Abgehangen

Anders als Serrano-Schinken oder Salami werden Schuhe nicht aromatischer davon, dass man sie zum Reifen eine Weile unter die Decke hängt. Wenn man das trotzdem tut, muss man normalerweise immerhin kein Fettnäpfchen drunterstellen, über das dann jemand stolpern könnte.

Egal, dieses Paar Schuhe hängt übrigens am anderen Ende der kaputten Lampe von neulich. Überhaupt hat mir das Gebäude im Lauf der Jahre eine Menge Motive geliefert:

Die 25, das gute Ende und die silbrige Rechnerei sind von hier. Der Treppenrest stand am anderen Ende des Säulengangs, und auf dem Weg dahin kommt man an der Collage, am Spiegel und an den freundlichen Malern vorbei. Der schwarze Farbbogen prangt ein Stück weiter an derselben Wand, da hängt allerdings seit einer Weile eine Werbetafel vor. Beim Fotografieren der Schuhe habe ich mich an den Betonpfeiler mit den Plakaten gelehnt, und der Borgwürfel ist auch gleich nebenan.

Jetzt soll der schon immer grottenhässliche und zuletzt reichlich vergammelte Bau mit seiner Waschbetonfassade aus den 1970ern abgerissen werden, um einem neuen Glas- und Betonklotz mit Hotel, Sky-Bar, Gastronomie, Einzelhandel und Wohnungen Platz zu machen.

Die schmuddelige, laute Durchgangsstraße soll sich dann zum gepflegt-urbanen Boulevard mit Grünstreifen mausern und wird – so der zuständige Baubürgermeister – durch diese Initiative „nachhaltig im Wert gesetzt“.

Ich sehe das mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist es ja gut, dass der schäbige Bau dort endlich verschwindet. Der an der Stelle geplante Neubau sieht zumindest auf den veröffentlichten Architektenbildern ganz passabel aus. Dass diese Bilder in der Regel arg geschönt sind und es in echt immer deutlich weniger großzügig, luftig, hell ist als dort vorgegaukelt, ist schon klar. Aber auch wenn man den Effekt berücksichtigt wird es mit dem Neubau dort besser aussehen als jetzt.

Andererseits wird dort sicher kein sozialer Wohnungsbau praktiziert. Und ein Kasten neuer High-End-Wohnungen wird höchstens dazu beitragen, den Mietspiegel noch weiter in die Höhe zu treiben. Gut für Investoren, schlecht für normalverdienende Wohnungssuchende, von weniger als normalverdienenden ganz zu schweigen.

Übrigens: Der Abriss war eigentlich für den vergangenen Sommer geplant, aber dieses Jahr wird das wohl eher nichts mehr, da können die Schuhe noch ein bisschen hängenbleiben.

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

2 Kommentare zu „Abgehangen“

  1. „Gut für Investoren, schlecht für normalverdienende Wohnungssuchende, von weniger als normalverdienenden ganz zu schweigen.“

    In meiner Lieblings-Horror-Dystopie haben die normal und weniger als normal Verdienenden dafür ein Grab in den Wolken, da liegen sie nicht eng… aber wahrscheinlich dürfte der Höchstleistungsträger-Elite (die mit den 250-Stunden-Wochen und dem Zeitkompressionskokain) mehr an einer Verwertung der standortbelastenden Humanbiomasse als Proteinkomprimat gelegen sein!

    Wenn ich mich diesem dystopischen Horrortrip voll und ganz hingebe, mache ich daraus ich im besten Fall mal einen avantgardistischen Kurzfilm-Schocker oder einen abgedrehten Comic im Stil der Schwermetall- und U-Comix aus den 1970ern… schlimmstenfalls stürze ich mich mitsamt einer mit Plutonium vollgepackten Boeing in irgendeine Konzernzentrale! Ich sollte mir wirklich angewöhnen, mich vom real existierenden Polit- und Wirtschaftsgeschehen weniger in Richtung destruktiven Nihilismus triggern lassen…

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In den Wald hineinrufen

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