Blockflöte?

Seit mehreren Tagen höre ich abends Geräusche, die wie Blockflöte klingen. Das, was Anfänger produzieren, wenn sie Blockflöte üben. Lange bevor sie es zu dem klaren, wohldefinierten Ton bringen, den man diesem Instrument entlocken kann wenn man kann. Aller Anfang ist schwer und klingt bescheiden: Hnü-fnüh, fnü-fnüh, fnüh fnüh fnüh fieps fnühfiepsfnürgs hnüh.

Viel Mühe wird darin investiert, die Töne nicht mit dem geforderten sauberen d zu beginnen, sondern irgendwie ins Leben zu hauchen und die Zombies dann irgendwie ihr Unleben aushauchen zu lassen. Ich weiß bescheid, ich habe das damals auch gemacht. Den Sound kenne ich.

Die meisten geben irgendwann auf, manche schaffen es bis zur richtigen Musik. Aber am Anfang stehen lange Stunden fnüh fnüh fieps fnüh. Unweigerlich und zum Schrecken aller in Hörweite. Wenn die Schule (oder die Eltern oder der Erbonkel) das wollen, wird blockgeflötet (alternativ bzw. je nach Status auch gegeigt, das kann am Anfang ebenfalls furchtbar sein, davon aber vielleicht ein andermal). So ein Grundschüler arbeitet dann das Pensum ab und die Nachbarschaft hört gezwungenermaßen mit. Fensterschließen hilft nicht, dazu ist das Gerät zu schrill. Ohrstöpsel helfen auch nicht. Nichts hilft, nur Flöte verschwinden lassen.

Ich weiß gar nicht, ob oder wo das kollektive Blockflötenspiel in der Grundschule noch üblich ist, meine Kinder haben das in der Grundschule nicht gehabt. Egal, wenn sie Flöte lernen, üben sie jedenfalls lange und verbissen, fnüh fieps fnühfiepsfnürgs hnüh. Aber abends, ab halb neun? Drei Stunden bis weit nach elf? Grundschüler? Klingt nicht plausibel. Im Ernst, welches Elternohr hält das so lange aus? Und wenn die Eltern nicht im Haus sind, würden die Blagen doch nicht Blockflöte üben sondern Minecraft spielen oder so. Klar, jetzt in der Adventszeit mag jemand auf den großen Auftritt im Heiligabendgottesdienst hinarbeiten, aber so hartnäckig auf dem Niveau? Ich weiß echt nicht.

Derweil habe ich abends immer dieses Gefiepe im Ohr, gerade haarscharf oberhalb der Hörschwelle. Melodien kann ich keine erkennen, es stechen immer nur zwei bestimmte Töne aus der Stille hervor wie bei abendlichen Gesprächen der Eltern und ihrer Gäste aus dem Wohnzimmer, wenn man als Kind schon im Bett liegt, vor dem Einschlafen den Gedanken nachhängt und über dem Gemurmel aus dem Wohnzimmer immer einzelne Silben einer einzelnen Stimme heraushört.

Wo, frage ich mich, kommt das her? Den Kopf ins Treppenhaus gehängt, nichts, bei den Nachbarn im Haus alles friedlich. Als nächstes den Balkon gecheckt, vielleicht kommt’s von nebenan. Und Bingo, draußen klingt es lauter. Ist aber keine Blockflöte, sondern Weihnachtsdekoration. Da hat wer die üblichen grellen blinkenden Lichterketten inklusive Stern und Weihnachtsmann um die Terrasse hängen, und da ist eine Dudelmaschine dabei. Eine Art piepsende Glückwunschkarte in groß mit entsprechenden Abscheulichkeitswerten.

