Skizze einer Neuen Medizin™

Jetzt ist der March for Science vorbei, da können wir diesen lästigen Wissenschaftskram beiseitelegen und wieder zum Alltag übergehen. Anders gesagt: Die Diät ist vorbei, räumt den Heimtrainer schnell wieder in den Keller, packt Schokolade, Chips und Bier aus!

Also, es gibt so viele Heilmethoden, die als Komplementärmedizin oder Alternative Medizin laufen, und so viele davon sind haarsträubend absurd. Und die meisten dieser Methoden passen nicht mit den meisten anderen Methoden zusammen oder schließen sich sogar gegenseitig aus. Will heißen: Wenn Methode A funktioniert und die vorgebrachte theoretische Grundannahme stimmt, kann Methode B nicht auch funktionieren und korrekt sein. Das gilt etwa für Bachblüten, Schüßlersalze und Homöopathie.

Trotzdem gibt es haufenweise Leute, die sich nicht auf eine der genannten Methoden beschränken, sondern mehrere praktizieren oder wenigstens als sinnvolle Behandlungsmethoden akzeptieren. Die drei oben genannten Methoden etwa gehören zum Standardrepertoire der Heilpraktikerei, viele Heilpraktikerschulen bieten alle drei an. Apotheken verkaufen nebeneinanderher homöopathische Zubereitungen, Schüßler-Salze, Bachblütentropfen, spagyrischen und anderen Firlefanz. Das ist, als ob man gleichzeitig behauptet, die Erde sei eine Scheibe, sie sei eine Kugel, die um die Sonne rotiert und sie sei ein Hohlkörper, auf dessen Innenseite wir herumlaufen und uns Sonne, Mond und Sterne zusammenhalluzinieren. Mit solchen Phantastereien ist nicht zu spaßen.

Da diese Widersprüchlichkeiten aber im echten Leben offenbar nicht weiter stören und man sich augenscheinlich bestens einreden kann, dass alle diese „Medizinen“ gleichzeitig funktionieren und korrekt sind, kann eine weitere solche „Medizin“ nicht schaden. Ich will auch sowas. Vielleicht werde ich dafür berühmt wie Hahnemann oder Steiner. Vielleicht werde ich reich damit oder kriege wenigstens ein paar Groupies ab und von meinen Jüngern gesponsorte Urlaube am Mittelmeer.

Natürlich werde ich mir nicht selbst die Finger schmutzig machen und als Heilpraktiker anfangen. Ich werde nur eine Methode erfinden (nein, entwickeln, oder noch besser: mir offenbaren lassen) und dann als der Große Guru im Hintergrund segensvoll wirken (d.h. gelegentlich kryptische Äußerungen streuen und ansonsten Huldigungen und Geld einstreichen, s. vorigen Absatz).

Mal sehen, ich denke es wird ein gewöhnliches Baukastensystem. Ich behaupte eine Anzahl Grundkräfte™, sagen wir sechs, in drei sich entgegenwirkenden Paaren organisiert, die miteinander interagieren und ein bestimmtes situationsabhängiges Gleichgewicht bilden müssen. Durch welche Parameter eine Situation™ definiert wird, muss ich mir noch überlegen. Krankheiten aller Art sind Störungen des Gleichgewichts. Diese Störungen können durch zu starke oder zu schwache Tätigkeit der Quellen einer der Grundkräfte entstehen.

Nach der Diagnose, welche der Kräfte wie über- oder unterrepräsentiert sind, kann man gezielt auf die betreffenden Kraftquellen™ einwirken.  Mit den sechs Grundkräften sind sechs Gewürze verbunden, sagen wir Nelke, Kardamom, Schwarzer Pfeffer, Koriander, Kreuzkümmel, Sternanis. Diese sechs Gewürze werden in Abhängigkeit von der Diagnose nach bestimmten, noch von mir festzulegenden Verfahren kombiniert und zu einer Arznei verarbeitet, die dann die außer Balance geratenen Kraftquellen gezielt beeinflusst, um sie wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Ich werde mir für jede der Grundkräfte eine handvoll Eigenschaften zusammendichten und irgendwie mit einem der Gewürze zusammenbringen. als Inspirationsquelle könnte die Marketingprosa von Anbietern ayurvedischer Tees ein guter Einstieg sein.

