Weil sie es sich so sehr wünschen…

In den letzten Jahren sind mehr und mehr Krankenkassen in Deutschland dazu übergegangen, homöopathische und andere alternativpseudomedizinische Behandlungen zu bezahlen. Dass die nicht wirken und allerlei unangenehme Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringen (mögliche Beeinträchtigung der intellektuellen Fähigkeiten durch Entwöhnung vom rationalen Denken; Diskreditierung der Wissenschaft; mögliche Gesundheitsschädigungen als Folge der Verhinderung oder Verzögerung angemessener Behandlung durch Vorgaukeln einer medizinischen Versorgung; Einstiegsdroge in esoterische Wirrungen; Einstieg in Medikamentensucht, weil es für jedes Wehwehchen sofort ein Mittelchen gibt), interessiert dabei anscheinend nicht.

So werden erhebliche Finanzmittel für wirkungslose oder sogar gefährliche Behandlungen verballert, während anderswo sinnvolle Leistungen aus Kostengründen gestrichen werden. Apotheken etwa müssen einen bestimmten Prozentsatz ihrer Ware aus Parallelimporten beziehen, was offenbar Fälschern und anderen Betrügern Tür und Tor öffnet und die Patienten u.U. in Gefahr bringt. Hausärzte bekommen pro Patient und Quartal in manchen Bundesländern nur eine sehr magere Zeitpauschale erstattet, die für fast gar nichts reicht und zur übertriebenen Nutzung technischer Geräte zur Diagnosestellung ermuntert (weil man das dann gesondert abrechnen kann).

Die Kassen handeln alle paar Jahre Rabattverträge mit den Pharmafirmen und den Herstellern von Verbrauchsmaterialien aus, weshalb dann jedesmal viele Patienten von heute auf morgen andere Medikamente und Materialien beziehen müssen. Medikamente müssen dann oft neu eingestellt werden, die Nebenwirkungen sind anders. Die Passform etwa von Einlagen ist dann jedesmal wieder ungewohnt. Man kann nicht das gewohnte Produkt nehmen, und es ist nicht mehr möglich, das bevorzugte Produkt zu nehmen und den etwaigen Differenzbetrag aus eigener Tasche draufzulegen, weil das von der Kasse vorgeschriebene Produkt abgenommen werden muss, damit die mit den Herstellern ausgehandelten Kontingente auch garantiert ausgeschöpft werden – der Umsatz muss stimmen.

Brillen muss man seit langem selbst bezahlen, bei Zahnersatz teilweise erhebliche Zuzahlungen leisten oder einen Zahnersatz zweiter Klasse akzeptieren (Brücke statt Implantat unter bestimmten Umständen). Und so weiter und so fort.

Das Geld fehlt, heißt es dann, diesen ganzen Luxus können wir uns nicht mehr leisten. Immerhin wird das medizinisch Notwendige finanziert, da soll man doch froh sein.

Das Geld fehlt, aber Zuckerkügelchen, geschütteltes Wasser, Wellnessmaßnahmen und solches Zeug wird finanziert. Bin das nur ich, oder passt da was nicht zusammen?

Ich bin jetzt schon reichlich ärgerlich über diese Verschwendung knapper Ressourcen. Aber was mich wirklich auf die Palme bringt, ist die Begründung, die man immer wieder hört. Warum erstatten die Kassen die Kosten für homöopathische Behandlungen und anderen pseudomedizinischen Unsinn? Weil – und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – weil immer mehr Leute sich diese alternativmedizinischen Verfahren als „Ergänzung der konventionellen Medizin“ wünschen, wie es hier beispielsweise heißt.

Heilpraxis, ein Fachportal für Naturheilkunde und Naturheilverfahren, berichtet unter Berufung auf die Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), Cornelia Bajic: Viele Patienten wünschen sich „homöopathische Verfahren als Ergänzung oder sogar Alternative zu konventionellen Medizin.“ Etwa 90 der derzeit 130 Krankenkassen übernehmen die Leistung „ärztliche Homöopathie“. Ein weiterer alternativer Bereich ist die Osteopathie. Auch hier bieten immer mehr Kassen derlei Therapien an. (Quelle) Die Homöopathie-Branche weiß also, dass viele Leute das wollen, und setzt sich darum mit aller Kraft dafür ein, ihnen diesen Wunsch auch zu erfüllen.

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Durch geschickte Lobbyarbeit haben die Homöopathie-Firmen erreicht, dass sie die Wirksamkeit ihrer Präparate nicht nachweisen müssen. Sie dürfen per Binnenkonsens selbst bestimmen, was Stand der homöopathischen Kunst ist und verschrieben werden darf. Das ist für sich schon eine Ungeheuerlichkeit.

