Apfelbäumchen

Wieso muss eine Schule in der dritten Woche nach den sechswöchigen Sommerferien die Lehrerschaft auf einen Betriebsausflug schicken, dazu jährlich Team-Building-Events organisieren und Planungstage durchführen und dafür jeweils Unterricht ausfallen lassen? Wäre das nicht in den Ferien gegangen? Wieso muss eine Schule eine ganze Fachschaft außerhalb der Ferien für mehrere Tage auf Weiterbildung schicken und dafür den entsprechenden Fachunterricht größtenteils streichen? Kann man das nicht in den Ferien machen?

(Für Kindergärten gilt das im Prinzip genauso. Die haben weniger Ferien als Schulen – aber für Berufstätige, die auf die Betreuung angewiesen sind, immer noch zu viel, das kann man mit normalem Jahresurlaub nicht abdecken, schon ohne Streik der Erzieherinnen. Außerdem lassen die sich die Betreuung der Kinder ja auch noch bezahlen, der effektive Stundensatz ist deshalb deutlich höher als naiv nach der Formal Monatsbeitrag durch Betreuungsstunden errechnet, und das macht das ganze noch ein bisschen ärgerlicher.)

Klar, ganz so einfach ist es nicht. Dass nicht alle Weiterbildungen für Lehrkräfte in den Ferien stattfinden können, leuchtet ein – die Institute, die diese Weiterbildungen anbieten, können ja nicht während der Schulzeit einfach Leerlauf machen, und vielleicht kriegen sie die Nichtferienzeiten nicht so ohne weiteres mit Weiterzubildenden aus anderen Berufen voll. Da müssen dann auch Lehrerinnen außerhalb der Ferien lernen gehen. Wenn man Weiterbildung für Lehrkräfte grundsätzlich befürwortet, muss man den damit zwangsläufig einhergehenden Unterrichtsausfall auch in Kauf nehmen. (Ich schreibe das übrigens strikt aus Elternsicht – ich will meine Kinder möglichst zuverlässig vormittags aus dem Haus haben. Als Schüler fand ich Unterrichtsausfall dagegen grundsätzlich gut, je mehr je besser.)

Dass Zeugniskonferenzen nicht in den Ferien stattfinden können, leuchtet auch ein – man kann ja nicht zu Ostern schon die Noten für das Schuljahr festklopfen, wo das zweite Halbjar kaum angefangen hat. Dass dafür Unterricht ausfällt, ist wohl kaum vermeidbar, denn die Lehrer über ein Wochenende in Klausur zu schicken ist nicht zumutbar.

Dass Abiturprüfungen während der Schulzeit stattfinden und deshalb dann Unterricht für die übrigen Klassen wegfallen muss, lässt sich kaum vermeiden. Dass es noch das eine oder andere geben kann, für das Lehrerinnen Schulzeit aufwenden und Unterricht ausfallen lassen müssen, mag sein.

Aber manche Sachen müssten nicht sein. Immerhin gibt es jährlich ungefähr 12 Ferienwochen, in denen sich doch Zeitfenster für Betriebsausflüge, Team-Building-Events, Planungskonferenzen und Termine zur Konzeption und Abstimmung von Unterrichtsaktivitäten usw. finden lassen sollten. Das muss doch nun wirklich nicht während der ohnehin schon knappen Unterrichtszeit passieren. Es fällt in Deutschland aus verschiedensten Gründen sowieso schon viel zu viel Unterricht aus, das muss man doch nicht ohne Not noch verschlimmern. Echt jetzt, oder?

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Mir ist übrigens durchaus klar, dass der Lehrerberuf nicht die klischeehafte ruhige Kugel mit doppeltem Urlaub und freien Nachmittagen ist. Klar, Lehrer haben auf den ersten Blick viel weniger Arbeitstage im Jahr und an denen scheinbar viel weniger Arbeitsstunden*: „Normale“ Vollzeitarbeitnehmer ohne Wochenenddienste hatten 2017 in Niedersachsen 251 Arbeitstage, abzüglich typischer 30 Tage Urlaub bleiben 221 Arbeitstage. Dem stehen für Lehrerinnen – wieder im Kalenderjahr 2017 in Niedersachsen – 190 Schultage gegenüber.

Da wird mancher Außenstehende neidisch, erst recht wenn man ein bisschen milchmädchenrechnet und das Volldeputat für Gymnasien in Niedersachsen von 23,5 Unterrichtsstunden (etwa 17,6 „richtige“ Stunden) auf eine Fünf-Tage-Woche umlegt. Das ergibt dann lockere 3,5 Stunden pro Tag oder traumhafte 670 Arbeitsstunden im Jahr.

Wenn man sich aber die tatsächliche Arbeitsbelastung von Lehrern anschaut, sieht es schon ganz anders aus. Der außerschulische Normalarbeitnehmer mit 40-Stunden-Woche hat 2017 in Niedersachsen rechnerisch 1768 Arbeitsstunden pro Jahr geleistet. Viele Lehrer arbeiten während der Unterrichtswochen deutlich mehr, gängig sind Werte zwischen 50 und 60 Stunden pro Woche, also 10 bis 12 Stunden pro Arbeitstag.

190 Schultage mit je 10 Stunden Arbeit entsprechen 1900 Arbeitsstunden pro Jahr. Auf 221 Arbeitstage verteilt ergibt das 8,6 Stunden pro Tag oder 43 Stunden pro Woche.