Zur Vorbereitung der Gewürze benötige ich noch sechs Potenzierungsagenten – einen verstärkenden, einen abschwächenden, einen beschleunigenden, einen bremsenden, dann noch zwei, vielleicht einen jenseitigen, einen diesseitigen. Ich weiß nur noch nicht, was ich dafür nehme. Farben vielleicht, oder doch Substanzen, mal sehen.

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Wie die Diagnose gestellt wird, muss ich mir natürlich noch ausdenken. Man könnte mit Karten arbeiten. Nicht Tarot, das ist zu jahrmarkthellseherisch, sondern was Sachlicheres. Das sollte fast wissenschaftlich wirken. Zahlen, Symbole, Farben in klarem Design, ohne esoterischen Schnickschnack. In einem Anamnesegespräch werden Symptome und Beschwerden in bestimmte Kategorien eingeordnet und nach Intensität, Dauer o.ä. bewertet. Das wird durch die Farben, Symbole und Zahlen auf den Karten abgebildet, die entsprechenden Karten werden dann nach einem noch zu bestimmenden Muster gelegt.

Die als Kartenstapel (oder gelegtes Kartenmuster, weiß ich noch nicht) vorliegende Diagnose (man könnte auch einen Computer bemühen) lässt man dann durch eine Art Matrix laufen, an deren Ende dann eine Kombination aus Gewürz und ein bis drei Potenzierungsmitteln mit Dosierung und Zubereitungsart steht. Diese Matrix ist ein (komplex wirkendes, aber im Grunde simples) Regelwerk und kann als große Tafel ausgeführt werden.

Zu jedem Symptombild (unter Berücksichtigung der Lebensumstände und weiterer noch festzulegender Faktoren) wird dabei eine ganz bestimmte Kombination von Gewürz und bis zu drei Potenzierungsagenten in einer bestimmten Dosierung usw. gefunden, die die diagnostizierte Störung des Gleichgewichts zuverlässig behebt. Die ermittelte Zutatenmischung wird dann nach den ebenfalls ausgependelten per Matrix streng wissenschaftlich ermittelten Verfahren zubereitet und verabreicht.

Anders als die Homöopathie ist meine Therapie nicht nebenwirkungsfrei (ohne Nebenwirkung keine Wirkung!), diese Nebenwirkungen sind aber harmlos und normalerweise gut verträglich. Nebenwirkungen sind außerdem ein Zeichen dafür, dass es wirkt – die Kraftquellen verrichten auf dem Weg zu ihrem gewünschten gleichgewichtigen Zustand zusätzliche Arbeit, die sich in diesen (vorübergehenden und selbstverständlich harmlosen) Nebenwirkungen äußert.

Das ganze braucht natürlich noch einen klangvollen Namen, den muss ich mir auch noch ausdenken. Ich werde das ganze als in sich stimmiges System mit quasiwissenschaftlicher Grundlage vermarkten. Am Sinnvollsten wird ein Lizenz- oder Franchisesystem sein. Mein Anwalt wird das entsprechend aufsetzen, danach gehen wir an die Öffentlichkeit. Interessenten werden gebeten, auf entsprechende Artikel in der einschlägigen Fachpresse zu achten. Bis dahin bitten wir, von Angeboten zur Zusammenarbeit abzusehen.

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Jetzt habe ich noch eine hübsche Idee für eine eindrucksvolle Methode zur Veranschaulichung der Diagnose und zur Zusammenstellung der Arznei: Das Diagnostische Mobile™. Das Mobile hat auf der obersten Ebene drei im Winkel von 60° angeordnete Stangen aus einem noch zu bestimmenden Material, die für die drei Grundkraftpaare stehen. An den Enden der Stangen hängt je eine Art auf dem Kopf stehendes großes T mit drei Querbalken aus demselben Material. Diese Ts sind lose hängend aber nicht drehbar angebracht, d.h. sie können schaukeln, die Arme zeigen aber immer in dieselbe Richtung, parallel zu den Armen der drei Stangen auf der übergeordneten Ebene.