Und durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit hat die Homöopathie-Branche es dazu gebracht, dass immer mehr Leute der Homöopathie gegenüber positiv eingestellt sind, sie wider alle Vernunft als veritable Alternative zur wissenschaftlichen Medizin sehen, als sanfte, nebenwirkungsfreie, ganzheitliche Naturmedizin.

Dass viele Leute sich von den weichgezeichneten Heilsversprechen homöopathisch orientierter Werbetrommler verunsichern lassen und das ganze zumindest ausprobieren wollen, ist nicht einmal verwunderlich. Gerade vor dem Hintergrund einer zunehmend auf Leistung und Kosteneffizienz getrimmten Gesellschaft, in der riskante Spekulationen auf Kosten der Allgemeinheit noch belohnt werden, während schon geringfügige Verfehlungen eines Hartz-4-Empfängers zu empfindlichen Sanktionen führen können, ist die Hinwendung vieler Leute zu esoterischen Glaubenssystemen nicht einmal besonders erstaunlich. Man braucht was für die Seele und fürs Herz, und wer das bietet oder zu bieten scheint, hat eben entsprechenden Zulauf.

Dass die Leute die homöopathische Wundermedizin ausprobieren wollen, ist also nicht weiter verwunderlich. Dass man es ihnen bezahlt, ist ein Skandal. Man bezahlt es ihnen, weil sie es sich so ganz arg doll wünschen, wobei das lautstarke Wünschen sicher großenteils von den Lobbyisten der Homöopathie-Industrie im Namen der potenziellen Patienten geleistet wird und eine große Menge Leute da einfach mitschwimmt oder sich aus purer Unwissenheit „für die Vielfalt in der Medizin“ und „für sanfte Alternativen zur Chemiehämmermedizin“ ausspricht.

Egal, sie wünschen es sich, und sie kriegen es.

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Es ist jedenfalls ein Unding. Ich meine, was haben sich Kassenpatienten über die Jahre nicht alles gewünscht bzw. würden sich wünschen, wenn sie sich trauen würden, es zu äußern. Bzw. wenn sie einen Sinn darin sähen, ihre Wünsche überhaupt zu äußern im derzeitigen Klima des Gewinnoptimierungswahns und des Primats der betriebswirtschaftlichen Überlegungen. Einer für alle, alle für einen war einmal, heute ist Fordern und Fördern – leistense erstmal was, dann kriegense auch ein bisschen Geld und ein Pflaster. Klappe halten und gehorchen und bloß nicht aufhören zu strampeln. Wünsche sind da nicht vorgesehen!

Brillen von der Kasse? Cannabisbasierte Schmerzmittel, die in vielen Fällen besser wirken und wesentlich weniger Nebenwirkungen haben sollen als andere gängige Medikamente? Kontinuität in der Versorgung mit Medikamenten? Ärzte würden gern genau das verschreiben, was sie für richtig halten. Sie würden sich gerne darauf verlassen können, dass der Patient das in der Apotheke auch kriegt. Stattdessen müssen Apotheker oft andere Darreichungsformen oder Dosierungen verkaufen, weil die Kassen das so wollen. Wenn sie nicht mitspielen, zahlen sie aus der eigenen Tasche drauf, Ärzte wie Apotheker.

Dann ist da noch die Altenpflege. Gehört nicht direkt hierher, läuft aber genauso: Geld für menschenwürdige Pflege ist nicht da. In der Folge werden den Pflegenden völlig unrealistische Arbeitspensen vorgegeben, werden die Gepflegten von dauerhaft überlasteten Pflegekräften oft eher schlecht als recht versorgt. Und alle miteinander werden dadurch entwürdigt und verheizt.

Vielleicht ist nicht genug Geld da, um alle diese Wünsche zu erfüllen. Vielleicht reicht es wirklich nicht einmal für die vernünftigsten dieser Wünsche. Aber solange man von Jahr zu Jahr mehr Millionen für Zuckerkügelchen, geschütteltes Wasser und anderes Brimborium hinauswirft, kann es doch so schlimm nicht sein.

