Wie man’s nimmt

Anspruch und Wirklichkeit klaffen manchmal deutlich auseinander. Manchmal predigt jemand Wein und liefert Wasser (bzw. predigt Wasser und trinkt selbst Wein, aber das ist ein anderes Thema). Manchmal bewegen sich Autor und Leser eines Textes in unterschiedlichen Referenzrahmen, und manchmal kann man nicht genau sagen, welches von beiden konkret der Fall ist.

Nehmen wir die Toiletten in den Nahverkehrszügen der Deutschen Bahn. Die werden immer mal gereinigt, damit sie einigermaßen benutzbar bleiben. Die Reinigungstermine werden von der betreffenden Servicekraft dokumentiert:

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Ich würde erwarten, dass die Toiletten bei Bereitstellung, also vor der ersten Fahrt des Tages (oder nach der letzten Fahrt des Vortages) gereinigt werden, und zusätzlich nach Bedarf während des laufenden Betriebes. Angesichts der auf dem hier gezeigten Blatt eingetragenen Daten scheint das nicht der Fall zu sein – da stehen Reinigungen am 12. und am 14. November, aufgenommen wurde das Foto am 20. November.

Gut, mit regelmäßig vor und während des laufenden Betriebes könnte gemeint sein: Wir reinigen den Zug, wenn wir ihn vom Hersteller übernehmen (also, ahem, „vor (…) des laufenden Betriebes“), und danach auch regelmäßig („während des laufenden Betriebes“). In diesem Fall ist die durch die beiden eingetragenen Daten suggerierte Regelmäßigkeit nicht gegeben. Zum Zeitpunkt der Aufnahme waren seit der letzten Reinigung sechs Tage vergangen. Vielleicht kommt da ein ungewöhnlich komplizierter Reinigungsrhythmus zur Anwendung, etwa ein Zyklus mit den Intervallen zwei, sechs, zwei, neun, zwei, sechs Tage, dann wieder von vorne, und ich war kurz vor Ablauf des erstens Sechstageintervalls dort. Ansonsten ist das nicht regelmäßig.

Außer, mit regelmäßig ist nicht mit immer gleichen Intervallen gemeint, sondern gemäß den definierten Reinigungsregeln. Und die könnten vorsehen, dass geputzt wird, wenn es dreckig ist. Zwar ist regelmäßig im Duden (Deutsches Universalwörterbuch, Mannheim 2001) definiert als a) bestimmten Gesetzen der Harmonie in der Form, Gestaltung entsprechend und b) einer bestimmten festen Ordnung, Regelung (die bes. durch zeitlich stets gleiche Wiederkehr, gleichmäßige Aufeinanderfolge gekennzeichnet ist) entsprechend, ihr folgend definiert, und  das mit der gleichmäßigen Aufeinanderfolge zielt ganz klar auf gleiche Intervalle ab, da sind wir mit der angenommenen abweichenden Wortbedeutung also auf eher dünnem Eis.

Wenn diese unregelmäßige Bedeutung von regelmäßig gemeint wäre, hätte ich eher eine Vokabel wie vorschriftsmäßig erwartet, oder ganz im Geiste der ehemaligen Behördenbahn entsprechend der relevanten Dienstanweisung, oder neudeutsch marketinglastig gemäß unserer Corporate Service Philosophie oder unserer Service Vision.

Sei’s drum. Fairerweise muss ich sagen, dass diese Toilette recht anständig aussah. Ich habe da weitaus Schlimmeres erlebt, auch was den Geruch anbelangt. Die ziemlich große Pfütze am Boden war kein Urin, sondern wohl einfaches Wasser. Und die allgemeine Schmuddeligkeit ist bei solchen Toiletten schon nach einem halben Jahr Normalbetrieb nicht mehr wegzureinigen. Toilettenpapier, Seife und Handtücher (über die letzteren schreibe ich vielleicht mal bei anderer Gelegenheit) waren auch noch ausreichend vorhanden, der Mülleimer war auch nicht überfüllt. Insofern ist da trotz der sechstägigen Pause nicht zu wenig gereinigt worden. Vielleicht hat der Servicemensch auch bloß vergessen, seine Reinigungsaktivitäten dort einzutragen, kann ja sein. In anderen Zügen auf derselben Strecke ist man mit deutlich höherer Schlagzahl unterwegs, aber besser oder sauberer sah es dort auch nicht aus.

So oder so, das ist auf alle Fälle besser als die klappenbewehrten Löcher im Boden, die bis in die 90er Jahre als Zugtoiletten dienten…

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

6 Kommentare zu „Wie man’s nimmt“

  1. „Wir danken für jeden Hinweis…“ – Nur ist, wenn ich denn mal einen Hinweis hätte, weit und breit niemand Hinzuweisendes zu sehen….

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  2. Ja, gerade in den Regionalbahnen läuft wenig Personal rum. Am Telefon geht’s bestimmt erstmal für eine Viertelstunde in die Warteschleife. Und wenn man dann doch mal einen findet, vom offiziellen Dankeschön der Bahn hat man ja nichts, das garantiert noch lange nicht, dass der gemeldete Missstand auch behoben wird.

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  3. Vermutlich wird das irgendwann einmal behoben, aber nicht schnellstens, sondern so schnell, wie die Bahn als „zeitnah“ definiert, also ziemlich verspätet…,

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  4. Dass da nicht an jedem Bahn-Standort eine Herde Servicekräfte und Techniker bereitsteht, um sofort jeden gemeldeten Seifenfleck wegzuputzen und jede lockere Schraube schnell festzudrehen, ist klar. Bei allem, was nicht sicherheitsrelevant oder direkt gesundheitsschädlich ist, muss das ja auch nicht sein, obwohl man sich bei vollgesauten Toiletten, die riechen wie die Feldlatrine zwei Wochen nachdem der Chlorkalk ausgegangen ist, schon wünschen würde, dass da schnell drangegangen wird.

    Aber wenn die Serviceleute derart getrieben werden, dass sie schon bei der normalen, turnusmäßigen Reinigung nicht immer alles schaffen, bleibt für solche Ad-hoc-Einsätze natürlich keine Kapazität.

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In den Wald hineinrufen

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