Die Ts lassen sich vom Ende der Stangen bis kurz vor der Mitte verschieben. Das ist technisch so ausgeführt, dass das Verschieben leicht geht, die Dinger ihre Position dann aber zuverlässig halten. Auf den drei Querbalken der Ts sitzen Kugeln aus demselben Material, die sich wieder vom Ende des Querbalkens bis in die Mitte verschieben lassen (also bis sie den senkrechten Balken des Ts berühren). Die Kugeln stehen für die Aktivierungsagenten.

Die nach dem oben skizzierten Verfahren gestellte Diagnose ergibt für jede Grundkraft und jeden ihrer sechs Aktivierungsagenten einen genauen Wert, der dann am Mobile eingestellt wird. Das veranschaulicht das Aus-dem-Gleichgewicht-Geratensein. Eine weitere Tabelle zeigt, welches Gewürz in welcher Dosierung benötigt wird, um die Abweichungen der Grundkräfte vom Idealzustand zu beheben, und welche Zubereitungsart bzw. Darreichungsform nötig ist, um die Abweichung der jeweiligen Aktivierungsagenten vom Idealzustand zu beheben. Die Reihenfolge bei der Zubereitung ergibt sich aus dem Wert der Abweichung – stärkere zuerst.

Es kann eine mehrstufige Behandlung nötig sein. Wenn die Grundkräfte sehr weit ausgerückt sind, wird man erst ein vorläufiges Gleichgewicht in einem nichtidealen Zustand herstellen müssen, um dann von dort aus den idealen Endzustand schaffen zu können. Zu große Ausschläge sind schädlich.

Also, ich könnte hier noch ewig weiterschreiben, das fließt hier grad ganz gut. Da hat man in Nullkommanix ein ganzes Buch beisammen. Im Momenet ist es noch etwas trocken, für die klangvollen Namen und Begründungen müsste ich mich noch mit rauchbaren Kräutern und einer größeren Menge Schnaps an einen geheimen Ort zurückziehen, dann kommt das sicher auch bald. Illustrationen besorge ich mir irgendwo, oder ich bastele sie mir selbst dazu, und schon ist der Goldesel fertig.

Informationen zu pseudomedizinischen Heilmethoden, esoterischen Beutelschneidereien und anderem Irrsinn gibt es auf dem Psiram-Wiki.

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

12 Kommentare zu „Skizze einer Neuen Medizin™“

  1. Mir ist ja jetzt nicht ganz klar geworden, wie Du dafür sorgen willst, dass Nelke, Kardamom, Pfeffer, Koriander, Kreuzkümmel und Sternanis spürbare Nebenwirkungen haben. Ernsthafte Konzentrationen der Gewürze kannst Du ja wohl kaum geben wollen, sonst hast Du kein Geld mehr für den Mittelmeerurlaub.
    Vielleicht funktioniert das aber auch einfach über den Placebo-Effekt. Wenn man so etwa 20% der Patienten eindrücklich darauf hinweist, dass besonders sensible Personen, die überdurchschnittlich empfänglich für die Schwingungen des Universums sind, unter der gewählten Dosierung in leichtes Spannungsgefühl und ein harmloses Ziehen hinter der linken Niere entwickeln können, dann werden sicher eine ausreichende Anzahl Patienten auch Nebenwirkungssymptome zeigen.

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  2. Du hast recht, ernsthafte Konzentrationen kommen nicht in Frage. Vielleicht würden die Gewürze auch einfach nur beim Anrühren der Arznei dabeisein, oder bestenfalls ein bisschen Aroma beisteuern.

    Bei den Nebenwirkungen hatte ich auch schon in diese Richtung gedacht. Wenn genug Bohei um die Methode und die Wirkungen und Nebenwirkungen gemacht wird, stellt sich das alles von selbst ein. Die Details müsste jemand noch ausarbeiten.

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  3. Ja, statt der Gewürze selbst müsstest du die „Gewürzessenzen“ verwenden. Nicht im herkömmlichen Sinn, sondern eben durchs Dabeisein oder Mal-kurz-Wasser-drüberlaufen-Lassen. Oder nenn es „Plasma“ oder so, Hauptsache ein bekannter bekannter Begriff, der anders verwendet wird.

