Achterbahn

Wie schon erwähnt brauche ich einen neuen Fotoapparat. Vor einer Weile, schon vor dem aktuellen Wiederaufguss des leidigen Objektivfehlers, hatte ich angefangen, mir Gedanken über eine Nachfolgerin für meine Powershot zu machen und mich nach etwas Passendem umzusehen.

Auch wenn es da noch um eine Ergänzung meiner Ausrüstung ging, nicht um einen Ersatz, kommen mir die schon angestellten Überlegungen und Nachforschungen jetzt ganz gut zupass. Ich kann direkt daran anknüpfen.

Es soll eine Systemkamera werden, oder DLSM, wie wir (hüstel) Profis sagen. Spiegelreflex bringt bei digitaler Fotografie keinen Vorteil mehr, und so befriedigend sich das Arbeiten der Spiegelmechanik beim Auslösen auch anhört und anfühlt – die aufwändige Mechanik braucht nur unnötig Platz und ist ansonsten vor allem eine vermeidbare Fehlerquelle.

Bei der Recherche hatte ich ein paar mögliche Kandidaten gefunden, mit denen ich sicher hätte leben können, auch wenn sie alle die eine oder andere Lücke im Funktionsumfang hatten, oder Macken im Design. Dann ist mir die eigentlich oberhalb des angepeilten Preisrahmens angesiedelte Fujifilm X-T4 über den Weg gelaufen, die erstens so ziemlich alles kann, was ich an einer Kamera brauche, und bei der zweitens ein paar für mich wichtige Details für mich „richtig“ gelöst sind. Die X-T4 ist seit gut zwei Jahren auf dem Markt, irgendwann kommt deshalb sicher auch ein Nachfolgemodell. Zwischen jetzt und nächstem Sommer vermutlich, aber darauf will ich nicht warten. Außerdem weiß ich nicht, ob dieses Nachfolgemodell mir dann auch noch liegt. Man weiß ja im voraus nie, in welche Richtung der Hersteller so ein Projekt bewegt. Außerdem bin ich mit der X-T4 eher am oberen Rand meines finanziellen Spielraums, und das Nachfolgemodell wird sicher nicht billiger.

Ich hatte also diese Kamera schon als Kaufkandidatin in der engeren Wahl, als dann kürzlich die Canon EOS R7 auf den Markt kam. Eine tolle Kamera, die mit der Fuji in den meisten Dingen etwa gleichauf liegt, einiges besser kann, in anderen Dingen nicht ganz an sie herankommt. Preislich liegen die ganz ähnlich, und die Wahl fällt schwer.

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Ich war schon geneigt, eher die Canon zu wollen, weil das allem Anschein nach eine sehr, sehr gute Kamera ist. Ein genauerer Blick auf die Bedienbarkeit hat mich dann aber doch wieder zur Fuji gebracht. Die EOS R7 leidet an der für Canon typischen, merkwürdig willkürlichen Beschränkung der Anpassungsmöglichkeiten für Bedienelemente. Mindestens ein fest belegter, also nicht anpassbarer Schalter an einer Stelle, die man während des Fotografierens sehr gut erreichen und blind bedienen kan, ist aber mit Funktionen für Grundsatzeinstellungen belegt, die man beim Fotografieren selbst nie braucht. Insgesamt hat sie eher zu wenige physische Bedienelemente, d.h. man muss zu viel übers Menü machen. Das hatte mich schon an der Powershot gestört, obwohl der verfügbare Platz dort mit Knöpfen und Reglern gut ausgeschöpft war. Mehr hätte auf dem kleinen Gehäuse gar nicht hingepasst, anders als bei der jetzigen Kandidatin.

Die Fuji hat dagegen ein hübsch einfaches Bedienkonzept (soweit so ein komplexer Apparat simpel bedienbar sein kann), gut erreichbare, robuste mechanische Drehregler für ISO, Belichtungszeit, Blende. Man muss nicht ganz so oft zwischen Betriebsmodi wechseln wie bei Canon – dreht man eines der Räder auf Automatik, werden der betreffende Parameter passend zu den fest vorgegebenen gewählt.

Das ist für mich ein wesentliches Argument gegen die Canon und für die Fuji. Die Bestandsaufnahme eines Reisefotografen nach zwei Jahren mit der Fuji hat mich dann überzeugt, dass das die richtige Kamera für mich ist.

Für Fuji und gegen Canon spricht übrigens, dass beide Kameras zwar spritzwasser- und staubdicht sind, aber die Kit-Objektive von Canon nicht. Bei Fuji immerhin eines, und zwar das, das ich sowieso eher nehmen würde. Was nützt mir die wetterfesteste Kamera, wenn das Objektiv bei Regen gleich absäuft?