Das Ding gibt in einem fort irgendwelche vermutlich weihnachtlich orientierten Tonfolgen von sich, ich glaube Bruchstücke von Jingle Bells und We Wish You A Merry Christmas erkannt zu haben, in äußerst bescheidener Klangqualität und in ganz sicher nicht wohltemperierter Stimmung. Da hängen dreckige Blue Notes drin, entweder ein technischer Defekt oder die Stromversorgung ist unzureichend. (Wir hatten mal ein tonerzeugendes Spielzeugtier, das anfing, furchtbar zu leiern, wenn die Batterien ihrem Ende entgegengingen, da gab es entsetzliche Schwankungen bei Tempo und Tonhöhe.)

Jetzt frage ich mich erstens, wer sowas baut und verkauft. Viel wichtiger zweitens, wer sowas kauft und dann auch einschaltet. Das ständige Geblinke vor dem Fenster wäre ja schon schlimm genug, das würde ich mir nicht freiwillig antun, aber dann auch noch mit passender Tonspur? Turbobesinnlichkeit aus der Dose? Im Leben nicht. Wer soll das hören wollen? Glaubt echt wer, jemandem gefällt das Gedudel? Dann doch fast lieberweniger ungern Frohsinnsfunk mit Guter Laune™.

Immerhin scheinen sie das irgendwann gegen Mitternacht auszuschalten, beim Schlafen hat es mich bisher noch nicht gestört. Aber den ganzen Abend dieses Fiepsen mehr zu ahnen als zu hören, das ist schon hart. Da fiebert man Heiligabend noch viel sehnlicher entgegen…

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

8 Kommentare zu „Blockflöte?“

  1. Da „fiepert“ man Heiligabend entgegen. 🙂
    Ernsthaft: das ist schon Belästigung und Körperverletzung gleichzeitig.
    Hier müssen dem Nachbarn doch die Flötentöne abgestellt werden.
    Ein ruhiges Wochenende ! 😉
    Lo

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  2. Wenn da jemand echt versucht, ein Instrument zu meistern, habe ich dafür ja durchaus Verständnis. Das fängt halt ätzend an, kann aber am Ende ganz hübsch werden. Aber dieses seelenlose Gedudel ist einfach nicht diskutabel…

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  3. Dann doch lieber Heimorgel… Hans-Enzberg-Schule Band 3, Humpa-Humpa-Wechselbass in G-Dur und dann „Schlumpfi am Piano“ oder sowas! Da muss sich der angehende Tastenakrobat wenigstens keine Gedanken um die Intonation machen… aber Heimorgel ist ja leider noch viel outer als es die Blödflocke jemals sein könnte!

    Übrigens bin ich auch seit einigen Monaten im Netz auf diesem Instrument (Blödflocke, nicht Heimorgel) zu hören: https://www.youtube.com/watch?v=fDqTZM4xMIs (ganz am Ende, nach 1:34:00!)

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  4. Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang interessant, auf die interessante Tatsache hinzuweisen, dass der Singer-Songwriter Matthias Schrei (nomen es omen) unter dem Pseudonym Blockflöte des Todes unterwegs ist.
    Auch Blockflöte spielen kann man, wie alles, gut oder schlecht machen. Wenn die Nerven wieder beruhigt sind, kann ich ein Konzert von Wildes Holz nur empfehlen. Der Typ machts verdammt gut. Weil ich die ja schon kannte, als die fast niemand kannte, erinnere ich mich noch an einen der ersten Auftritte von denen. Fand in einem runtergekommenen Gemeindesaal statt und kostete, glaub ich, 5 Mark Eintritt. Mittlerweile sind’s 20 Euronen…

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  5. Muss man bekifft sein, um der Blockflöte des Todes was abzugewinnen? Ist wirklich nicht so mein Ding.

    Wildes Holz hat was. Und stimmt, der kann Blockflöte. Würde ich mir nicht jeden Tag anhören mögen, aber live sind die bestimmt witzig.

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  6. @gnaddrig:
    „Wildes Holz hat was. Und stimmt, der kann Blockflöte. Würde ich mir nicht jeden Tag anhören mögen, aber live sind die bestimmt witzig.“

    Vor allem, wenn sie „Das Modell“ von Kraftwerk spielen:

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