Bildschirmschoner für Mathematiker

Eigentlich braucht man heute keine Bildschirmschoner mehr. Jedenfalls nicht, um die Monitore zu schonen und das Einbrennen länger angezeigter Bildelemente zu verhindern. Trotzdem erfreuen sich Bildschirmschoner weiterhin großer Beliebtheit, und man kann mit sowas ja auch einigen Spaß haben.

Manche schätzen sie als Werbeträger, andere als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, der Vorlieben oder Interessen. Weit verbreitet ist auch die Nutzung zur Sicherung des Computers gegen unbefugten Zugriff. Deshalb gibt es für alle nur denkbaren Zielgruppen und Geschmäcker speziell zugeschnittene Bildschirmschoner verschiedenster Machart, manche sehr simpel, manche ausgesprochen aufwändig gemacht.

Was für Bildschirmschoner gibt es eigentlich für Mathematiker? Diashows mit Konterfeis berühmter Mathematiker? Langweilig. Eine Wolke aus durcheinanderwirbelnden mathematischen Symbolen? Auch langweilig. Diashows mit interessanten, bahnbrechenden oder sonstwie herausragenden Formeln? Ach, ich weiß nicht.

Da Mathematik – anders als großbusige Models, übermotorisierte Autos, berühmte Gebäude, niedliche Tiere u.ä. – nicht so einfach bildlich darzustellen ist, benötigen wir hier einen anderen Ansatz. Ich schlage daher eine Art computergenerierten Film vor, in dem die Kamera in ein Koordinatensystem hineinfliegt bzw. in dem das Koordinatensystem immer weiter herangezoomt wird und dadurch die Illusion einer Kamerafahrt entsteht. Dabei versucht die Kamera bzw. das gedachte, die Kamera tragende Flugobjekt, die Kreiszahl π (Pi) im Zahlenstrahl zu treffen, indem sie sich Nachkommastelle für Nachkommastelle immer weiter annähert.

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Ich stelle mir das so vor: Anfangs sieht man das dreiachsige Koordinatensystem liegen, die Kamera fliegt auf die erste Stelle von π auf der x-Achse zu, also auf die 3. Beim Annähern an die x-Achse taucht die Unterteilung in die erste Nachkommastelle auf, also statt 1, 2, 3 usw. sähen wir auf der x-Achse jetzt 3,1, 3,2, 3,3 usw.. Da in diesem Stadium die ganzen Zahlen vergrößerungsbedingt schon aus dem Bild gewandert sind, wird diese Nachkommastelle der Einfachheit halber nur wieder als 1, 2, 3 usw. dargestellt.

Noch fliegt die Kamera auf die 3 zu, aber sobald die Striche für  die erste Nachkommastelle in Sicht kommen, schwenkt sie nach rechts, sodass sie auf die 3,1 zufliegt. Kurz bevor sie dort ankommt, kommt auf dieselbe Art die Ebene der 2. Nachkommastelle in den Blick, die Kamera schwenkt und fliegt auf die 3,14 zu, dann auf die 3,141, die 3,1415, die 3,14159 usw.

Dabei könnte die jeweils nächste Größenordnung (also die Striche für die zehn möglichen Werte der jeweils anzufliegenden Nachkommastelle) entweder durch reine Vergrößerung der x-Achse sichtbar gemacht werden, dann wäre die Kamerafahrt eine Art Fallen per Zoom auf die x-Achse zu. Oder man stellt die zehn möglichen Ziffern der jeweiligen Nachkommastelle auf einer auf der z-Achse verschobenen Parallele der x-Achse dar. Dann wäre die Kamerafahrt ein Flug in etwa parallel zur z-Achse in die Tiefe des Systems.

Zusätzlich könnte man die sich aus der Flugrichtung errechenbare Abweichung vom angestrebten Punkt in y-Werte übersetzen. Wenn die Kamera zuweit links ist, würde das negative y-Werte verursachen, wenn sie zuweit rechts ist, positive. Heraus käme ein vermutlich wilder Korkenzieherflug. Ich hoffe, das ist halbwegs verständlich.

Zur Veranschaulichung habe ich aus ein paar schnell zusammengeschusterten Wireframes ein kleines Demo animiert (als Link, nicht als Bild eingebunden, weil animierte Grafiken im Text nerven). Das bleibt natürlich weit hinter dem zurück, was mir so vorschwebt, aber besser kriege ich das mit vertretbarem Aufwand nicht hin. Man müsste man grafisch natürlich ansprechend gestalten, denkbar wären Anleihen von Ego-Shootern und Flugsimulatoren.

