Energiewende

Es hat im Lauf der Geschichte viele Versuche gegeben, ein Perpetuum Mobile zu bauen. Die Leute lassen sich nicht davon abbringen, und immer wieder glaubt jemand, so eine Wundermaschine gebaut zu haben. Jedes Patentamt dürfte mindestens einen Mitarbeiter haben, der erhebliche Teile seiner Arbeitszeit damit verbringt, entsprechende Patentanträge abzuschmettern. Bei Firmen, die mit der Entwicklung, dem Bau oder dem Einsatz von Energiewandlern zu tun haben, dürfte es ähnlich sein. Da bringt der Postbote sicher auch regelmäßig Eingaben von Erfindern mit Beschreibungen ihrer gerade erfundenen Perpetua Mobilia.

Die technischen Ansätze dieser Erfinder haben mich nie sonderlich interessiert, weil sie sowieso falsch sind. Perpetua Mobilia sind per se unmöglich. Die Physik hat noch niemand beschummelt, da geht einfach nichts. Es gibt da aber noch einige andere interessante Ideen, die weiterzuverfolgen zumindest unterhaltsam sein könnte. Damit verlassen wir jetzt den Boden der Wissenschaftlichkeit.

Da ist etwa der Katzen-Marmeladenbrot-Antrieb. Es ist bekannt, dass eine mit Marmelade bestrichene Scheibe Brot, wenn sie herunterfällt, immer auf der Marmeladenseite landet. Ebenfalls ist bekannt, dass eine Katze, wenn sie egal aus welcher Höhe egal in welcher Position herunterfällt, immer auf den Pfoten landet. (Es gibt dafür wahrscheinlich eine Mindesthöhe, die sich aus der Fallgeschwindigkeit und der zum Drehen in die Landeposition benötigten Zeit errechnet. Das sind aber Details, die mich als Vordenker nicht näher interessieren müssen. Das wird erst wichtig, wenn es an die Konzeption eines Prototypen geht.) Bindet man nun einer Katze ein Marmeladenbrot auf den Rücken und wirft sie aus dem Fenster, wird sie nie unten aufschlagen, sondern kurz vor dem Aufschlag über dem Boden schwebend rotieren.

Logisch: Die Katze will (muss!) auf den Pfoten landen. Das Brot muss auf der Marmeladenseite landen. Beides gleichzeitig ist nicht möglich. Einfach nicht aufschlagen geht auch nicht, das wäre gegen die Naturgesetze, item die Schwerkraft. Also versuchen beide, Katze und Marmeladenbrot, ihrem jeweiligen Naturgesetz zu gehorchen und auf die jeweils zwingend nötige Seite zu fallen. Dabei neutralisieren sich diese Bemühungen gegenseitig, der Aufprall bleibt aus und die Katze-Marmeladenbrot-Kombi rotiert. Diese Rotation könnte man zur Energiegewinnung nutzen. Dass sich der Erdboden auftut und das Katze-Marmeladenbrot-Aggregat von beiden Seiten gleichzeitig erwischt, gilt in Fachkreisen als wenig wahrscheinlich und kann daher zunächst vernachlässigt werden.

Man könnte gelegentlich erforschen, welche Art Katze, welche Art Brot mit welchem Belag (Butter oder Margarine, wieviel; welche Marmelade usw.) die besten Ergebnisse liefert. Ein potentielles Problem ist die Fliehkraft, die ab einer bestimmten Drehzahl dafür sorgt, dass die Marmelade das Brot fluchtartig verlässt. Es bräuchte geeignete Zuschlagstoffe, um das zu verhindern. Dabei ist es wichig, dass die Marmelade beim fiktiven Aufprall dennoch einen großen Schmierfleck verursachen würde, weil dieser Fleck die Grundlage für das gesamte Konzept ist.

Ohne diese drohende Sauerei würde das Marmeladenbrot ja wie trockene Brotscheiben mit der statistisch zu erwartenden Häufigkeit jeweils auf eine beliebige ihrer beiden Seiten fallen. Wurst- und Käsebrote liegen mit ihrem sehr geringen Schweinkrampotenzial irgendwo dazwischen. Wie gesagt, man bräuchte eine Möglichkeit, die Marmelade gegen die Fliehkraft am Brot zu halten, sie bei Aufprall aber freizugeben.