190 Schultage mit je 11 Stunden Arbeit entsprechen 2090 Arbeitsstunden pro Jahr. Auf 221 Arbeitstage verteilt ergibt das 9,4 Stunden pro Tag oder 47,3 Stunden pro Woche.

190 Schultage mit je 12 Stunden Arbeit ergeben 2280 Arbeitsstunden pro Jahr. Auf 221 Arbeitstage verteilt ergibt das 10,3 Stunden pro Tag oder 51,6 Stunden pro Woche.

Das ist ganz schön viel, zumal man als Lehrerin eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit ausübt, wo man kaum mal auf Autopilot schalten kann wie bei manchen anderen Tätigkeiten, sondern wach sein muss, weil man brenzlige Situationen entschärfen muss, dabei oft erhebliche emotionale Belastungen abkriegt und dafür meistens nicht eben fürstlich bezahlt wird und im Fall von befristeten Anstellungen oft genug die Sommerferien arbeitslos verbringt, bis man zum Schuljahresbeginn wieder eingestellt wird. Da muss man ihnen im Gegenzug ein paar mehr freie Tage zur Erholung sicher nicht neiden.

Das führt mich direkt zu der Frage: Kann man Lehrern angesichts dieser ja doch ganz erheblichen Belastungen zumuten, in den Ferien auch noch Schularbeiten zu machen? Ich bin mir längst nicht mehr so sicher wie eingangs.

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Man könnte aufhören, ständig an den Anforderungen und Rahmenbedingungen herumzuschrauben, die Lehrpläne umzubauen und immer voller zu stopfen. Man könnte aufhören, Schulen und Lehrerinnnen regelmäßig neue bürokratische Extrawürste auf den Tisch zu hauen, um die sie sich bei ohnehin schon zu hoher Auslastung auch noch kümmern müssen, während gleichzeitig Geld und Personal vorn und hinten fehlen.

Zumindest sollte man die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte so regulieren, dass ein Lehrer mit einer vollen Stelle nicht dauerhaft erheblich länger arbeiten muss als andere Angestellte oder Beamte im öffentlichen Dienst.

Dann könnten sie sich nämlich auch einigermaßen ungestört auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren – das Vermitteln von Bildung und das Begleiten unserer Kinder auf dem Weg ins Erwachsenwerden. Wenn unsere Kinder unsere Zukunft sind, sollten wir doch nicht ausgerechnet an den Leuten ungebührlich sparen, die fünf Tage die Woche unsere Apfelbäumchen hegen, oder?

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

7 Kommentare zu „Apfelbäumchen“

  1. Ich kenne eine Lehrerin, die – wenn sie wieder einmal wegen ihrer vermeintlich geringen Arbeitszeit angesprochen wird – sich nicht verteidigt, sondern sagt: Deswegen habe ich den Beruf gewählt. Finde ich elegant.

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  2. Meine Schwester ist Volksschullehrerin, ein Kollege von ihr heißt mit Familiennamen Ehrlich und ist Religionslehrer. Weil der in seinem Nischenfach weniger Unter­richts­stun­den zu halten hat als die übrigen Kollegen, kursiert in der Schule über ihn der Spruch:

    »Ehrlich lehrt am wen’gsten.«

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  3. Lehrer dürfen eine Menge ausbaden in den letzten Jahren, bzw. es wird erwartet, dass sie die allgemeine Lebenstüchtigkeit der Kleinen herstellen. Vor ein paar Jahren ging so ein Mimimi durch die Medien „ich kann in vier Sprachen Gedichte interpretieren, aber weiß nicht, wie man ein Girokonto eröffnet“. Abgesehen davon, dass ich das mit den vier Sprachen nicht glaube (Guten Tag sagen – klaro, aber ein Gedicht interpretieren?), hab ich mir so gedacht: Wenn es dir deine Eltern nicht erklären können, dann frage halt in der Bankfiliale deines Vertrauens.
    Trotzdem ist ein Betriebsausflug der Lehrer kurz nach Schuljahresbeginn ein Nogo. Gabs zu meiner Zeit (TM) auch nicht.

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  4. Wie wäre es mit der ganz simplen Erklärung, dass die Lehrer während der Ferienzeit Urlaub haben?
    Natürlich nicht die komplette Zeit, denn Vor- und Nachbereitung ist bei ihnen mit in die Dienstzeit eingepflegt, was die meisten ‚Eltern‘ jedoch nicht mitbekommen. Sie haben also auch nur 30 Tage Urlaub.
    Ich arbeite selbst an einer Ganztagsschule und kann nur sagen: Hut ab vor dem Lehrerkollegium, denn sie sind nicht nur in der Vor- und Nachbearbeitungszeit IMMER ALLE anwesend, nein. Auch Elternabende, Elternsprechtage, Konferenzen, Klassenfeiern- und Fahrten zählen ebenso automatisch zu ihrer Dienstzeit, wie das kontrollieren von Klausuren. Und diese anfallenden Überstunden können nicht abgebaut werden, weil sie bei Lehrern eben dazu gehören. Wenn man das alles mal so aufaddiert ist man locker auf einem Stundenkontingent, was NICHT zulässt, Fortbildungen auch noch dazwischen zu stecken. 🙂

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  5. Unterrichtsausfall in den mittleren 1980er Jahren hieß für mich, entweder den örtlichen Saturn-Computershop unsicher machen – oder mir in der Geographie-Abteilung der Zentralbibliothek wahre Afghanistan-Vollräusche anzulesen! Passierte nur leider viel zu selten…

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In den Wald hineinrufen

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