Die Kamera bzw. der Betrachter fliegt bzw. fällt sozusagen immer tiefer in die Nachkommastellen von Pi. Elegant ist, dass das ganze nie zuendegeht. Man muss nur genügend Nachkommastellen von Pi bereithalten, damit das Programm nicht irgendwann glaubt, am Bretterzaun am Ende der Welt angekommen zu sein, weil die letzte vorgehaltene Nachkommastelle aufgebraucht ist.

Andererseits sind derzeit 12.100.000.000.050 Stellen bekannt (Quelle), da muss man schon eine ganze Weile fliegen, bevor am am Ende ankommt. (Wenn man vier Nachkommastellen pro Sekunde abklappert, ist man 95.856,5 Jahre unterwegs. Man könnte bei jeder Nachkommastelle 1.524.524,3 Reiskörner oder 24,09 kg Reis verstreuen, dann hätte man den Reis aufgebraucht, den der Erfinder des Schachbretts eingeheimst hatte. Oder man ist sparsamer und verbraucht pro Nachkommastelle genau ein Reiskorn, dann hat man genug Wegzehrung für 18.446.744.073.709.551.615 Nachkommastellen. Bis die allerdings zuverlässig berechnet sind, dürfte es noch eine Weile dauern, und was isst man bis dahin?)

Statt π könnte man auch die Eulersche Zahl nehmen oder einfach einen Zufallsgenerator anschließen, der dann eine Ziffernfolge produziert bis der Strom alle ist. Und mit Primzahlen oder Primzahlzwillingspaaren könnte man Ähnliches anstellen.

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Wenn man schon einen Flug simuliert, könnte man das Ganze auch gleich zu einem Spiel ausbauen, wo man möglichst schnell fliegen muss, ohne die Wegpunkte (also die jeweils aktuelle Nachkommastelle) zu verfehlen. Die zu überfliegende Spiellandschaft ließe sich sicher weitgehend automatisiert erstellen, vielleicht auf Grundlage der jeweils zu passierenden Nachkommastelle. Man könnte verschiedene Schwierigkeitsgrade anbieten. Für die ganz Harten – es soll ja Leute geben, die Hunderte, wenn nicht Tausende, Stellen von π auswendig können – werden die jeweiligen Zielwerte nicht markiert, sie sehen von der jeweils anstehenden Nachkommastelle alle denkbaren Werte, also 0 bis 9, und wenn sie einen falschen überfliegen, kegelt es sie raus.

Aus der Flugrichtung kann zu jedem Zeitpunkt abgeleitet werden, wo die Kamera die x-Achse auf der Ebene der nächsten Nachkommastelle passieren würde. Wenn die Kamera etwa die vierte Nachkommastelle bei 3,1415 passiert und auf kürzestem Weg  weiter auf die x-Achse zuflöge, würde sie sie bei 3,14155 passieren. Das wäre zu weit links, mit passieren der 4. Nachkommastelle würde die Kamera also auf den entsprechenden Wert der y-Achse abtauchen. Die y-Achse wird nicht mit herangezoomt sondern behält ihren ursprünglichen Maßstab, und der y-Wert würde deshalb pro Nachkommastelle Abweichung um 1 steigen bzw. sinken und würde, wenn sie in die richtige Richtung, also nach rechts, schwenkt, in dem Maß wieder auf 0 steigen, wie sie auf der x-Achse den richtigen Wert, also 3,14159, ansteuert.

Man könnte dann die (von der simulierten Flugphysik und u.U. möglichen Einstellungen abhängige) Ideallinie dreidimensional einblenden, ähnlich wie bei dieser Musikanalyse-Software (habe ich vor Jahren was drüber gelesen, möglicherweise im Spiegel, finde ich aber nicht mehr; war jedenfalls eine Art, Tempo und Dynamik von klassischer Musik zu visualisieren und damit verschiedene Interpretationen vergleichbar zu machen) Tempo und Lautstärke sich als farbkodierte 3D-Schlange in das Bild windet.

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Die Idee zu diesem Bildschirmschoner/Spiel hatte ich schon vor einiger Zeit, die ersten Notizen dümpeln schon seit Wochen in meinen Entwürfen herum. Eigentlich hätte ich das hier sehr schön als Antwort auf Die letzte Stelle von Pi von Pfeffermatz verkaufen können. Der kennt nämlich die letzte Stelle von Pi nicht, und ich biete hier das Werkzeug an, mit dem er nachschauen gehen kann. (Das ist natürlich wieder grober Unfug von mir, weil man in meinem Bildschirmschoner, wenn ihn denn jemand baut, nur nachschauen kann, was jemand anders zuvor in den Nachkommastellen-von-Pi-Vorrat gefüttert hat, aber das wäre vielleicht niemandem aufgefallen.) Ich bin einfach zu ehrlich. Deshalb wird aus meinen tollen Geschäftsideen nie was.