Auch die genaue Positionierung des Marmeladenbrots ist wichtig. Wenn sich der Katzenbauch und die Marmeladenseite exakt gegenüberliegen, kann es unter Umständen dazu kommen, dass das Aggregat nicht rotiert, sondern hin- und herzittert wie das manchmal auch bei ältlichen Elektromotoren passiert. Um das zu vermeiden muss das Marmeladenbrot wahrscheinlich minimal nach einer Seite versetzt angebracht werden. Die aus dieser Asymmetrie resultierende Unrundheit im Lauf wird man durch Gegengewichte ausgleichen können, ähnlich wie das bei den Rädern von Autos üblich ist.

Denkbar wären auch drei- oder mehrpolige Modelle mit zwei Katzen oder zwei Marmeladenbroten, walzenförmig oder auch als Würfel ausgeführt, da besteht noch Forschungsbedarf. Man könnte auch Flugzeuge mit einer Sonderform dieses Aggregats ausstatten und damit Abstürze weitgehend wenn nicht verhindern so doch erheblich abmildern. Vielleich wäre auch die Entwicklung einer Alternative zum Kreiselkompass auf Katze-Marmeladenbrot-Basis möglich. Wir haben die Möglichkeiten dieser Technik noch bei weitem nicht verstanden, da könnte noch manche Überraschung drin sein.

Einen anderen Ansatz verfolgt der Grabrotationsmotor. Man suche sich einen Verstorbenen, der zu Lebzeiten starke Vorlieben bzw. Abneigungen hatte. Jetzt tue man Dinge, die dieser Verstorbene furchtbar gefunden hätte. Er wird beginnen, im Grab zu rotieren (weiß jeder, muss also stimmen). Diese Rotation könnte man, ähnlich wie bei der Katze-Marmeladenbrot-Maschine, zur Energiegewinnung nutzen.

Verblichenen Österreichern müsste man dabei nur möglichst hoch- bzw. norddeutsche Vokabeln vorsagen. Bei manchen Bayern, Schwaben und Südbadenern könnte das auch funktionieren. Schweizern könnte man auch schweizerische und südbadische Städtenamen sowie ausgewählte Dialektwörter in norddeutscher Aussprache vorsagen (Züüürich, mit schön spitzen Lippen und ch wie in ich, statt alemannisch Zürrich mit ch wie in Dach oder gleich schweizerdeutsch Züri. Konßtanz mit schön scharfem s, deutlich aspiriertem t und lang zischendem z statt Konschdands, Béjern statt Bärrn, schön gedehnt Schwiezerdüütsch, Müüüsli ohne Diphtong usw.). Vielleicht wäre Osterwelle von Taxi Sharia als Sprecher geeignet. Wenn der noch ein bisschen an seiner Aussprache feilt, könnte das was werden.

Mich könnte man mit Interviews oder Talkshows beispielsweise mit Franz Beckenbauer, Lothar Matthäus oder Otto Waalkes auf beachtliche Drehzahlen bringen, die Unterlegung mit Liedern von Xavier Naidoo oder generell mit Hiphop würde dann für kurze Leistungsspitzen alle Reserven herauskitzeln. (Nichts gegen diese Leute, echt nicht, aber auf mich wirken sie so.)

Vegetarier würden wohl bei „Blutwurst, Schnitzel, Bierschinken“ hohldrehen, ADAC-Funktionäre bei „Allgemeines Tempolimit auf Autobahnen“, Sprachnörgler bei denglischem Bullshit-Bingo-Vokabular, Atheisten bei „Es begab sich aber zu der Zeit…“ Das ist das Geniale an diesem Konzept, man kriegt alle dran. Dieser Art Energiewende kann sich niemand entziehen, und manch einer würde der Gesellschaft so wenigstens posthum ein Minimum an Dienst erweisen.

Oder man spart sich das mit den Gräbern, entfacht stattdessen gezielt Shitstorms im Internet und nutzt die beim kollektiven Aufregen (beispielsweise über katzenverachtende Blogartikel) freigesetzte Energie zur Warmwasserbereitung oder zum Antrieb kleiner tragbarer Turbinenkraftwerke, mit denen man dann passenderweise den gerade genutzten Computer mit Strom versorgen könnte, sodass die energiefreisetzende Empörungswelle sich selbst trägt und nicht verebbt.

Wenn man zur Energiegewinnung weniger Atome zerschießen und fossile Bäume verheizen muss, wird die Welt am Ende vielleicht ein bisschen sauberer. Auf geht’s also, raus aus den eingefahrenen Gleisen, auf zu neuen Ufern. Die Ideen sind da, es muss nur jemand was draus machen…

Autor: gnaddrig

Querbeet und ohne Gewähr

6 Kommentare zu „Energiewende“

In den Wald hineinrufen

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