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Andererseits muss man sagen, dass es ja auch nicht honoriert wird, wenn die Kassen sparen. Kaum haben sie sich aus den roten Zahlen ins Schwarze zurückgespart und ein paar Euro auf die hohe Kante gelegt, kommen die Geier aus der Politik und stellen öffentlich Überlegungen an, wofür man diese überflüssigen Reserven am besten verballern könnte. (Und selbst wenn es sich um Rücklagen in Rekordhöhe handelt – fette Jahre dauern nie lang, schon gar nicht, wenn die Einnahmen konjunkturabhängig sind, eine bislang zuverlässige Einnahmequelle unerwartet gestrichen wird und die Ausgaben auf jeden Fall steigen. Was man den Kassen heute vom Sparbuch nimmt, muss man ihnen morgen dann doch wieder zubuttern. Aber soweit scheint man nicht denken zu wollen.)

Das ganze System ist verkorkst, scheint mir. Es war ursprünglich mal ganz anständig, aber dann haben über die Jahre so viele Leute ohne Sinn und Verstand an so vielen Schrauben herumgedreht, dass es nicht mehr rund läuft und nicht mehr rund laufen kann. Das System ist zu teuer, gleichzeitig hat das Netz zu große Lücken. Man schafft es, praktisch alle vor den Kopf zu stoßen. Ärzte sind unglücklich, Apotheker sind unglücklich, Patienten sind unglücklich, Finanzminister sind unglücklich. Es wird viel zu viel Geld dafür ausgegeben, dass zu vielen Patienten nicht richtig geholfen werden kann. Es ist zum Heulen.

Und das Schlimmste ist, dagegen gibt es sicher irgendwelche Globuli. Gibt’s ja anscheinend gegen fast alles, nur nicht gegen meine schlechte Laune

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P.S.: Hier noch ein bisschen Hintergrundinformation zur Homöopathie, die ich oben im Text nicht untergekriegt habe (ist ja sowieso schon eine einzige Klickstrecke):

Erfolge der Homöopathie – nur ein Placebo-Effekt?

(Und eine homöopathische Gegenstimme: Warum Homöopathie keine Placebowirkung ist) Das stellt ausdrücklich keinen Versuch einer „ausgewogenen Berichterstattung“ dar, sondern soll der Illustration dienen.)

Gesamtschau der Studien zur Homöopathie

Homöopathie: Brauchen wir “mehr Forschung”?

Und hier noch ein Artikel über Hahnemanns Werk. In diesem fair und verständnisvoll geschriebenen Text zeigt Norbert Aust, wie Hahnemann zu seinen Schlüssen gelangte und wo er warum danebenlag. Sehr lesenswert: Miasmen und chronische Krankheiten in der Homöopathie

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

8 Kommentare zu „Weil sie es sich so sehr wünschen…“

  1. Das Ganze ist sogar noch schlimmer. Wie immer.

    Die Krankenkassen dürfen von Gesetzes wegen alle vierzehn Tage neue Rabattverträge aushandeln. Und … sie sind Versicherungen, sie benehmen sich auch so: wenn sie was nicht zahlen müssen sind sie immer schnell dabei … viele tun das auch. Sprich, die Rabattartikel für einen gängigen Wirkstoff wie zum Beispiel Simvastatin oder Omeprazol können von Krankenkasse zu Krankenkasse, von Dosierung zu Dosierung, von Packungsgröße zu Packungsgröße und alle vierzehn Tage variieren. Nachdem im Schnitt fünfungzwanzig Hersteller einen solchen Wirkstoff fertigen und sehr oft Packungen verschrieben werden die für ein Vierteljahr reichen traue ich mich durchaus wetten daß jemand der das als Dauertherapie einnimmt jedesmal (oder fast jedesmal) eine andere Firma bekommt. Vorrausgesetzt die Hausärztin schließt das nicht aus, aber dann muß sie ihren Papierkram mit der Kasse sehr genau machen, sonst bleibt sie auf den Kosten für das Medikament komplett sitzen. Sie, oder wenn sie das austauschen nicht ausgeschlossen hat die freundliche Apothekerin die Omi nicht schonwieder eine fremd aussehende Packung zumuten wollte.
    Zudem keiner weiß, ob und wieviel die Krankenkassen überhaupt damit sparen; da sie wieviel sie mit diesen Rabattverträgen letztenendes zahlen nicht einmal der zuständigen Behörde offenlegen müssen.
    Das ganze Gesetz war vor zehn Jahren schon für die Tonne, die Alternative Zielpreismodell (=welche Firma ist egal, das Präparat muß nur günstiger/gleich einem Festbetrag sein; wer teureres will, zahlt auf) hielt ich damals schon für viel sinnvoller. Aber ich bin ja nur Fachperson und nicht Politiker.