Das ist jetzt etwas lang geworden und längst nicht so anschaulich, wie ich mir das gewünscht hätte. Aber Mathematiker sind, lästere ich mal, unübersichtliche Schriftlichkeiten gewöhnt, und wer einen über mehrere Wandtafeln gekritzelten Höhenflug verfolgen und verstehen kann, dürfte mit so einer Bleiwüste kein Problem haben. In diesem Sinne wünsche ich guten Flug…

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

7 Kommentare zu „Bildschirmschoner für Mathematiker“

  1. was musst du für ein menschenfreund sein?!?! sich lang und breit über einen bildschirmschoner für mathematiker gedanken zu machen, der selbst mir, der mit mathe auf den kriegsfuss steht, gefallen würde?!?
    am liebsten würde ich sagen: mach’s – aber leider weiß ich auch: niemand wird es dir wirklich danken.

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  2. Also, für einen Menschenfreund halte ich mich schon, das hat aber mit dem Bildschirmschoner hier wenig zu tun. Das war nur so eine Idee (Flug in die Nachkommastellen von Pi), die ich dann etwas ausgefüttert habe.

    Wenn ich könnte, würde ich sowas schon bauen. Der Spaß am Machen und das Gefühl, was Tolles/Witziges/Schrulliges/Schönes gebaut zu haben, wären mir als Lohn fast schon genug. Wenn es dann noch ein paar Leuten gefällt, bin ich völlig zufrieden.

    Aber leider kann ich weder programmieren noch habe ich von Grafikdesign irgendwelche Ahnung. Der Flugfilm müsste auf der Grundlage irgendwelcher Modelle laufen, sonst müsste man das ja alles Frame für Frame von Hand animieren. Für ersteres fehlt mir das Know-How, für letzteres neben dem Know-How auch die Geduld. Von daher wird es meinerseits bei diesem Text bleiben.

    Wenn wer anders das Ding bauen würde, fände ich das aber klasse.

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  3. 1. Fände ich natürlich cool, schon von Amts wegen 🙂
    2. Der Bildschirmschoner könnte Pi sogar als Grenze einer Folge errechnen, statt dass man ihn mit den Dezimalstellen füttern müsste. In einer ausgefuchsteren Version würde man sogar eine konvergente Folge (als mathematischen Ausdruck) vorgeben können, zu deren Grenzwert das Programm hineinzoomt.
    3. Auch Mathematiker wissen „großbusige Models, übermotorisierte Autos,“ etc. zu schätzen!
    4. Natürlich kenne ich die letzte Stelle von Pi. Aber wenn ich sie verrate, muss Schrödingers Katze sterben.

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  4. Zu 1.: Freut mich 🙂
    Zu 2.: Nur zu, die technischen Details kann ich eh nicht.
    Zu 3.: Mag ja sein, aber den Pirelli-Kalender oder ähnliches als Bildschirmschoner extra für Mathematiker anzupreisen wäre auch irgendwie nicht passend. Ich unterstelle mal, dass sich Mathematiker in Geschmacksfragen nicht grundsätzlich vom Rest der Bevölkerung unterscheiden und daher natürlich die erwähnten Sorten Bildschirmschoner konsumieren können. Aber ich seh schon, knipserei hatte recht, wirklich danken wird es mir niemand… *schnief*
    Zu 4.: Guter Punkt, lassen wir die Katze leben!

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  5. @Pfeffermatz:
    „3. Auch Mathematiker wissen „großbusige Models, übermotorisierte Autos,“ etc. zu schätzen!“

    Das gilt aber nur für neurotypische Mathematiker, also Nicht-Aspies… ich z. B. bin zwar nicht Mathematiker, aber könnte mit solchem, sorry, Prollkram überhaupt nichts anfangen! Meine Bildschirmschoner würden stattdessen Luchse, bärtig-beturbante afghanische Charakterköpfe oder animierte Kamerafahrten über die Spieltische überkandidelter Lowrey-Orgeln (MX-2! Millennium!) zeigen…

    Zum Pi-Flug: Zwölf Billionen Stellen… ich habe keine Ahnung, wie man zwecks Ermittlung ihrer Bit-Breite den Zweierlogarithmus einer derartigen Monsterzahl bestimmt (aber in C++ gibt es eine Bibliothek „arbitrary.h“ zum Rechnen mit beliebig großen bzw. genauen Zahlen – man muss nur aufpassen, dass die immer größer werdenden Zahlen einem nicht das Betriebssystem aus dem Arbeitsspeicher drücken…), aber ich bin mir sicher, dass sie binär kodiert nur einen winzigen Bruchteil des Speicherplatzes benötigen würden, den sie als ASCII-Text verbraucht: da wäre nämlich eine ziemlich große externe Festplatte nur für diese eine Zahl fällig… es sei denn, der Bildschirmschoner berechnet Pi selbst „on the fly“!

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In den Wald hineinrufen

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