Jalousien

Über das Problem mit der Sonne hatte ich ja schonmal geschrieben. Wenn die Sonne ins Büro scheint, sieht man am Bildschirm oft fast nichts mehr und kann ohne Fensterverdunkelung praktisch nicht mehr arbeiten. Das ist besonders im Winter doof, denn wenn die Sonne schonmal scheint, muss man sie aussperren, und bei Feierabend ist die Sonne lange untergegangen.

Datenbrillen waren ein paar Jahre lang der große Renner. Visionäre und Fortschrittsbegeisterte konnten sich lange kaum einkriegen, so viel Potenzial sahen sie in dem Konzept. Datenschützern ging es ähnlich, sie konnten nicht genug warnen vor den Risiken und Nebenwirkungen – immerhin ergänzen Datenbrillen die ohnehin schon omnipräsenten Ortungs-, Abhör und Überwachungswanzen (auch bekannt als Smartphone) um Augen. Privatsphäre adée, hieß es nicht ganz zu unrecht. Nun scheint der Hype um die Datenbrille weitgehend abgeflaut, das Thema ist weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden, alles ist gut.

Bleibt mein Problem mit der Sonne im Fenster. Meine Lösung mit elektrochromen Fensterscheiben hat sich nicht durchgesetzt, wäre wahrscheinlich zu teuer und zu aufwändig. Aber jetzt habe ich eine andere, wesentlich zukunftsweisendere Idee. Die Medizin- und Prothesentechnik hat in den letzten Jahren gewaltige Fortschritte gemacht. Allein die jetzt bezahlbar zur Verfügung stehende Rechenleistung auf kleinstem Raum eröffnet Möglichkeiten, die noch vor 20 Jahren kaum denkbar gewesen wären.

Wer kaputte Ohren aber einen noch intakten Hörnerv hat, kann u.U. mit einem Cochlea-Implantat wieder hören. Wer, etwa wegen kaputter Rezeptorzellen auf der Netzhaut, nicht mehr (richtig) sehen kann, aber noch einen intakten Sehnerv hat, kann mit einem Retina-Implantat wieder (besser) sehen. Und genau hier können wir ansetzen, um die Sonnenlichtproblematik zu lösen.

Das Implantat hat sowieso einen Mikrochip, um die Signale der Photodioden oder der Kamera in ein für den Sehnerv und das Gehirn verarbeitbares Format umzurechnen. Wenn man da nun einen weiteren Rechner zwischenschaltet, der Fenster, Monitore, Tastaturen, ausgedruckte Dokumente und Gesichter identifiziert, Helligkeit und Kontrast prüft und für vorher definierte individuelle Objekte oder ganze Objektklassen anpasst, könnte man im schönsten Sonnenlicht am sonnenbeschienenen Monitor sitzen und trotzdem alles lesen können.

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Wo man den Apparat unterbringt, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Wenn das Auge durch einen Unfall völlig zerstört ist, könnte man es in der Augenhöhle unterbringen, vielleicht in einer Art Glasauge. Ansonsten könnte man es in Brillenbügel einbauen oder hinter dem Ohr unterbringen, wie Hörgeräte. Das wäre wartungstechnisch sicher unproblematischer als ein tatsächliches Implantat.

Als kleine Nettigkeit am Rande könnte man so ein Implantat auch mit einem Werbeblocker ausstatten. Man könnte so die allermeiste nervige Außenwerbung ausblenden, vielleicht auch optisch identifizierbare Online- und Fernsehwerbung. Die TU Ilmenau hat vor Jahren eine Methode vorgestellt, mit der man Dinge in Echtzeit aus Kamerabildern herausrechnen kann. Andererseits müsste man dafür sorgen, dass die entsprechende Software Dinge sehr zuverlässig identifiziert, denn wer weiß, was man sonst noch versehentlich ausgeblendet bekommt.

Augenzeugenberichte wären damit jedenfalls noch viel unzuverlässiger als ohnehin schon. Außerdem würden die Rechner früher oder später gehackt, und dann hat man – je nach Eindringling – nur noch Werbung oder wer weiß was. Und man wüsste nie, wer noch mitschaut.

Die Datenbrille konnte man einfach absetzen, ausschalten oder in eine Schachtel tun, das Implantat eher nicht. Außerdem mag ich mir trotz durchaus interessanter Möglichkeiten sowieso nicht einfach so irgendwelche technischen Spielereien einpflanzen lassen. Deshalb werde ich fürs Erste dann doch lieber mit Jalousien arbeiten.

 

 

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

5 Kommentare zu „Jalousien“

  1. Augenzeugenberichte könnte man ja mit automatischen Aufzeichnungen des Rohmaterials verbessern. Und wenn die dann auch gleich an die Geheimdienste geschickt werden, machen Innenminister Luftsprünge vor Freude… also lassen wir’s lieber.

    Wobei, eine automatische visuelle Rechtschreibkorrektur im Auge hätte auch was. Dann wäre der Akzent auf „ade“ auch weg. 🙂

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  2. Und wenn die dann auch gleich an die Geheimdienste…
    Oder die bauen uns „Halluzinationen“ ins Bild ein. Wenn man Objekte aus Kamerastreams herausrechnen kann, kann man sicher auch welche reinmischen, und dann weiß niemand mehr, was er (wirklich) gesehen hat…

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  3. Mein erster Gedanke war auch, dass wir uns damit eher mehr als weniger Werbung ins Auge holen (stimmt nicht, das war mein zweiter Gedanke, mein erster war, warum schreibt er „ade“ so komisch?). Bei mir ist das jeden morgen im Büro auch eine furchtbare Austariererei mit den Jalousien und der Beleuchtung und meinem Kollegen. Aber schließlich muss man ja die 10 Minuten überbrücken, bis der Rechner hochgefahren ist…

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  4. Das mit den 10 Minuten ist natürlich so. Außerdem braucht man solche Rituale, die halten den Alltag im Gleichgewicht…

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In den Wald hineinrufen

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