Ob das Plastikbajonett von Canon ein Qualitätsproblem ist, wird man wohl erst in ein paar Jahren wissen, aber ich bin da eher skeptisch. (Obwohl, der Sattel meines E-Basses ist auch aus Kunststoff. Der liegt auf zwei Einstellschrauben bzw. hängt zwischen denen in der Luft und verformt sich kein bisschen, hängt nicht durch, nichts, jahrelang, obwohl das Stück Plastik eher zierlich ist. Wenn Kunststoff das kann, kann man aus sowas sicher auch haltbare Bajonettringe für Objektive bauen.)

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Nach ein paar Testberichten war ich also auf dem Weg ins Fujiland. Dann habe ich angefangen, Testberichte über die verfügbaren Kit-Objektive zu lesen. Beide von Fuji angebotenen Objektive schienen solides Material zu sein, anständige Leistung zu gutem Preis. Das 16-80 OIS WR wurde durchaus gelobt. Natürlich kauft man sich so ein Alleskönnerzoomobjektiv nicht unbedingt wegen der brillianten Optik – wenn man ganz tolles Glas will, muss man eben tiefer in die Tasche langen. Aber trotzdem gab es durchaus Kauf- und sogar Umsteigeempfehlungen. Alles super.

Und dann kam dieser Bericht. Sehr schnörkellos, wohl sehr fundiert, Tenor (ich überzeichne etwas): Recht solide verarbeitete, aber insgesamt eher mäßige Hardware, deren nachlässig in Kauf genommene optische Unzulänglichkeiten von der Kamerasoftware unter Qualitätsverlust ausgebügelt werden. Kann man kaufen, aber man erwarte nichts Allzutolles.

Voll der Wasserguss auf meine Fujiphorie. Ich also emotional erstmal ein wenig abgestürzt. Wenn ich da jetzt massiv Geld reinstecke, muss ja auch was Brauchbares und Dauerhaftes bei rauskommen. Wenn’s nichts ist, kann ich nicht einfach das nächste Gerät kaufen, so viel Bares habe ich dann doch nicht ungenutzt rumliegen. Und soll ich wirklich ein so armseliges Beinaheschrottobjektiv riskieren? Mal eben stattdessen ein Prime-Objektiv für das Doppelte ist mir andererseits doch zu teuer, und ohne Objektiv nützt mir die schönste Kamera nichts. Mistmistmistwasmachichnur!

Naja, ich habe mir dann die Beispielfotos in dem Artikel angeschaut, kann nichts finden, was mich abschrecken würde, und denke mal, der Artikel ist von Nerds für Nerds geschrieben, oder für Profis, die handwerklich mehrere Klassen höher spielen als ich und für deren Fotografie das irgendwie von Bedeutung ist. Für mich ist das wahrscheinlich ein hervorragendes Einsteigerobjektiv. Sonst hätte Fuji das auch nicht für diese Kamera – immerhin Flaggschiff der X-Reihe – im Programm. Anders als irgendeine No-Name-Klitsche haben die ja auch einen Ruf zu verlieren.

Ich lasse mich also nicht mehr von Testberichten in die emotionale Achterbahn setzen, sondern kaufe mir das Ding jetzt einfach und sehe, was es im echten Leben so liefert. Und wenn ich in ein paar Jahren an Grenzen stoße, wo das Objektiv (oder die Kamera, oder beide) nicht liefern kann, was ich gern hätte, schaue ich mich nach Ersatz um.

Noch ein ganz praktisches Argument: Die Fuji gibt es im Prinzip sofort, die Canon hat – je nachdem, wo man schaut – Lieferzeiten von ein bis drei Monaten. Klar, eine neue Kamera zu Weihnachten hätte schon was. Aber so lange warten? Ich weiß nicht…

 

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

3 Kommentare zu „Achterbahn“

  1. Ich bisher auch. Meine erste richtige Kamera war Mitte der 80er die Canon AE1 Program, ein tolles Gerät. Die Powershot war auch klasse, v.a. gemessen an der Größe. Und in Sachen Bildqualität hätte ich an der EOS R7 auch nichts zu meckern gehabt.

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  2. Ich würde mich heute auch für eine Fuji entscheiden.
    Aber ich sitze halt auf Pentax fest, weil ich schon eine recht beachtliche Glassammlung habe und mir das Herz bluten würde, wenn ich alles verschleudern müsste.
    Wie auch immer, das Motiv kommt von dir, die Kamera ist meistens wurscht…

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