    =

    Von Gegnern der Homöopathie wird öfter ausgerechnet, wieviel Wasser es bräuchte, um eine homöopathische Potenz direkt herzustellen, statt sie x-mal zu verdünnen. Ist jedesmal wieder sowohl erhellend als auch erheiternd.
    Mein Lieblingsbeispiel: nimmt man eine Wasserkugel vom Radius der Erdbahn (Kugel aus destilliertem Wasser: von hier bis zum Mai und dasselbe von der Sonne aus hoch und runter – an dieser Stelle bekomme ich jedesmal einige Vorstellungsprobleme, aber egal), und schmeißt in diese ein einziges Molekül Kochsalz … bekommt man natrium muriaticum C30,89. Also dasselbe wie 30,89mal eins zu hundert verdünnt.
    Wenigstens kann man genau sagen wo das Salz ist, nämlich da wos anfängt zu frieren, aber das wäre wieder Physik, nicht C30.

    =

    Es gibt nur eine Situation, in der Homöopathie sinnvoll ist, nämlich dann wenn sie Mamis von kleinen Kindern davon abhält, stattdessen potentiell schädliche Maßnahmen zu ergreifen. Einlauf mit Kamillentee statt Fiebermittel, Selbstversuche mit Schöllkraut bei Warzen, unverdünntes Lavendelöl um Läuse abzuhalten, Teebaumöl auf Fieberbläschen, Heilfasten, Masernparties… alles drin. Die Bereitschaft, die Kinder zu foltern oder zu gefährden weil das viel ’sanfter‘ ist als die ‚Schulmedizin‘ kennt kaum Grenzen.
    Dann ist es mir viel lieber, das Kind bekommt das erspart und stattdessen ein paar Pseudoplacebo-Zuckerkügelchen zu lutschen – die schaden ihm nämlich nicht!
    Notfalls bekommt es das Zuckerl mit der Vorstellung der Mami, dadurch die sinnvollen medizinischen Maßnahmen zu ‚entgiften‘, wenn sie nur vorher stattfinden dürfen. Ich stelle mir in dem Fall vor, im Auftrag des späteren erwachsenen Kindes zu handeln (das es an dieser Stelle nicht selbst kann), wenn ich Schaden von ihm abwende und eine sinnvolle Behandlung ermögliche, indem ich seiner Mutter zusätzlich ein Placebo in die Hand drücke. Sicher nicht optimal, aber besser als gefährliche Hausmittelchen schon.

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  2. Ja, bestimmt ist es noch viel schlimmer. Als Laie kennt man die ganzen Details ja nicht oder würde ihre Bedeutung oft gar nicht erfassen. Aber im Prinzip reichts mir auch schon so.

    Placebo zu nutzen ist ja auch sinnvoll, am besten ohne den ideologischen Überbau. Aber in Sachen Placebo für Kinder zur Verhinderung der von den Eltern sonst zu befürchtenden ganz harten naturheilkundlichen Maßnahmen gebe ich Dir recht. In dem Fall sind Globuli sicher das geringere Übel.

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  3. In Österreich werden dagegen homöopathische Arzneien von der Krankenkasse grundsätzlich nicht bezahlt. Immerhin. Aber allein die Tatsache, dass man Ärzte unter der offiziellen Berufsbezeichnung »Facharzt für Homöopathie« ordinieren lässt, ist schon ein Witz. Hört sich an wie »Fachingenieur für Feng-Shui« oder dergleichen.

    (Frage: Wenn man eine Überdosis Globuli schluckt, stirbt man dann am Placebo-Effekt?)

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  4. Hm, gute Frage. Müsste man der homöopathieinduzierte Placebo-Effekt nicht dann greifen, wenn man besonders wenig von dem Zeug schluckt? Keine Ahnung.

    Dein Fachingenieur könnte dann mit einem diplomierten Wasserinformationstechniker zusammen großartige Esoterika bauen…

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  5. Am kommenden Freitag (8. Dezember 2017) sind Dr. Natalie Grams und Dr. Christian Lübbers bei einer großen Krankenkasse zu Gast, um über die Erstattung von homöopathischen Mitteln zu reden (via). In dem Zusammenhang läuft auf Twitter gerade eine Art Mitmachkampagne unter dem Hashtag #KrankenkasseOhneHomöopathie – Grams und Lübbers wollen alle Tweets mit diesem Hashtag ausdrucken und ihren Gesprächspartnern überreichen.