    Ansonsten scheint’s mir eine gute Kombination aus Unsinn und Kompliziertheit (gerade auch mit dem Mobile) zu sein, mit denen du bzw. deine Franchisenehmer sicher auf Esoterikmessen Eindruck schinden werden. 😀

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  4. Plasma klingt gut, das ist die grobstoffliche Manifestation der geistigen Essenz des jeweiligen Gewürzes oder so. Danke für denVorschlag 🙂

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  5. Grundsätzlich keine schlechte Idee, aber einfach nur Gewürze wären mir auch zu wenig energetisch/feinstofflich etc. Und irgendeine Autorität wäre noch hilfreich. So in der Art, dass mit diesem nur von Druidenmund zu Druidenohr weitergegebenen, uralten Wissen heilten Heiler in einer entlegenen Region des Himalaya schon seit Jahrhunderten alles von A wie Arschkrebs bis Z wie Zehennagel, eingewachsener. Gibt der Sache vielleicht noch etwas zusätzliche Würze.

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  6. Das sowieso, ein bisschen schmückende Prosa wird da natürlich noch drumherumgestrickt, es muss ja nach was aussehen und gut klingen.

    Das, was wir als banale Gewürze kennen, sind in Wirklichkeit die Geistpflanzen der [irgendein exotisches Volk weit ab], aber leider ist deren uraltes Heilwissen in Vergessenheit geraten, übrig geblieben ist die Verwendung in der Küche. Nur ein paar Mönche auf dem Berg xy haben die alte Weisheit bewahrt und mir aufgetragen, sie in den Dienst der Liebe und der Gesundheit zu stellen und Euch damit Gutes zu tun. Oder so.

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  7. Das ist ja auch das Gute an so einer Skizze: Da kann man immer noch hier und da ein paar Striche ergänzen, bis das ganze endgültige Bild entsteht 😉

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  8. Lieber Gnaddrig
    mach das mal in echt!
    Ich werde dann Dein zuerst Dein überzeugter Jünger, der hilft, Deine Lehre unter den Schulmedizin-Frustrierten zu etablieren. Nach einer gewissen Zeit wird mir aufgehen, dass auch Du im Profanen hängen geblieben bist und dann werde ich Deine Lehre vom wahren Geist inspiriert fortentwickeln. Deine grobstofflichen Gewürze ersetze ich durch ihre feinstofflichen Quanten, und erweitere Deine Methode durch die Items Farbenlehre (die drei Grundfarben und die drei Sekundärfarben) und Numerologie (die Zahlen von 1 bis 6).
    Da kommt dann so was raus wie ‚das Quant des Sternanis mit einer orangen Aura tritt ins 3. Haus des Quants des Estragons mit einer blauen Aura‘. Das böte dann wirklich eine Interprätationsbreite, mit der alles diagnostiziert und geheilt werden könnte.

    Außerdem werde ich Deine geniale Grundidee auch in nicht-medizinische Bereiche transponieren und z.B. eine gruppendynamisches Gesellschaftsspiel entwickeln, eine Partnersuch-Strategie und eine Stellenbewerber- bzw. Mitarbeiterbeurteilungs-Methode erarbeiten.

    So, jetzt leg mal los und informiere mich über die Fortschritte. Ich lasse Dir auch den Vortritt bei Carsten Maschmeyers Suche nach dem besten Gründer auf Sat I.

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  9. Es darf aber inhaltlich nicht zu schlüssig und layouterisch nicht zu glatt sein, denn sonst geht die Anmutung des verborgenen Wissens verloren und das Publikum wendet sich ab!

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  10. Also, bei mir haben Bohnen eine ganz schreckliche Wirkung, vielleicht geht es auch anderen so.
    Die könnten noch die siebente Grundkraft vermitteln, nämlich die Pfurzkraft!
    Denk darüber nach!

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  11. Bestimmt wird jemand mit einer Weiterentwicklung meiner Lehre kommen, die den Bohnenvorschlag berücksichtigt. Schnecke, wie wär’s?

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In den Wald hineinrufen

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