Zu spät

Nachmittags an einer Straßenbahnhaltestelle. Ein Mann steht auf dem Bahnsteig, raucht, wechselt über die Schienen ein paar Worte mit Bekannten, die auf dem Bahnsteig gegenüber stehen. Eine Straßenbahn fährt ein, hält, die Türen öffnen sich, Leute steigen ein und aus. Die Türen schließen sich, gleich fährt die Bahn weiter.

Vom Ende des Bahnsteigs kommt eine Frau mit einer Einkaufstasche gelaufen, um die Bahn noch zu erwischen. Sie drückt den Knopf an der hinteren Tür, die Tür öffnet sich, die Frau steigt ein. Gleichzeitig setzt sich der Mann in Bewegung, drückt den Knopf an der nächsten Tür, aber die geht nicht auf, der Fahrer hat die Knöpfe wohl abgeschaltet, nachdem die Frau eingestiegen war.

(Das machen sie manchmal, weil sie sonst schlimmstenfalls Weiterlesen „Zu spät“

Fast zwei

Sehr verehrte Fahrgäste, in wenigen Minuten erreichen wir Offenburg.

Ein kleines (wie die Mutter später mitteilt knapp zweijähriges) Mädchen in der übernächsten Sitzgruppe fragt (natürlich so laut, dass der ganze Waggon mithört): Was ist Offenburg?
Mutter: Eine Stadt.
Mädchen: Was für eine Stadt?
Mutter:

In diesem Augenblick erreichen wir in den Bahnhof von Offenburg. Dort gibt es viel zu sehen und das Gespräch schläft ein. In Offenburg steigt eine Frau ein. Sie kommt den Gang entlang und setzt sich auf einen freien Platz dem kleinen Mädchen schräg gegenüber.

Mädchen: Kuckmal, Mama, da sitzt ein Mann.
Mutter, zärtlich amüsiert: Ist das wirklich ein Mann? Das ist ein Mann [deutet auf einen Mann nebenan], und das ist ein Mann [zeigt auf noch einen Mann in Sichtweite]. Schau nochmal genau hin.
Mädchen:
Mutter: Das ist eine Frau. Was bist denn Du?
Mädchen, wie aus der Pistole geschossen: Eins.

Und dann war da noch… (6)

… das junge Mädchen auf dem Bahnsteig. Sie war ziemlich bunt angezogen: ein knielanges Kleid, oben knallrot, unten cremefarben, lilafarbene Leggins, gestrickte Gamaschen in demselben Rot wie das Kleid, dazu robuste knöchelhohe Wanderstiefel. Ihr Rucksack stand an den Schaukasten mit dem Fahrplan gelehnt.

Während sie wartete, machte sie auf dem fast leeren Bahnsteig Tanzschritte und Gesten mit den Armen, tanzte teilweise ganze Figuren wie im Ballett, und das erstaunlich mühelos und grazil angesichts des Schuhwerks…

Und dann war da noch… (4)

… der Mann, der mir heute morgen auf dem Fahrrad entgegenkam. Unauffällig angezogen – robuste Schuhe, Jeans, Funktionsjacke, Helm. Das Fahrrad vollgepackt mit Packtaschen am Vorderrad, großen Satteltaschen am Hinterrad und darüber noch zwei Packsäcken aus LKW-Plane oder so. Da war genug Platz für einen halben Hausstand, alles sauber und gut in Schuss. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn als rüstigen Rentner auf Fahrradurlaub einordnen soll oder als Weltenbummler mit Stil.

Er kam mir jedenfalls entgegen an diesem sonnigen Morgen und rief mir im Vorbeifahren zu:
Moin! Auf Deutschland kommen zehn Jahre Rezession zu! Schönen Tach noch!

Und dann war da noch… (3)

…der Mann, der im Zug hin- und herpilgerte.

Ein Mann im mittleren Alter, leicht vergammelte, deutlich ungewaschene Kleidung, speckige Haare. Er kam mit einer leeren Piccolo-Flasche in der Hand und weggetretenem Blick den Mittelgang entlanggestolpert. Und nach ein paar Minuten wieder zurück. Und nach ein paar Minuten wieder. Und nach noch ein paar Minuten noch einmal, diesmal ohne die Sektflasche.

Ansteckend

Es ist schon fast dunkel und ich bin froh, aus dem Schneeregen in die helle, warme Straßenbahn zu steigen. Die ersten Läden schließen, die Bahn ist ziemlich voll. Ich sehe viele müde Gesichter, ein paar gelangweilte, ein paar schlechtgelaunte. Irgendwo unterhalten sich welche angeregt über irgendwas. Ich habe es nicht weit, ein paar Stationen nur, und bleibe im Gang stehen.

Ein Stück weiter sitzt eine alte Frau allein, neben sich im Gang einen vollgepackten Hackenporsche, auf dem Sitz neben sich eine Handtasche. Sie ist einfach und etwas altmodisch gekleidet, Mantel und Kopftuch. Nicht abgerissen, aber ihre Sachen sind sichtbar nicht neu.

Sie löffelt Weiterlesen „Ansteckend“

Recht auf Information

Früher Abend, ich bin in der Stadt unterwegs. Die Straße, die ich entlanggehe, hat je zwei Fahrstreifen pro Richtung, in der Mitte laufen Straßenbahnschienen. Voraus ein Laden, wo ich schnell ein paar Kleinigkeiten zu besorgen gedenke.

Schräg gegenüber von dem Laden steht seit Minuten ein Kleinbus der Polizei mit eingeschaltetem Blaulicht am Straßenrand, davor zwei andere Autos mit Warnblinker. In dem fahrbaren Blaulichtbüro spricht ein Polizist mit einem Mann, dem vermutlich einer der beiden Pkw vorn dran gehört.Es sieht aus wie eine typische Vernehmung bzw. Protokollaufnahme nach einem Unfall oder einer Führerscheinkontrolle. Nichts Aufregendes, nichts Außergewöhnliches, tausendmal gesehen, einmal selbst mitgemacht. Weitergehen, hier gibt’s nichts zu sehen.

Als ich nach dem Einkauf aus dem Laden komme, sitzen die immer noch drin und reden. Das Blaulicht flackert auch noch; dass die sich nicht dran stören? Wer weiß, Weiterlesen „Recht auf Information“

Ex-Rammstein, neu aufgestellt

Neulich hatte ja wieder mal wer unseren Rammstein vorm Bahnhof umgenietet, nur wenige Tage, nachdem der vorige automobilinduzierte Schiefstand repariert worden war. Nun scheint städtischerseits aber endlich jemand auf die Idee gekommen zu sein, dass das auf Dauer eher teuer ist. Jedenfalls haben sie den Stein um ein Verkehrsschild ergänzt. Das steht jetzt direkt daneben und hat in einer für Autofahrer gut sichtbaren Höhe eine rotweiße Markierung aus Klebeband am Pfahl.

Und an Laternenpfähle oder Verkehrsschilder in Innenstädten werden unweigerlich Fahrräder angeschlossen. Das ergibt praktisch jeden Tag rund um die Uhr ein kaum übersehbares Ensemble, so auch hier. Und wenn man das beim Einparken doch übersieht, Weiterlesen „Ex-Rammstein, neu aufgestellt“