkitsch, Wildwestgroschenschrott, John Sinclair oder Perry Rhodan entspannt, womöglich mit, hm, seichter Musik im Hintergrund, oder gar Computerspiele spielt, hat die Entspannung nicht verdient, unterstelle ich jetzt mal, und täte auf jeden Fall besser daran, am Herd zu stehen, das Klo zu putzen usw., sich also nützlich zu machen.

Kann man so sehen, ist aber doof, womit ich natürlich nichts gegen Wissen, Lernen, Bildung oder anspruchsvolle Lektüre gesagt haben will. Aber wenn ich zum Spaß oder zur Entspannung anspruchsvolles Zeug lese, dann aus eigenem Interesse und weil es Spaß macht, nicht weil irgendwer das von mir erwartet, und ganz sicher auch nicht, um irgendwo dazuzugehören.

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

16 Kommentare zu „Statt Gemüseschnippeln“

  1. Ich habe mit vorgenommen, meine Bücherregale mal wieder aufzuräumen und einiges besser zu organisieren. Glaubst Du, ich sollte ein besonderes Fach „Gute Bücher“ einrichten, aus dem ich mich immer dann bediene, wenn ich eine Ausrede brauche, um nicht Gemüse zu schnippeln?

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  2. Ja, das klingt sehr vernünftig. Gegebenenfalls müsstest Du das eine oder andere Buch zur Tarnung in Papier einschlagen, damit niemand so ohne weiteres das Gutsein des betreffenden Buchs strittig machen kann.

    Oder Du besorgst Dir einen wiederverwendbaren Einband mit der Aufschrift „Ein gutes Buch“, und das jeweilige Gute Buch vom Dienst kriegt den dann umgehängt, bis es ausgelesen ist 🙂

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  3. Ich danke Dir für die nützlichen Ratschläge. Werde von meinem Bücheretat etwas für Buchhüllen abzweigen. Aus Leder mit Prägung wäre ja schön. Bloß nicht die Dinger von Hugendubel, die aussehen, als wären sie aus Resten geschneidert, die bei der Anfertigung von Kimonos anfallen. Da könnten argwöhnische Mitmenschen ja sonst was vermuten. 🙂

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  4. Natürlihc, ein bisschen Stil muss sowas schon haben, bei dem Guten Buch, da kann man ja nicht einfach irgendeinen Flicken drumhängen, das muss ja schon was hermachen!

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  5. Oh ja, Gute Bücher(TM) durften niemals einfach unterhaltsam sein. Das Leben ist schließlich kein Ponyhof.
    Die obigen Vorschläge erinnern mich ein wenig an diese Buch-Attrappen, mit denen sich damals die VHS-Kassetten („Was ist eine VHS-Kassette, Opa?“) als Gute Bücher(TM) tarnen ließen – wahrscheinlich eine Folge derartiger bildungsbürgerlicher Verkrampfungen.

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  6. Na ja, bei einem Wertevergleich stellt sich eben die Frage, wenn ich mir schon den Fertigfraß antue, dann sollte doch auf der anderen Seite der Waage ein entsprechend hoher Gewinn das schlechte Essen rechtfertigen. Und da macht Perry Rhodan gegen Schlemmerfilet Bordelaise wohl keine so gute Figur. Also sozusagen Fastfood hier, Fastfood dort.

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  7. Im Prinzip ja. Ist natürlich alles eine Frage des persönlichen Geschmacks und der Prioritäten. Die Entscheidung sollte jede für sich treffen können, ohne dass irgendwer von außen mit dem moralischen Zeigefinger winkt.

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  8. Das mit dem gut ist ja bei Literatur so schwierig wie beim Essen. Die Lösung: Quantfizierung! Da weiß man exakt, was man hat. Also: 340g Schlemmerpizza „Fleischwurst“, –> 340g Buch (ohne Lesezeichen oder Schutzumschlag). Wenn man noch einen Nachtisch will (150g Schokopudding), muß man ein bißchen mehr lesen …
    (Wie, falsch verstanden?!)

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  9. Der Aufhänger deines Beitrags zeigt doch das eigentliche Problem: Hausarbeit ist immer noch Frauensache. Auch in den Köpfen von Ernährungssoziologen. Honi soit qui mal en pense…

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  10. Stimmt, und diese Art Anregungen hätte man Männern nie gegeben. Und obwohl der Artikel von einer Frau stammt, klingt das für mich durchaus ein bisschen herablassend. Aber Frauen sollen halt ins Klischee passen und sich um die Kinder kümmern, alternativ sich selbst optimieren – körperlich durch Sport, das steigert auch die eigene Attraktität für den Ernährer, und geistig durch Lesen eines guten Buches. Schon ein bisschen deprimierend, wie tief das in den Köpfen steckt – dass mir das beim Schreiben gar nicht aufgefallen ist, spricht ja für sich…

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  11. Ich lese mich gerade mal wieder durch gute Blogs, um bei deinen Gedanken zum guten Buch zu landen … So kann‘s gehen. Dass aber irgendwer (m/w) zu Tütensuppen und Industriefraß für die Mikrowelle greift, um Zeit für „ein gutes Buch“ zu haben – den Gedanken finde ich skurril. „So, Kinder, da hab ich euch die leckeren Ravioli von Knorr aufgewärmt, ich les jetzt mal weiter die Josephs-Tetralogie von Thomas Mann …“

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  12. „gute Blogs“ „bei deinen Gedanken“ – ah, das geht runter wie Öl 🙂

    Vermutlich gibt es keine einfachen Patentrezepte, die widerspruchsfrei funktionieren. Man kann nicht alles haben, irgendwo muss man immer Abstriche machen.

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In den Wald hineinrufen

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