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  6. Bravo und danke. Ja, das System ist verkorkst, fast bis zum Gehtnichtmehr. Wie Natalie Grams schrieb: Die Medizin ist krank, und die Homöopathie ist ihr Symptom (http://die-erde-ist-keine-scheibe.de/2017/07/21/die-medizin-ist-krank-und-die-homoeopathie-ihr-symptom/) Und wie auch ich bei aller Fokussierung auf Pseudomedizin im Allgemeinen und auf Homöopathie im Speziellen immer wieder betone: Die Medizin ist so gut und so schlecht wie die Rahmenbedingungen, die man ihr zur Verfügung stellt. Nein, liebe Gesundheitspolitiker, ihr seid nicht „raus“, ihr könnt euch nicht -wie Gröhe auf zwei offene Briefe des INH- auf die „Selbstverwaltung“ und die „Pluralität“ des Gesundheitssystems berufen. Die entscheidenden Eckpfeiler setzt ihr!

    Die juristische Seite: Ein Drahtverhau für Spezialisten. Die Auswirkungen: Manchmal denke ich, dass die Hauptverdiener im Gesundheitswesen eigentlich die Softwarehäuser sein müssten. Mir sind nirgends so viele Anpassungs- und Änderungsbedarfe begegnet wie dies praktisch unaufhörlich für Arztpraxen und Apotheken notwendig ist… Der bürokratische Aufwand übersteigt m.E. -und davon verstehe ich was- oft die Effekte irgendwelcher Änderungen oder neuer Rabatt- oder Selektivverträge.

    Nur ein Beispiel: Ich werde immer traurig, wenn die Leute ehrlich und offen sagen, dass ihnen Erstattungen für Brillen und mehr Leistungen für Zahnersatz lieber wären als Homöopathie. Denn: Selbst wenn die Kassen das „tauschen“ wollten, sie dürften es nach geltendem Recht gar nicht… Das INH hat das einmal auseinandergepflückt, siehe hier: https://www.netzwerk-homoeopathie.eu/widersprueche/206-gesetzliche-krankenkassen-und-homoeopathie

    Ich bin sicher, dass das nur wenigen Spezialisten im Sozialversicherungsrecht überhaupt klar ist. Ein besorgniserregendes Symptom. Irgendwann ist, wenn man nicht höllisch aufpasst, ein „System“ so überreguliert, dass es als solches und insgesamt nicht mehr funktionsfähig ist. (Das Bundesverfassungsgericht hat schon Gesetze aufgehoben, weil sie durch ständige Änderungen nicht mehr das Kriterium „ausreichender Bestimmtheit und Klarheit“ erfüllten.) Ein ehernes Gesetz der Organisationslehre. Sind wir schon so weit im Gesundheitswesen? Oder fehlt es nur an Kraft und Willen für wirkliche Verbesserungen im Sinne der Versicherten?

    Ein Zeichen, dass eine solche Kraft, Entschlossenheit und Integrität noch vorhanden ist, wäre ein konsequentes Nein zu Pseudomedizin im öffentlichen Gesundheitswesen. Nix Homöopathie, nix Anthroposophie, nix Osteopathie .. Nicht nur, wie Gnaddrig zu Recht schreibt, wegen der pekuniären „Nebenwirkungen“. Sondern weil die Duldung solchen Unsinns im Gesundheitssystem das Medizinstudium entwertet, die pharmazeutische Forschung verächtlich macht und das Vertrauen in Rationalität und Wissenschaft auf breiter Front untergräbt.

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  7. Danke für den Kommentar (habe ich leider erst jetzt im Spamfilter gefunden). Als Nichtmediziner sehe ich das System nur ohne besonderes Detailwissen von außen und bin einerseits dankbar, doch immer noch sehr gut versorgt zu sein (als im wesentlichen gesunder Mensch, immerhin), andererseits gelegentlich bass erstaunt und oft genug völlig von den Socken angesichts des Irrsinns, der da vorgeschrieben wird.

    Am schlimmsten an der Erstattung pseudomedizinischen Unsinns finde ich auch, dass diese Methoden und Mittel dadurch den Anschein von Wissenschaftlichkeit und Seriosität erhalten und dadurch umso stärker dazu beitragen, das Vertrauen in evidenzbasierte Methoden und Mittel (und in die Wissenschaft überhaupt) zu untergraben und letztlich einer gewissen Volksverdummung Vorschub zu leisten. Das gefährdet schon mittelfristig unsere Existenzgrundlage und macht u.a. das Gesundheitssystem noch unbezahlbarer als es eh schon ist. Und von den unmittelbaren Auswirkungen haben wir da noch gar nicht angefangen: Verschleppen von oder Verzicht auf oft überlebenswichtige evidenzbasierte Behandlung, Verschwenden ohnehin knapper Ressourcen und vermeidbares Verursachen großen menschlichen Leides bei Patienten und deren Angehörigen.

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In den Wald hineinrufen

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